© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/10 26. Februar 2010

Gefangen im Dschungel der Verbote
Ein Land der eingeschränkten Freiheiten: Das Stuttgarter Alkoholverkaufsverbot als Spitze des Verbote-Eisbergs
Tobias Westphal

Früher war dies unproblematisch: abends in der Stammkneipe ein paar Zigaretten rauchen, mit seinem 20 Jahre alten Auto zur Tankstelle in die Innenstadt fahren, dort für die Nacht noch ein paar Flaschen Bier kaufen; zuhause angekommen erfreut man sich an der vererbten Waffensammlung, die man im Wohnzimmer an der Wand hängen hat. Diese Zeiten sind vorbei, und für manch einen Bundesbürger wird es immer schwieriger, sich innerhalb der bestehenden Gesetze zurechtzufinden. Ja, er fragt sich: Muß immer Otto Normalverbraucher ein Stück Freiheit aufgeben, wenn es an irgendeiner Ecke brennt? Überzieht man lieber die Allgemeinheit mit neuen Gesetzen und Verboten, da die sich am wenigsten wehrt?  

Ab 1. März tritt nun in Baden-Württemberg das „Gesetz zur Abwehr alkohol-beeinflußter Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung während der Nachtzeit und zum Schutz vor alkoholbedingten Gesundheitsgefahren (Alkoholverkaufsverbot)“ in Kraft.

Zum einen wird dort der Verkauf von Alkohol reglementiert; „in Verkaufsstellen dürfen alkoholische Getränke in der Zeit von 22 Uhr bis 5 Uhr nicht verkauft werden“. Ausgenommen sind Hofläden, Verkaufsstellen landwirtschaftlicher Genossenschaften und landwirtschaftlicher Betriebe und Verkehrsflughäfen. Dieses Gesetz wurde erlassen, weil sich vor allem Vertreter der Polizei vehement dafür stark gemacht haben, in den Nachtstunden die Verfügbarkeit von Alkohol für Jugendliche einzuschränken. Rund dreißig Prozent der jugendlichen Täter sollen laut Polizeibericht im Jahr 2008 unter Alkoholeinfluß gestanden haben; vor allem Gewaltdelikte würden sich nach Alkoholkonsum häufen.

Zum anderen wird auch die Werbung der Gastwirte eingeschränkt, denn „es ist verboten, alkoholische Getränke in einer Weise anzubieten oder zu vermarkten, die geeignet ist, dem Alkoholmißbrauch oder übermäßigem Alkoholkonsum Vorschub zu leisten“. Damit soll vor allem Werbung für sogenannte „Flatrate-Partys“ verhindert werden. Eine Flatrate-Party bedeutet, daß man einen festen Betrag als Eintritt zahlt und dann gewisse Getränke während dieser Veranstaltung kostenlos verzehren kann.

Fraglich ist jedoch, ob diese Verbote wirklich die erhofften Lösungen sind. Denn Kritiker argumentieren, daß die konsequente Umsetzung des Jugendschutz- und Gaststättengesetzes einer gesetzlichen Verschärfung zum 1. März nicht bedarf. Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren dürfen keinen Alkohol erwerben, erst ab 16 Jahren sind Bier und Wein erlaubt. Mit 18 Jahren ist jeder Bürger volljährig und für sich und seine Taten und auch den Umgang mit Alkohol verantwortlich. Es ist fraglich, ob die Beschränkung des Verkaufs ab 22 Uhr die Probleme im Zusammenhang mit Alkohol und Gewalt beseitigt.

 In Baden-Württemberg hat das Verwaltungsgericht schon einmal dazu Stellung genommen. In Freiburg im Breisgau hatte man im Jahr 2007 in einem großen Bereich in der Altstadt immer freitags und samstags zwischen 22 und 6 Uhr den Alkoholgenuß auf Freiflächen und den Aufenthalt untersagt, wenn er überwiegend dem Zweck des Alkoholgenusses diene. Das Verwaltungsgericht Mannheim urteilte damals zugunsten der Freiheit. Ein Alkoholverbot und damit einhergehend eine Einschränkung der Freiheit sei nur dann erlaubt, wenn von dem „Normadressaten auch eine Gefahr ausgeht“. Das bedeutet, daß das Gericht davon ausgeht, daß nicht jeder, der Alkohol trinkt, auch ein Gewalttäter sein muß. Und der damalige Richter hatte auch noch ein anschauliches Beispiel für die Zweifler an dem Urteil: „Für einen See wird auch kein Badeverbot erlassen, weil Nichtschwimmer darin ertrunken sind.“

Auch das Verbot von Werbung für Flatrate-Partys ist fragwürdig. Denn zum einen ist von Werbung noch keiner betrunken geworden, und zum anderen muß jeder Wirt schon aufgrund des Gaststättengesetzes sicherstellen, daß er dem Alkoholmißbrauch keinen Vorschub leisten und die Vorschriften des Jugendschutzes einhalten wird. Das bedeutet, daß ein Wirt einem angetrunken Gast keinen Alkohol mehr ausschenken darf, sei es in einer Gaststätte oder auf einer Flatrate-Party. Es ist also nicht das neue Verbot der Werbung, das einen Alkoholmißbrauch verhindert, sondern der Gastwirt, der die schon bestehenden Gesetze einhält und anwendet.

Die Gastwirte sind zudem betroffen  von der Raucherdebatte. Jedes Bundesland – da der Bund für den Nichtraucherschutz keine Gesetzgebungskompetenz besitzt – hat ein Nichtraucherschutzgesetz erlassen. Soweit dies öffentliche Gebäude betrifft, wie zum Beispiel Sporthallen, Hallenbäder, Universitäten, Kindertagesstätten und Schulen, ist dies auch einsichtig. Diskussionswürdig ist dies jedoch bei Gaststätten.

