© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/10 26. Februar 2010

Teufelsgabel
Politische Zeichenlehre XCIII: Dreizack
Karlheinz Weissmann

Die Ukraine kommt im politischen Bewußtsein der Europäer kaum vor. Nur wenn sich an ihrem östlichen Rand, im Übergangsraum nach Rußland, Kalamitäten anbahnen wie jetzt im Zusammenhang mit der Präsidentschaftswahl, erinnert man sich an dieses Land, das immerhin teilweise bis zum Untergang der Habsburger Monarchie wenn nicht zum „Westen“, dann doch zur „Mitte“ des Kontinents gehörte.

Während der siegreiche Kandidat für das höchste Amt der Ukraine, Wiktor Janukowytsch, vor Zeiten, als er noch im Besitz der Macht war, die alte, aus der sowjetischen Ära stammende Flagge bevorzugte, zeigt er sich nun als guter ukrainischer Patriot und verwendet wie seine Gegner, die ihr Orange verbannt haben, die traditionsreichen ukrainischen Farben: Blau und Gelb, die man populär vom strahlenden Himmel über den Kornfeldern der Ukraine ableitet, die aber tatsächlich auf das Wappen des Fürstentums Galizien zurückgehen.

Blau und Gelb sind auch die Farben des Wappens, das nur aus einer Figur, dem tryzub (gelb auf Blau), einem reich ornamentierten Dreizack, besteht. Obwohl der ukrainische Dreizack eine lange Tradition hat, ist seine ursprüngliche Bedeutung nicht geklärt.

Die Interpretationen reichen vom Monogramm des Staatsgründers Wladimir über die Dreiteilung des Kosmos in Unterwelt, Erde und Himmel bis zum Umriß eines sich herabstürzenden Falken. Der Versuch, dem Symbol sogar eine bis in die Antike zurückreichende Geschichte zu geben, ist wenig überzeugend, wahrscheinlich handelt es sich nur um formale Übereinstimmungen mit älteren Emblemen.

Der älteste Beleg dürften Prägungen der Kiewer Rus aus dem 10. und 11. Jahrhundert sein, auf denen sich der Dreizack als Zeichen der Großfürsten findet. Das Zeichen muß sich dann einer erheblichen Popularität in der Ukraine erfreut haben – es wurden mehr als zweihundert Varianten an Gegenständen, Kleidungsstücken oder Gebäuden nachgewiesen –, aber nur in den kurzen Phasen der staatlichen Unabhängigkeit während des 20. Jahrhunderts erlangte der Dreizack den Status eines Nationalsymbols. So beschloß der provisorische Zentralrat am 22. März 1918 die Annahme als Staatswappen, um so die Kontinuität gegenüber der Rus zu dokumentieren.

Nach der Besetzung durch sowjetische Truppen wurde das Symbol sofort unterdrückt, und seine Verwendung galt als Hochverrat. Der Dreizack tauchte deshalb nur noch in den Kreisen der Exil-Ukrainer, bei den Truppen des antikommunistischen Widerstands, und als Ärmel-abzeichen ukrainischer Waffen-SS-Verbände auf. Vergessen war er aber nicht, und nach der Auflösung der Sowjetunion konnte der neugebildete ukrainische Staat 1996 zum Dreizack als Staatswappen zurückkehren.

Der tryzub steht in der politischen Symbolik relativ isoliert da, obwohl der Dreizack seit alters eine gewisse Verbreitung als Jagd- und Kriegswaffe hatte und eine entsprechende Insignie als Abzeichen verschiedener Gottheiten des Vorderen (Baal) und des Fernen Orients (Shiva) sowie des griechischen Meeresgottes Poseidon (römisch: Neptun) galt.

Die Funktion als Machtzeichen erklärt wahrscheinlich auch, warum ein Dreizack die mehr als drei Meter hohe Neunfüßige Weiße Standarte krönt, die Dschingis Khan 1206 an der Quelle des Okon-Flusses aufstellte, um dem mongolischen Volk ein Symbol seiner Einheit zu geben. Eine Rekonstruktion dieses Feldzeichens befindet sich heute im Regierungsgebäude in Ulan Bator zusammen mit der Schwarzen Standarte, die die kriegerische Macht versinnbildlicht, um die nationale und kulturelle Identität der Mongolen auszudrücken.

In Europa machte vor allem das Christentum Vorbehalte gegenüber dem Dreizack geltend, weil im Volksglauben die Vorstellung verbreitet war, daß es sich um die „Teufelsgabel“ handle. Eine Verwendung im politischen Zusammenhang außerhalb der Ukraine ist eigentlich nur in einem Fall bekannt: eine kleine nationalistische Gruppe im Frankreich der siebziger Jahre, der Mouvement National Révolutionnaire (MNR), drückte seine Ideologie des „Dritten Weges“ mit dem Dreizack (eigentlich drei Balken, die durch einen Querbalken verbunden waren, weiß auf schwarz) aus und behielt trotz seiner zahlenmäßigen Bedeutungslosigkeit bis heute eine gewisse Virulenz unter den „neuen Nationalisten“, vor allem soweit sie zum außerparlamentarischen Arm der Bewegung (Nouvelle Résistance) oder den „Identitären“ gehören.

Die JF-Serie „Politische Zeichenlehre“ des Historikers Karlheinz Weißmann wird in zwei Wochen fortgesetzt.

Foto: Dreizack im Wappen der Ukraine: Verbreitete Jagd- und Kriegswaffe

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