© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/10 05. März 2010

Kurdische Ansprüche und iranischer Einfluß
Irak: Zweite Parlamentswahlen unter der neuen Verfassung / Abzug von 70.000 US-Soldaten soll Ende Juli beginnen – wenn die Lage stabil bleibt
Michael Wiesberg

Je näher der Tag der Wahl des irakischen Parlaments rückt, desto nervöser scheint insbesondere die US-Regierung zu werden, denn am 7. März steht viel auf dem Spiel. Bis Ende 2011 sollen fast alle US-Truppen vertragsgemäß aus dem Irak abgezogen werden. Dieses Ziel hat Präsident Barack Obama in seiner Rede vor dem US-Kongreß am 27. Januar erneut hervorgehoben. Nur einige Einheiten, die etwa beratende oder ausbildende Funktionen haben, sollen weiter im Zweistromland verbleiben. Bereits für Ende Juli ist der Abzug von 70.000 US-Soldaten aus dem Irak avisiert. Ob es tatsächlich dazu kommt, steht indes auf einem anderen Blatt.

So warnte der US-Botschafter in Irak, Christopher Hill, Mitte Februar vor möglichen politischen Unruhen im Anschluß an die Wahlen, die schnell zu einem erneuten Aufflammen eines sektiererischen Kleinkriegs führen könnten – dem Schreckgespenst schlechthin nicht nur für die Amerikaner. Was ein derartiges Szenario bedeutet, liegt auf der Hand: Alle US-Truppenabzugspläne verschwänden vorerst wieder in den Schubladen. Daß dieses Szenario tatsächlich eintreten könnte, dafür sprechen eine Reihe von Gründen. Gut sieben Jahre nach dem Ende des Regimes von Saddam Hussein haben die Spannungen zwischen den verschiedenen religiösen und ethnischen Gruppen den Irak an den Rand eines „zerfallenden Staates“ gebracht. Dieser Entwicklung konnte auch die Regierung von Nuri al-Maliki nur partiell Einhalt gebieten.

Zwar gelang es, die Sicherheitslage im Land zu verbessern. Auf der anderen Seite entwickelte der arabisch-schiitische Politiker aber zentralstaatliche Tendenzen, die ihn mit den Kurden und dem am Iran orientierten Irakischen Hohen Rat in Konflikt gebracht haben, die einen ethnisch-religiösen Bundesstaat anstreben. Der Konflikt mit den Kurden (JF 11/09) drohte zwischenzeitlich sogar die Parlamentswahlen zu gefährden.

Nach wie vor ist der kurdische Anspruch, die Erdölstadt Kirkuk und die Provinz Ninive in die kurdische Autonomieregion einzugliedern, ein neuralgischer Punkt, der den Irak jederzeit „in den Abgrund reißen“ könnte, wie Experten meinen.

Die Amerikaner konnten in diesem Konflikt zwar zur Frontenberuhigung beitragen, indem sie Grenzkontrollen zwischen dem kurdisch-irakischen und dem arabisch-irakischen Gebiet einrichteten. Diese Maßnahme sorgte indes für Kritik, kann hierin doch eine Zementierung kurdischer Ansprüche gesehen werden. Außerdem werden auf diese Weise an dieser Grenze US-Soldaten auf unabsehbare Zeit gebunden.

Das Doppelspiel Tschalabis und der Streit um Kandidaten

Die kommenden Parlamentswahlen sind nach jenen im Dezember 2005 die zweiten unter der neuen irakischen Verfassung. Gewählt werden 325 Abgeordnete (zuvor 275) aus etwa 6.500 Kandidaten. Das neue Parlament wird dann den Premier und den Präsidenten wählen. Beobachter schließen nicht aus, daß die Liste von Nuri al-Maliki über kurz oder lang mit der Vereinigten Irakischen Allianz (oder auch Schiitischen Allianz) kooperieren wird, der enge Beziehungen zum Iran nachgesagt werden.

Streit hatte es im Vorfeld um den vorübergehenden Ausschluß von rund 500 Kandidaten gegeben, denen pauschal Verbindungen zur verbotenen Baath-Partei des Saddam-Regimes unterstellt wurden. Dieser Ausschluß wurde schließlich durch eine Berufungskammer aufgehoben, was bezeichnenderweise im Iran für heftige Kommentare sorgte: Dort verteidigte man den Ausschluß dieser Kandidaten mit dem Hinweis darauf, daß es sich hier um „Reste des Baath-Regimes“ handle. Die USA wurden beschuldigt, die (sunnitisch-arabisch dominierte) Baath-Partei wieder an die Macht bringen zu wollen.

Pikanterweise gilt der Schiit Ahmad Tschalabi, Vorsitzender des Irakischen Nationalkongresses (INC), mittlerweile als Sprachrohr des iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadi-Nedschad: derselbe Tschalabi also, dessen Berichte die US-Falken einst zitierten, um 2002/2003 einen Kriegsgrund gegen Saddam Hussein zu konstruieren. Nach der Invasion des Irak wandelte sich Tschalabi, der einstige „Liebling“ der US-„Neocons“, wie es der arabische Journalist Nicola Nasser ausdrückte, zu einer Art „Doppelagenten“ für den Iran. Heute geißelt Tschalabi die US-Einmischungen in die irakische Innenpolitik und polemisiert gegen irakische Politiker, die sich gegen einen wachsenden iranischen Einfluß wehren.

Was eine pro-iranische Regierung für den Irak bedeuten könnte, liegt aus Sicht der US-Regierung auf der Hand: Zurückdrängung demokratischer Bestrebungen und Ausbreitung von „Sektierertum“ in der ganzen Region. Käme es dazu, wäre das Ziel, das die „Neocons“ vor sieben Jahren vorgaben, nämlich aus dem Irak eine Art „demokratische Abschußrampe“ für den Mittleren Osten machen zu wollen, in weite Ferne gerückt. Ob die Entwicklung im Irak tatsächlich in diese Richtung geht, könnten bereits die nächsten Wahlen weisen.

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