In jedem Bundesland wird in dieser Frage vor- und zurückgerudert. Die Verwirrung ist groß. Ist das Rauchen in allen Lokalen untersagt, der Zigarettengenuß  in einem Raum mit Größe bis zu 75 Quadratmetern nun doch erlaubt? 

In Bayern wurde zunächst rigoros gehandelt; selbst sogenannte Raucherräume in Gaststätten sollte es nicht geben. Später wurde das Gesetz aufgrund juristischer Umgehung durch Raucherclubs und Proteste wieder gelockert; nun ist in abgetrennten Raucherräumen und in kleinen Gaststätten mit einer Gastfläche von weniger als 75 Quadratmetern das Rauchen grundsätzlich erlaubt.

 Warum wollte man nicht jedem Wirt die Entscheidung überlassen, ob er eine Raucher- oder eine Nichtraucherkneipe betreibt? Und warum wollte man nicht jedem Bürger die Kompetenz geben, im Einzelfall selber zu entscheiden, ob er eine Raucher- oder eine Nichtraucherkneipe betritt? Die ÖDP in Bayern möchte noch immer zum ursprünglichen schärferen Nichtrauchergesetz zurückrudern – aufgrund des Begehrens der ÖDP werden die Bayern am 4. Juli in einem Volksentscheid über ein totales Rauchverbot in ihren Wirtshäusern und Bierzelten entscheiden können.

Doch in Deutschland wird noch mehr als Tabakrauch verboten. In die Umweltzone innerhalb des Berliner S-Bahn-Rings darf man seit Anfang des Jahres nur noch mit schadstoffarmen Fahrzeugen mit einer grünen Feinstaubplakette fahren.

Problematisch ist dies für Unternehmer, denn diese fahren oft mit älteren Lieferwagen, Transportern und kleineren Lastern, die nur eine gelbe Plakette haben. Dies gilt natürlich auch für Touristen mit älteren Wohnmobilen oder Fahrzeugliebhaber, die zwar ein älteres Modell, aber noch keinen Oldtimer im Sinne der Fahrzeugzulassungsverordnung haben und mit gelber Plakette ebenfalls nicht die Umweltzone befahren dürfen. Diese Betroffenen stellen seit Beginn des Jahres zuhauf Anträge auf befristete Ausnahmegenehmigungen.

Ob die Verschärfung der Regelung hinsichtlich der Berliner Umweltzone der Reduzierung des Feinstaubs dient, wird sich zeigen müssen. Denn Auswertungen des Bundesumweltamts sollen beweisen, daß trotz der Umweltzonen die Werte bei Feinstaub und Stickoxiden nicht gesenkt wurden. Der ADAC zumindest kämpft gerichtlich gegen die Berliner Umweltzone, denn diese sei „Unsinn“ und verstoße gegen das Gebot der Verhältnismäßigkeit.

In Hamburg wird derzeit die Einführung einer Umweltzone geprüft. Die Hamburger Wirtschaft lehnt diese Gängelung ab, denn als Folge der Umweltzone wird ein Umsatzrückgang befürchtet.

Ein höchst umstrittenes Thema ist auch das Waffenrecht, das nach dem Amoklauf 2002 in Erfurt verschärft wurde und nach jedem Amoklauf erneut zur Diskussion steht. Zu begrüßen ist grundsätzlich die Waffen-Amnestie, in der nicht registrierte und somit illegale Waffen an die Polizei oder an Behörden abgegeben werden konnten. Mehrere 10.000 Waffen wurden bis Ende des vergangenen Jahres abgegeben, in Nord-rhein-Westfalen waren es über 34.000 und in Bayern circa 34.600 Waffen.

 Doch erscheint dies nur als politische Augenwischerei, denn selbst der Innenminister von Schleswig-Holstein, Klaus Schlie (CDU), erklärt dazu: „Niemand ist so naiv zu glauben, die kriminelle Szene sei mit einer Amnestie-Regelung freiwillig bereit, ihre Waffen abzugeben.“ Somit muß man festhalten, daß nur Bürger ihre Waffen abgeben, die damit sowieso nichts Verbotenes machen wollten oder die es bisher vermieden haben, den notwendigen teuren Waffenschrank zu kaufen. Schade ist es um die zahlreichen Sammlerstücke, die bisher ihre Besitzer erfreuten. In Bayern hat sich das Lande­s­kriminalamt 300 Exemplare gesichert, darunter seltene Pistolen aus dem Zweiten Weltkrieg. Ob diese Rückgabe an die Behörde einen zukünftigen Amoklauf verhindern kann, sei dahingestellt. Für mehr Bürokratie und mehr frustrierte Bürger ist jedenfalls gesorgt.

 

Stichwort: Jugendschutzgesetz: § 9 Alkoholische Getränke

„In Gaststätten, Verkaufsstellen oder sonst in der Öffentlichkeit dürfen 1. Branntwein, branntweinhaltige Getränke oder Lebensmittel, die Branntwein in nicht nur geringfügiger Menge enthalten, an Kinder und Jugendliche, 2. andere alkoholische Getränke an Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren weder abgegeben noch darf ihnen der Verzehr gestattet werden.  (2) Absatz 1 Nr. 2 gilt nicht, wenn Jugendliche von einer personensorgeberechtigten Person begleitet werden. (3) In der Öffentlichkeit dürfen alkoholische Getränke nicht in Automaten angeboten werden.“ (Auszug)

Foto: Ein Opfer deutscher Regelungswut: In Anbetracht all der neuen Trink-, Rauch- und Fahrverbote geht so manchem Bürger der Hut hoch. Was kommt als nächstes?

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