© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/10 19. Februar 2010

Sprechende Mauern
Eine Nürnberger Ausstellung führt die Geschichte der Plakatwerbung vor Augen
Karlheinz Weissmann

Das Wort „Plakat“ stammt ursprünglich aus dem Niederländischen und bezieht sich auf Papierbogen, die die Freiheitskämpfer während der Erhebung gegen die spanische Herrschaft an die Wände „plackten“. Davon leitete sich sowohl das französische „placard“ als auch das deutsche „Plakat“ ab. Allerdings sind Plakate wesentlich älter. Mitteilungen oder Aufrufe – auch zum Zweck der Wahlwerbung – gab es schon im antiken Rom, wo man sie direkt auf die Wände brachte.

Die Situation änderte sich dramatisch durch die Erfindung der Buchdruckerkunst und die damit gegebenen Möglichkeiten der Reproduktion. Luthers Thesen-Anschlag und die rasende Verbreitung seiner Auffassungen legen davon beredtes Zeugnis ab. Die anschließenden Flugblattkriege des Reformationszeitalters, des Dreißigjährigen Krieges, der englischen, amerikanischen und französischen Revolutionen des 17. und 18. Jahrhunderts gaben der Entwicklung des Plakats Auftrieb. Dabei spielten religiöse oder ideologische Fragen eine ausschlaggebende Rolle.

Das änderte sich unter dem Einfluß von Industrialisierung und globalem Warenaustausch. Ökonomische Konkurrenz stimulierte wie nichts anderes die Entwicklung der Reklame, die am Ende des 19. Jahrhunderts auch die neuen technischen Möglichkeiten nutzte, die die Vervielfältigung von Bildern erleichterten.

Warenpropaganda und Markentechnik – die immer auf optische Eindrücke angewiesen ist – gingen Hand in Hand. So entstand ein Konzept, in dessen Rahmen das großformatige, rasch farbig gestaltete Plakat – an der Wand oder Litfaßsäule, „auf dem Reiter“ befestigt oder vom „Sandwich-Mann“ getragen – zentrale Bedeutung gewann.

Anfang des 20. Jahrhunderts schilderte ein zeitgenössischer Beobachter die „sprechenden Mauern“, durch die man sich in modernen Großstädten bewege, auf Schritt und Tritt von Plakaten begleitet. Die Äußerung findet sich zitiert in der aktuellen Ausstellung des Germanischen Nationalmuseums zum Thema Plakat.

„Plakativ!“ beruht auf der Nürnberger Plakatsammlung, die ursprünglich von Georg Bergler, Professor an der örtlichen Hochschule für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, angelegt wurde, um Belege für sein Spezialgebiet der Absatzforschung und Werbelehre zur Verfügung zu haben.

Die Sammlung ging dann in den Besitz der Nürnberger Akademie für Absatzwirtschaft und der Gesellschaft für Konsumforschung über, die 1934 unter anderem von Ludwig Erhard gegründet wurde und sich als eine der ersten Institutionen in Deutschland mit Marktforschung befaßte. Seit 2002 gehört sie dem Germanischen Nationalmuseum. Die Auflage, die Sammlung in einer repräsentativen Schau der Öffentlichkeit vorzustellen, soll mit der gegenwärtigen Ausstellung von rund 350 zum Teil großformatigen Stücken erfüllt werden.

Die Konzeption ist teilweise historisch orientiert und erklärt die Ursprünge des modernen Plakatwesens, die Bedeutung von Massenproduktion und Internationalisierung wie bildgebender Verfahren und der modernen Gebrauchsgraphik für seine Durchsetzung.

Die ältesten Stücke der Exposition stammen aus Paris und London, wo zuerst Verlage und Unterhaltungsbranche mit Anschlägen um Besucher und Kunden warben. Rasch wurde dieses Konzept auch von der Konsumgüterindustrie übernommen, die mit dem neuen Mittel direkt an die Menschen herantrat und den Schwerpunkt der Reklame vom Händler weg zum Erzeuger hin verlegte.

Neben der Genese wird die Wirkung des Plakats in Nürnberg vor allem mit Hilfe eines „imaginären Warenhauses“ erklärt, das die Warenwelten von Nahrung und Genußmittel, Haushalt, Körperpflege, Mode, Medien und Freizeit vorstellt. Dabei geht es um Klärung der Fragen, wie der Zusammenhang zwischen einzelnen Produkten und bestimmten Slogans oder Bildmotiven hergestellt wird, welche Wünsche überhaupt erst geweckt werden, welche Suggestionen dabei eine entscheidende Rolle spielen und wodurch eine feste Bindung zwischen Kunde und Ware entsteht.

Jede der nach Produktgruppen geordneten sechs Abteilungen stellt eine klassische Marke mit repräsentativem Charakter für den deutschen Markt vor: Maggi, Coca Cola, Persil, Nivea, Palmers, Agfa und VW. Vor allem anhand dieser bis heute bekannten Firmen und ihrer Plakate erklärt man die Konzeption und Wirkung von Markenidentität, wie sie zwischen 1885 und 1965, der klassischen Zeit der Plakatwerbung, entscheidende Bedeutung besaß – bevor Fernsehen und später die Gewohnheiten des Internetnutzers die Wahrnehmung grundlegend veränderten, ohne doch das Plakat vollständig verdrängen zu können.

Die Ausstellung ist bis zum 11. April im Germanischen Nationalmuseum, Kartäusergasse 1, täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, Mi. bis 21 Uhr, zu sehen. Telefon: 09 11 / 13 31-0

Der sehr informative, reich illustrierte Begleitband mit 576 Seiten und 400 Abbildungen kostet im Museum 38 Euro (im Buchhandel für 49,80 Euro).

Fotos: Odol-Werbung: Welche Wünsche werden überhaupt erst geweckt?, Coca-Cola-Werbung

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