© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/10 05. März 2010

Computer-Inder für Deutschland
Cebit 2000: Vor zehn Jahren verkündete Kanzler Schröder seine „Green Card“-Initiative / Wirtschaftskrise beendete Euphorie
Hans Christians

Anläßlich der Cebit im März 2000 inszenierte sich der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder als Mann der Wirtschaft und präsentierte seine „Green Card“-Initiative – sprich die Anwerbung von Fachkräften aus Nicht-EU-Ländern. Anlaß dafür waren die Klagen von Unternehmerverbänden wie Bitkom über den Mangel an bezahlbaren Ingenieuren und Informatikern. Der SPD-Chef kündigte daraufhin ein „Sofortprogramm zur Deckung des IT-Bedarfs an“, welches die Einführung einer besonderen Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis nach US-Vorbild beinhaltete.

Vor zehn Jahren herrschte eine regelrechte Goldgräberstimmung, Schlagworte wie „New Economy“ oder „Neuer Markt“ bestimmten die Schlagzeilen. Zahlreiche Firmen aus der IT-Branche wagten den Gang an die Börse. Beim Start des neuen Börsensegments 1997 waren nur zwei Firmen gelistet, zwei Jahre später bereits über 140. Händler und Spekulanten witterten ihre Chance auf den schnellen Reibach, die Aktienpreise inflationierten. Auch Hunderttausende Kleinaktionäre lockte die Aussicht auf anstrengungslosen Nebenverdienst.

All dies wurde flankiert von neuen Kommunikationstechnologien und IT-Unternehmen, die mit Risikokapital überschwemmt wurden und die über fehlendes Fachpersonal fluchten. Besser spät als nie, mag sich der rot-grüne Regierungschef gedacht haben, als er mit seinem Maßnahmenpaket die Öffentlichkeit überraschte. Daß der Neue Markt zu diesem Zeitpunkt seinen Zenit schon längst überschritten hatte, ahnten weder der Auto-Kanzler noch seine Berater. Dabei kursierten im Internet bereits „Todeslisten“ von bankrotten New-Economy-Firmen.

Schröders „Green Card“ leitete zudem eine heftige Debatte über die Einwanderung in den Arbeitsmarkt und die deutsche Zuwanderungsgesetzgebung ein. Der heutige Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Jürgen Rüttgers (CDU), versuchte mit dem Schlachtruf „Kinder statt Inder“ den Landtagswahlkampf im bevölkerungsreichsten Bundesland zu bestehen – ein Vorhaben, das ihm erst 2005 gelang. Immerhin blieb davon das geflügelte Wort von den „Computer-Indern“ in Erinnerung, denn ursprünglich war beabsichtigt, Experten aus Billiglohnländern nach Deutschland zu holen.

Mit ihrem US-Vorbild hat die deutsche Green Card auch nur den Namen gemein. Denn die amerikanische Version beinhaltet – nach strenger Vorprüfung – eine unbefristete Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigung einschließlich der Möglichkeit zur späteren Einbürgerung. Die deutsche ermöglichte hingegen nur eine befristete Arbeitserlaubnis von bis zu fünf Jahren, vorausgesetzt, dem ausländischen Experten wurde eine branchenüblich bezahlte Stelle in einem deutschen Unternehmer angeboten.

Schon 2003 schloß die Börse den Neuen Markt

Ursprünglich sollten 20.000 Spezialisten aus Nicht-EU-Ländern innerhalb der ersten beiden Jahren angeworben werden. Schröder sah sogar ein Potential „von nahezu 100.000 arbeitswilligen Experten“. Daraus sollte freilich nichts werden. Vom August 2000 bis Juli 2003 wurden nur etwa 15.000 Arbeitsgenehmigungen im Rahmen der neuen Verordnung ausgestellt. Die meisten Angeworbenen kamen im Süden und Westen Deutschlands unter. In den neuen Bundesländern tendierte die Nachfrage gegen Null. Bis heute wird darüber spekuliert, warum die Green Card letztlich als gescheitert bezeichnet werden kann. Den Hauptgrund sehen viele Experten in dem Zusammenbruch des Neuen Markts, der bereits im Sommer 2000 einsetzte und nach dem 11. September 2001 vollkommen abstürzte. Von den mehr als 300 neuen IT-Firmen hat nur knapp ein Drittel überlebt.

Daß aus Fehlern dennoch nicht gelernt wird, hat die Finanz- und Wirtschaftskrise nach der Lehman-Pleite 2008 gezeigt. Wie bereits acht Jahre zuvor fielen scheinbar „todsichere“ Anlagen und Anleihen wie Kartenhäuser zusammen und stürzten die Börsenwelt in ein Chaos. 2003 schloß die Deutsche Börse sang- und klanglos den „Neuen Markt“, nachdem dort über 200 Millionen Euro versenkt wurden. Von den Computer-Indern sollen sich einige hundert aber noch in Deutschland aufhalten.

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