© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/10 26. Februar 2010

Gefahr für Fauna und Flora
Naturschutz: Die heimliche Invasion ortsfremder Lebensformen bedroht heimische Arten
Michael Howanietz

Hunderte Nandus in deutschen Graslandschaften, Zehntausende ostasiatische Marderhunde in deutschen Wäldern und Abermillionen gefräßiger Wollhandkrabben in Flüssen und Seen. Problematische Migration ist zwischen Nordsee und Zugspitze auch in der Natur längst Wirklichkeit. Die Neobiota gliedern sich in Neozoen (Tiere), Neophyten (Pflanzen) und Neomycelen (Pilze). Invasive Neobiota zeichnen sich durch aggressive Ausbreitung und das Erlangen regionaler Dominanz aus. Ihre Herkunft ist so unterschiedlich wie die Folgen ihrer Anwesenheit.

Während die gesellschaftliche Amerikanisierung oder die Asiatisierung durch Billigprodukte „made in China“ unübersehbar ist, bleibt ein vergleichbares Geschehen in Feld und Flur weitgehend unbemerkt (JF 16/05). Fremde Tierarten bevölkern die kargen Restflächen der „freien Wildbahn“ Europas mit zunehmender Rasanz. Zu den bekanntesten Bioinvasoren zählen unter den Säugetieren Waschbär, Bisamratte oder Mink (Nerz). Sie wurden freigesetzt, entkamen aus Pelztierfarmen oder wanderten über Transportwege ein. Ihre erfolgreiche Vermehrung zeitigt für die heimische Tierwelt aber gravierende Folgen.

So wurden einige Exemplare des nordamerikanischen Grauhörnchens (Sciurus carolinensis) zu Beginn des 20. Jahrhunderts in England ausgesetzt. Sie fanden in den englischen Wäldern ideale Lebensbedingungen vor und breiteten sich bis nach Deutschland aus: zum Schaden des einheimischen Eichhörnchens, das nahezu vollständig aus britischen Wäldern und Parks verschwunden ist; zum Schaden der ansässigen Vogelwelt, dessen Nahrungskonkurrent und Freßfeind das Grauhörnchen ist; und als Waldschädling schließlich auch zum Nachteil des Baumbestandes.

Besonders dramatisch verlief die Freisetzung der nordamerikanischen Verwandtschaft für den europäischen Edelkrebs (Astacus astacus). Die etwa aus Aquarien stammenden und in Bachläufen ausgesetzten Kamberkrebse (Orconectes limosus) schleppten die von Pilzen übertragene Krebspest ein. Während die Pestboten selbst immun waren, wurden die heimischen Krebse beinahe ausgerottet.

Vor allem in durch den Menschen geschädigten Ökosystemen werden eingewanderte Arten zum Problem. Die steigende Nachfrage nach exotischen Jagdobjekten, Heim- und Zootieren verschärft die Situation. Denn allzu oft entledigen sich die Besitzer ihrer lästigen Schützlinge in so unverantwortlicher wie illegaler Weise. Die Besetzung der Überlebensnischen heimischer Wildtiere und das Einschleppen von Krankheitserregern in den Naturkreislauf werden dadurch gefördert.

Auch mit dem Ballastwasser großer Schiffe gelangen seit Jahren Myriaden potentieller Invasoren nach Europa. Das zur Hochseetauglichkeit der Schiffe gebunkerte Wasser wird in den Häfen achtlos entladen. Die darin angereisten blinden Passagiere gelangen damit in küstennahe Gewässer und Flußmündungen. In den Unterläufen untersuchter deutscher Flüsse beträgt der Anteil von Neozoen daher bereits 20 Prozent des gesamten dort vorkommenden Artenspektrums. In Hafenbecken fanden sich unterschiedlichste Typen eingeschleppten Zooplanktons, von Weichtieren und Fischen. Insgesamt umspannt der durch die globalen Verkehrsanbindungen verursachte Artentransfer Zehntausende Spezies, von denen etwa zehn Prozent mit den vorgefundenen Lebensbedingungen zu Rande kommen und sich folglich vermehren.

Als Ausweg fordert eine vom Global Invasive Species Programme (GISP, einer Partnerorganisation von BirdLife) durchgeführte Studie streng kontrollierte Handelsbeschränkungen. Dann, so die Weltnaturschutzunion IUCN, könnten sich bedrohte heimische Arten wieder erholen. Auch sei es erheblich billiger, rechtzeitig gegenzusteuern, als erst nach einer etwaigen Etablierung der ungewollten Zuzügler zu handeln, so der stellvertretende IUCN-Generaldirektor William Jackson.

Die jüngste Bedrohung unserer Laub- und Obstbaumbestände ist der aus China stammende und in Italien bereits etablierte Zitrusbockkäfer (Anoplophora chinensis). Über den Import von Pflanzen, Holzspielzeug und Möbeln sowie über Transportkisten gelangt der als Käfer bis zu vier Zentimeter lange und als Larve breite Fraßgänge ins Holz bohrende Baumschädling nach Europa.

Die heimische Flora ist in noch größerem Umfang von botanischen Verdrängungsprozessen betroffen – mit ökologischen und medizinischen Auswirkungen. Das drüsige oder indische Springkraut (Impatiens glandulifera) hat sich im Bayerischen Wald zum Problem entwickelt. Das schwerste Allergien auslösende amerikanische Traubenkraut (Ambrosia artemisiifolia) hat sich vor allem im Oberrheingraben und der Lausitz breit gemacht. Der bei Berührung zu schweren Hautreizungen führende Riesenbärenklau (Herkules-Staude/Heracleum mantegazzianum) wurde vor zwei Jahren vom Botanischen Sondergarten Wandsbek sogar zur „Giftpflanze des Jahres“ gekürt.

Die Maßnahmen zum Schutz der heimischen Fauna und Flora hinken den Realitäten um Jahre hinterher. So soll das als Kardinalproblem enttarnte Ballastwasser erst ab dem Jahr 2016 von den Schiffsbesatzungen gereinigt werden, ehe es abgelassen wird. Und selbst dann wird es Ausnahmeregelungen geben, wie die politische EU-Erfahrung lehrt.

Die GISP-Studie „Global indicators of biological invasion“ ist unter www.birdlife.org/news im Internet abrufbar.

Foto: Grauhörnchen, Springkraut, Zitrusbockkäfer, Riesenbärenklau, Waschbär (v.l.n.r.): Bioinvasoren

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