© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/10 19. Februar 2010

Jagd auf das Buch der Bücher
Glauben ist Macht: Mit „The Book of Eli“ haben die Brüder Hughes einen unterhaltsamen Action-Film voller Ungereimtheiten gedreht
Michael Insel

Der Weltuntergang – genauer gesagt: das, was nach dem Weltuntergang kommt – ist ein Thema, das Filmemacher nicht losläßt. Mit „Things To Come“ (Was kommen wird) nach einem Drehbuch von H. G. Wells, aus dessen Feder auch die Romanvorlage stammte, begründete William Cameron Menzies dieses Genre schon 1936. Sein Streifen prophezeite mit bemerkenswerter Hellsicht, was in Zukunft kommen würde – jedenfalls in der Zukunft des postapokalyptischen Kinofilms. Sowohl der Hollywood-Mainstream als auch Nischenproduktionen aus der Exploitation/B-Movie-Sparte folgen seither dem damals vorgegebenen Muster aus desaströsem Krieg, tödlichen Seuchen und dem Rückfall in die Barbarei – rundherum düsterste Aussichten für die Menschheit.

„The Book of Eli“, mit dem sich die Zwillinge Albert und Allen Hughes nach drei gemeinsamen Regiearbeiten und einer neunjährigen Pause wieder in den Multiplexen zurückmelden, bildet keine Ausnahme. Einunddreißig Jahre nach dem großen Großen Krieg ist von den USA – wie vermutlich von der gesamten restlichen Welt – nur eine unwirtliche Ödnis übriggeblieben. Vegetation ist rar, Wasser ein heiß umkämpftes und teuer bezahltes Gut, und die wenigen Überlebenden kauern in den Ruinen oder irren ziellos umher, bis sie über kurz oder lang marodierenden Banden von Räubern und Kannibalen zum Opfer fallen.

Aus Staub und Asche kommt ein einsamer Mann (Denzel Washington) ins Bild. Sein Name, so steht es auf einem in seinen Rucksack eingenähten Etikett, ist Eli. Seit dem Jahre Null ist er gen Westen unterwegs (nun ja, die USA sind in der Tat groß!), um seine Mitgift zu überbringen – die allerletzte erhalten gebliebene Bibel. Auf ihr, so die Verheißung, soll sich eine neue Zivilisation begründen. Alle anderen Exemplare des Buchs der Bücher wurden in der Überzeugung vernichtet, religiöse Konflikte hätten die Katastrophe verursacht.

Dies ist nur eins von zahlreichen Handlungsmomenten, die die Bereitwilligkeit des Zuschauers, sich der Eigenlogik des Genres auszuliefern, allzusehr strapazieren. Denn wie sollte eine kollabierende Zivilisation die Mittel aufbringen, sämtliche im Umlauf befindlichen Bibeln zu konfiszieren und einzustampfen? Wer geneigt ist, über derlei Ungereimtheiten hinwegzusehen, wird „The Book of Eli“ als unterhaltsamen, freilich recht blutigen „Mad Max“-Verschnitt mit hervorragender Kameraarbeit und mitreißenden Action-Sequenzen genießen: schick anzusehen und weitgehend substanzlos – genau das eben, was man sich von den Regisseuren von Streifen wie „Menace II Society“ (Die Straßenkämpfer, 1993) oder „Dead Presidents“ (Der Weg durch die Hölle, 1995) erhofft.

Nach altbewährter Western-Manier – man denke an Alan Ladd in der Titelrolle des Klassikers „Shane“ (1953)  oder auch an Clint Eastwood als den Namenlosen – will Eli nichts weiter, als daß man ihn in Frieden seines Weges ziehen läßt. Klar, daß er so glimpflich nicht davonkommt, und ebenso selbstverständlich weiß er sich aller Bösewichter mit einem schnellen Griff zur Waffe – ob Pistole, Machete oder Pfeil und Bogen – zu entledigen. In einem gottverlassenen Nest schließlich trifft er auf einen richtig üblen Zeitgenossen, den skrupellosen Carnegie (herrlich unsympathisch: Gary Oldman), der es auf seine Bibel  abgesehen hat. Denn Glauben ist Macht, und Carnegie will mit dem Wort Gottes die Herrschaft über die erbärmlichen Überreste der Menschheit erlangen – ein interessanter Handlungsstrang, den Drehbuchautor Gary Whitta trotz aller Berufserfahrung als Texter von Videospielen heillos vergeigt.

Die Jagd auf Eli, der mitsamt seinem Buch und Carnegies Stieftochter Solara (die attraktive Mila Kunis, die den Jüngsten Tag offensichtlich für ein ungeheuer angesagtes Indie-Festival hält) entkommen kann, endet mit einer furiosen Schießerei auf einem Bauernhof. Dort fristen die britischen Routiniers Michael Gambon und Frances de la Tour, die schon ganz andere Desaster überstanden haben, als exzentrisches Paar ihr Dasein und spielen alle anderen Beteiligten an die Wand. Leider ist das zwar der Höhepunkt des Films, aber noch nicht die Schlußszene – von nun an führt die Handlung im zielstrebigen Zickzack auf ein Ende mit Schrecken zu, das nicht nur herzlich wenig Sinn ergibt, sondern auch alles Vorangegangene sinnfrei erscheinen läßt.

Foto: Eli (Denzel Washington) wandert seit dreißig Jahren durch Staub und Asche gen Westen: Rundherum düsterste Aussichten für die Menschheit

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