© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/10 26. Februar 2010

„Gott ist der Liebhaber des Lebens“
Rainer Hagencord über die Beziehung von den Schöpfungen der Evolution, Mensch und Tier, zum christlichen Weltbild
Michael Manns

Zur Eröffnung Ihres Instituts vor einigen Wochen hatten Sie hohen Besuch: die renommierte Wissenschaftlerin Jane Goodall, die Nestorin der Primatenforschung. Wie kamen Sie zu dieser großen Ehre?

Hagencord: Ich habe sie 2002 über meinen Doktorvater kennengelernt. Sie begeisterte sich dann für meine Forschungen, wir blieben in Kontakt und sie schrieb auch das Vorwort zu meinem Buch „Diesseits von Eden“.

Goodall studierte in Afrika lange das Leben der Schimpansen. Sie berichtet von einer ziemlich erschütternden Situation, wie ein Stamm in monatelangen Auseinandersetzungen einen anderen Stamm förmlich ausrottet. Können Tiere also sündigen?

Hagencord: Bis in die siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts war unser Wissen über Schimpansen dürftig. Wir pflegten die Vorstellung des „guten Affen“. Die Schimpansen sind uns ganz nah – auch in negativer Beziehung. Der Mensch ist das brutalste und egoistischste Lebewesen – und nach ihm kommt schon meiner Meinung nach der Schimpanse. Da er uns so nahe ist, scheint er zu so einem Verhalten fähig zu sein, das biologischen Gesetzmäßigkeiten widerspricht, daß er förmlich über Leichen gehen kann. Die Frage nach unmoralischem Verhalten kommt bei ihm durchaus ins Blickfeld.

Haben Tiere eine Seele?

Hagencord: Die Natur, die gesamte Schöpfung, ist von Gott. Man kann sie insgesamt als beseelt definieren.

Wenn alles Leben, alles, was existiert, „beseelt“ ist – also auch ein Atom?

Hagencord: Was ist Seele? Das müßten Sie mir einmal definieren, was Sie darunter verstehen. Ich bin Monist. Die Welt ist einheitlich aufgebaut. Ich kann nicht die Schöpfung in zwei Sphären einteilen: Natur und unabhängig davon etwas wie Seele oder Geist.

Aber wo ist die Zäsur – der Unterschied zwischen Tier und Mensch?

Hagencord: Wir müssen uns vor dem anthropozentrischen Weltbild hüten. Welchen Menschen soll Gott denn mit der Geistseele, die das Tier angeblich nicht hat, ausgestattet haben: den Australopthecus afarensis oder erst den Homo erectus? Aber natürlich entwickelt sich die Natur, wenn auch nicht zielgerichtet zu höherem. So ist der Mensch ein Geschöpf, das Verantwortung hat und Kultur entwickelt, während das Tier bleibt.

Der Mensch als Krone der Schöpfung – steht er nicht über dem Tier?

Hagencord: Thomas von Aquin sagt: Dem Tier kommt Gottunmittelbarkeit zu. Der Mensch mußte das Paradies verlassen, die Tiere durften bleiben. Gott ist der Liebhaber des Lebens – also auch der Tiere.

Und die Sintflut? Ist da Gott nicht brutal mit der Tierwelt umgegangen, er hat sie förmlich fast ausgerottet.

Hagencord: Ich habe eine andere Interpretation: Der Mensch hat durch sein falsches Verhalten die Tiere mit ins Verderben genommen. Gott wollte aber beide retten. Von den Tieren hat er sogar von jeder Gattung zwei in die Arche genommen. Und dann nehmen Sie das Bild der Arche: Mensch und Tier sind in einem Boot.

Wenn ich sterbe (und käme in den Himmel) – würde ich dort auch meinen Hund wiedertreffen?

Hagencord: Wünschen Sie sich das? Warum soll es nicht so eintreffen. Noch einmal: Gott sind die Tiere sehr, sehr nahe.

Haben Sie ein Tier?

Hagencord: Das möchte ich einem Tier nicht antun. Dazu bin ich viel zuviel unterwegs. Aber ich träume davon, auf einem Bauernhof auf dem Land zu leben.

 

Dr. Rainer Hagencord, geboren 1961 in Ahlen (Westfalen), hat in Münster und Fribourg Theologie studiert. Er wurde 1987 zum Priester geweiht und hat nach vierjähriger seelsorglicher Arbeit Biologie und Philosophie in Münster studiert. Er ist Leiter des am 15. November 2009 in Münster eröffneten Instituts für theologische Zoologie ( www.theologische-zoologie.de ).

 

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