© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/10 05. März 2010

Dem Arbeiterführer droht die Revolution
Nordrhein-Westfalen: Mit zahlreichen Affären könnten die CDU und Jürgen Rüttgers den sicher geglaubten Wahlsieg verspielen
Paul Humberg

Sein Image war dem nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers schon immer sehr wichtig. Seit 2005 ist der einst von Kohl zum „Zukunftsminister“ ernannte Rüttgers nun im Amt. Kohls Regiment wurde häufig als „Bimbes-Republik“ gegeißelt. Und das liebe Geld beziehungsweise der Verdacht der Käuflichkeit kratzen jetzt auch heftig am mühsam aufgebauten Image des Arbeiterführers von Rhein und Ruhr.

Wer dereinst angetreten ist, mit dem „roten Filz“ im klassischen SPD-Land NRW aufzuräumen, bekommt ein gravierendes Glaubwürdigkeitsproblem, wenn der eigene Partei- und Regierungsapparat „Sponsoring“ als Mittel der Geldbeschaffung entdeckt.

SPD, Grüne und Linkspartei kommen sich näher

Mit dem erzwungenen Rückzug des schneidigen Generalsekretärs Hendrik Wüst (34) dürfte diese Affäre noch längst nicht ausgestanden sein. Bis zur Landtagswahl am 9. Mai werden seine politischen Gegner Rüttgers genüßlich den Vorwurf der Käuflichkeit unter die Nase reiben. Die bisherige Wahlkampfplanung der CDU ist damit über den Haufen geworfen.

Mit dem „Arbeiterführer“ Jürgen Rüttgers achtete die Partei in den vergangenen Jahren darauf, die Bedürfnisse der Bürger nach Sicherheit und Stabilität im Auge zu behalten. Nach der Devise „Sicherheit mit uns oder Chaos mit Rot-Rot“ wird die C-Partei einen Richtungswahlkampf führen. Aktuelle Umfragewerte und das Schwächeln der Liberalen machen deutlich, daß die CDU einen eigenen Wahlkampf führen muß. Rücksichtnahme auf die FDP wäre völlig fehl am Platz – nicht erst, seitdem die Liberalen sich in Meinungsumfragen im freien Fall befinden.

Der neue Generalsekretär Andreas Krautscheid (49) wird daher alles dafür tun, daß seine Partei sich in den nächsten zwei Monaten nicht vornehmlich in einer Abwehrschlacht befindet und damit beschäftigt ist, Vorwürfe der Medien oder der politischen „Mitbewerber“ zu parieren. Die Parteistrategen in Düsseldorf halten nicht viel davon, die aktuelle Wirtschaftskrise einfach wegzureden. Gerade in Krisenzeiten sei es wichtig, daß eine starke Volkspartei wie die CDU auch weiterhin alle Schichten der Gesellschaft vertritt, lautet ihr Credo. Scharf grenzt man sich von der Linkspartei ab (JF 9/10). Hier handle es sich um Chaoten, Spalter und Radikale, die Unternehmen enteignen und den Religionsunterricht abschaffen wollen und ein Recht auf Rausch fordern.

Die FDP in Düsseldorf und Berlin reagiert derweilen panisch und aggressiv auf den Eigenständigkeitskurs der Christdemokraten. Die CDU hat zwei Machtoptionen: Sie könnte mit den Liberalen weiterregieren. Sie könnte aber auch genauso mit den Grünen koalieren. Zwischen Rüttgers und der grünen Fraktionschefin Sylvia Löhrmann hat es schon diverse Lockerungsübungen gegeben. Die FDP kratzt und keift nicht aus Stärke, sondern weil sie an die Regierungsperspektive mit der CDU gefesselt ist. Ob die Rechnung aufgehen wird, sich als eigentlicher Stabilisator der bürgerlichen Mitte in NRW zu präsentieren, ist mehr als fraglich. Seit der Bundestagswahl hat die FDP zuviel Porzellan zerschlagen und gilt wieder als reine Klientelpartei – ein Ruf, den sie eigentlich schon abgestreift hatte.

Gut zwei Monate vor der Landtagswahl hat das schwarz-gelbe Regierungsbündnis Umfragen zufolge keine Mehrheit mehr. Rüttgers könnte am Ende als großer Verlierer dastehen, der sich seinen Koalitionspartner nur theoretisch aussuchen kann. Doch wer schließt aus, daß sich zu unguter Letzt nicht eine Regierung aus SPD, Grünen und Linkspartei bilden wird? Ein Treffen des stellvertretenden SPD-Landesvorsitzenden Jochen Ott mit der Linksparteichefin Katharina Schwabedissen Ende Februar hat solchen Spekulationen neue Nahrung gegeben.

Bei allem Liebäugeln mit der grünen Option darf die CDU nicht vergessen, daß zwischen Sozialdemokraten, Grünen und Linke etliche Gemeinsamkeiten herrschen. Ein Blick in die Geschichtsbücher zeigt: 1966, 1998 und 2005 bildeten sich an Rhein und Ruhr bereits Regierungen, die für spätere Konstellationen in der Hauptstadt stilbildend waren. Diejenigen, die heute also von Schwarz-Grün in Düsseldorf träumen, könnten dereinst mit Rot-Rot-Grün in Düsseldorf und später dann in Berlin aufwachen.

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