© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/10 19. Februar 2010

Pankraz,
der Autor und die Sharing-Kultur

Eine Bank läßt sich nicht gerade leicht enteignen, selbst wenn sie nur noch aus Schulden und faulen „Wertpapieren“ besteht, wie die gegenwärtige Finanzkrise gezeigt hat. Autoren hingegen, sogenannte geistige Urheber, können geradezu spielend um ihr Eigenes gebracht werden, man plagiiert sie einfach, schreibt sie ab und macht mit dem Abgeschriebenen schöne Gewinne. Zwar gibt es ein Urheberrechtsgesetz, das diese Art von „geistigem Diebstahl“ strikt verbietet, aber just dieses Gesetz wird in letzter Zeit von starken gesellschaftlichen Kräften frech ignoriert und planvoll verletzt, ohne daß der Gesetzgeber dagegen einschritte.

Der Autor bekommt zum Schaden sogar noch den Hohn. Er sei ja bloß eine Einbildung, wird ihm entgegengehalten, ein verlogenes Logo bürgerlicher Besitzkultur. In Wirklichkeit gebe es – wie das Internet tagtäglich beweise – lediglich kollektive Kreativität und Sprachbildnerei, eine „Sharing-Kultur“,  eine Shareholder-Kultur, an der auch noch der größte Literaturtölpel von Haus aus Anteile besitze, die er jederzeit verkaufen dürfe, wenn er die richtigen Beziehungen dafür hat.

Der Fall der Helene Hegemann (17), deren Pubertätsroman „Axolotl Roadkill“ vor einigen Wochen im Ullstein-Verlag erschien und die danach von den Medien sogleich enthusiastisch als „junges Genie“ gefeiert wurde, liefert dazu das treffende Exempel (siehe auch Seite 12). Vorige Woche kam heraus, daß das monströse, mit Sex und Drogen vollgestopfte Werklein über weite Strecken abgekupfert war, aus wortwörtlich übernommenen Sätzen, Absätzen, Einfällen und Szene-Arrangements bestand. Plagiiert worden waren Bücher beziehungsweise Blogger-Einträge von sogenannten Untergrundautoren, die weniger gute Beziehungen zum offiziellen Kulturbetrieb als Hegemann hatten. Denn diese ist die Tochter des Chefdramaturgen der Berliner Volksbühne.

Klein-Helene zog folglich nach ihrer Entlarvung auch keineswegs das Köpfchen ein, im Gegenteil. Sie machte sich lustig über die ganze „Urheberrechtsnudelei“ und schwieg sich provokant aus über die hier und da erhobene Anregung, sie möge doch zumindest die zur Zeit üppig sprudelnden Tantiemen mit den Plagiierten teilen. Zwischen Geldteilung und Ideenteilung bzw. Talentteilung besteht eben auch in der Sharing-Kultur ein grundlegender Unterschied.

Keiner der von Helene angezapften Jungschriftsteller, die sich in den letzten Tagen meldeten und auf ihre Urheberschaft hinwiesen, ist bisher vor den Kadi gezogen, um sein Recht zu erstreiten. Einer bekundete in fast rührendem Ton, er könne Helene „eigentlich gut verstehen“, er habe nur einmal (in aller Bescheidenheit) darauf hinweisen wollen, daß er und niemand anders der Autor dieser oder jener Passage in dem „Axolotl“-Buch sei. Geld will er also nicht. Wichtiger erscheint ihm das Beharren auf seinem schöpferischen Ich, das er offenbar nicht preisgeben will.

Letztlich belegt der Vorgang, daß die zur Zeit so üppig ins Kraut schießenden Theorien von der kollektiven Kreativität des Internet und von der angeblich dort stattfindenden Auflösung des Individuums zugunsten einer „höheren“, völlig unabhängig schwebenden Web-2.0-Mentalität nichts als verantwortungsloses Geschwafel sind, inspiriert von Internet-Lobbyisten, die mehr Handys und Notebooks verkaufen wollen. Das Internet ist ein bloßes Instrument des lebendigen menschlichen Geistes und wird es bleiben. Darin „versinken“ können nur Dummköpfe, Bequemlichkeitsfanatiker und gelangweilte Nichtstuer. Das schöpferische Ich läßt sich von ihm nicht den Schneid abkaufen, für welche Summe auch immer.

Auch das hierzulande fest installierte Urheberrecht hat damit zu tun. Es mag von ökonomischen Verwertungsinteressen entstellt sein, dem Verleger mehr als dem Autor nützen – unterm Strich bleibt die Einsicht, daß es sich bei ihm um eine erstrangige Errungenschaft der abendländischen Neuzeit handelt, welche sich zudem auf Traditionen berufen kann, die schon immer im Geistesleben lebendig waren. Urheberrecht ist Menschenrecht.

Frühere Epochen kannten noch kein solches Recht, aber dafür kannten die, die sich dafür interessierten, jeden Vers von Homer oder Dante genau und hätten jemanden, der behauptete, diese Verse stammten von ihm, einfach ausgelacht und durchgeprügelt. Die Achtung vor der Würde eines „Autors“, eines Sprachschöpfers und Dichters, ist geradezu anthropologische Konstante, war von Beginn an allgemeine Überzeugung. Man ahmte zwar nach, variierte mit Lust neu erfundene Geistestopoi und schöpfte gemeinsam aus dem anonymen Märchen- und Sagenschatz der Völker; bloßes Plagiieren hingegen galt als verächtlich und zog Sanktionen nach sich.

Selbst für schriftlose Kulturen galt das. Die Worte und Lehren der jeweiligen Meister wurden mit größtem Respekt über Generationen weitergetragen und dauerhaft erinnert, und wenn einmal ein Schüler aus dem Schatten des Meisters heraustrat und zu eigenen Formulierungen fand, wurde das sorgfältig vermerkt und als wichtiges Ereignis markiert. Das wegelegende Sprechen genoß eindeutig ein Privileg vor anderen Kunstformen wie Musizieren und Bildermachen, wo die Urheber lange unbeachtet blieben oder in Zünften und Gilden von vornherein kollektiv agierten.

Die Vorstellung eines „Autors“, eines schöpferischen,  kühn ins Unerkannte und Unformulierte ausgreifenden Ichs, hat sich eindeutig im Bereich der Sprache und des Dichtens herausgebildet. Man darf sogar weitergehen und festhalten: Die Einsicht, daß es ein Ich überhaupt gibt, eine abgrenzbare und selbstbewußte Individualität, verdankt sich zum guten Teil dem Wirken von „Autoren“, von Sprach- und Denkmeistern. Ohne sie gäbe es den Menschen gar nicht, der sich kulturell vom Tier abhebt.

Wenn Autoren heute nun  ungeniert ausgeplündert und dazu auch noch verhöhnt werden, in wessen Namen auch immer, ist das eindeutig ein böses Omen. Man sollte sich da keine Illusionen machen. Das Internet allein wird’s nicht richten.

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