© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/10 19. Februar 2010

Der Zahltag wurde nur verschoben
Euro-Zone: Harte Sparbemühungen sollen Investoren zum Kauf griechischer Staatsanleihen animieren
Jörg Fischer

Ob die Hartz-IV-Zahlungen um ein paar Euro erhöht oder Schweizer Kontodaten von Steuerflüchtlingen vom Staat angekauft werden sollen, darüber wird in Politik und Medien schrill und kontrovers gestritten. Dabei geht es hier lediglich um „Peanuts“, wie Hilmar Kopper, einst Vorstandssprecher der Deutschen Bank, formulieren würde. Wirklich fundamentale Entscheidungen werden hingegen selten mit offenem Ausgang diskutiert.

Die milliardenschwere Rettungsaktion für die Spekulantenbank Hypo Real Estate (HRE) wurde in einer Nacht-und-Nebelaktion zwischen Kanzleramt, Finanzministerium und den mit am Abgrund stehenden privatrechtlichen HRE-Gläubigern ausgehandelt. Das Ergebnis wurde ebenso mit parteiübergreifender Mehrheit vom Bundestag abgesegnet wie die Kriegsentscheidung, Deutschland am Hindukusch zu „verteidigen“.

Auch über die Verträge von Maastricht und Amsterdam, die unter anderem die Einführung der Europäischen Währungsunion vorsahen, wurde zwar viel diskutiert – die parlamentarische Entscheidung fiel hingegen überwältigend aus: Mit 575 gegen 35 Stimmen – bei fünf Enthaltungen – wurde die Einführung des Euro im Bundestag abgenickt. Nur die damalige PDS-Fraktion votierte am 23. April 1998 demonstrativ dagegen. Einen Tag später stimmten im Bundesrat auch 15 der 16 Länder zu. Lediglich der CDU-regierte Freistaat Sachsen enthielt sich immerhin der Stimme.

Warnungen vor den Folgen der Währungsunion ignoriert

Sein Land habe erhebliche Zweifel, ob alle Euro-Teilnehmerstaaten mit Blick auf ihren Schuldenstand und die Einhaltung der Konvergenzkriterien reif für die Währungsunion seien, warnte damals Ministerpräsident Kurt Biedenkopf. Er sollte Recht behalten – ebenso wie die Professoren Wilhelm Hankel, Wilhelm Nölling, Karl Albrecht Schachtschneider und Joachim Starbatty, die 1997 Klage beim Bundesverfassungsgericht gegen den Vertrag von Amsterdam zur Einführung des Euro eingereicht hatten, aber in Karlsruhe unterlagen.

Daß die Abschaffung der D-Mark der Preis für die deutsche Wiedervereinigung gewesen sei, geben beteiligte Politiker inzwischen offen zu. Aber das ist bestenfalls die halbe Wahrheit, denn Großbritannien ist dem Euro-Verbund freiwillig ferngeblieben. Der Beitritt Frankreichs war politisch bedingt und wäre vielleicht noch verkraftbar gewesen. Die gleichzeitige Aufnahme des südeuropäischen „Club Méditerranée“ sowie des hochverschuldeten Belgien und des irischen Armenhauses war unverantwortlich: einerseits für die einstigen Stabilitätsländer Deutschland, Österreich und die Niederlande (sie hatten seit den siebziger Jahren schon eine informelle Währungsunion), die – wie nun im Falle Griechenland (JF 7/10) – direkt oder indirekt als Bürgen in Anspruch genommen werden. Andererseits auch für die an eine laxe Geld- und Haushaltspolitik gewöhnten Südeuropäer, denen 1999 die für ihre Wirtschaft überlebenswichtige Möglichkeit genommen wurde, durch Abwertung von Drachme, Escudo, Lira oder Pesete ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit anzupassen.

Doch letzteres war der Hauptgrund dafür, warum auch die global orientierte Wirtschafts- und Finanzbranche der Stabilitätsländer und die sie unterstützenden Ökonomen (wie etwa die Chefvolkswirte Otmar Issing/Bundesbank oder Norbert Walter/Deutsche Bank) massiv für den Euro trommelten. Ihnen ging es in erster Linie darum, die Ex- und Importpreise von den irrationalen Schwankungen auf den Devisenmärkten unabhängiger zu machen. Denn der Exportweltmeister Deutschland erzielte seine Handelüberschüsse nicht in Übersee, sondern vor allem innerhalb der EU.

Was betriebswirtschaftlich für Bayer oder BMW sinnvoll ist, muß volkswirtschaftlich noch lange kein Gewinn sein – und jetzt wird die Rechnung fällig. Griechenland hat jahrelang über seine Verhältnisse gelebt und Milliardenschulden in harter Euro-Währung angehäuft, denn die Zinsen waren niedrig. Mit dem Geld wurde kräftig konsumiert – zum Beispiel VW Golf made in Germany. Doch die griechische Wirtschaft konnte da nicht mithalten – ihre Orangen, Oliven oder Urlaubsangebote sind auf Euro-Preisniveau einfach zu teuer.

Angesichts der Weltfinanzkrise zittern nun die renditegierigen Käufer der griechischen Staatsanleihen (mit denen der Konsumrausch bezahlt wurde) um ihr vermeintlich sicher angelegtes Geld: Allein deutsche Banken sollen griechische Privat- und Staatsschulden in Höhe von über 43 Milliarden Euro halten. Bislang ermöglichten Risikoaufschläge von etwa drei Prozentpunkten (gegenüber deutschen Bundespapieren) den am finanziellen Abgrund stehenden Griechen, mit neuen Bonds die Altschulden zurückzuzahlen und zugleich seine Neuverschuldung zu finanzieren.

Investoren wetten auf einen griechischen Staatsbankrott

Doch die Kreditgeber sind nervös geworden, seit der unverfrorene griechische Haushaltszahlenbetrug (unter anderem mit Hilfe der US-Bank Goldman Sachs vollzogen) offenkundig wurde. Daher wird jetzt auf den Finanzmärkten heftig gegen Athen spekuliert und auf einen Staatsbankrott gewettet – unter anderem mit den berüchtigten Kreditderivaten (Credit Default Swaps/CDS, JF 29/09). Sollte Griechenland Konkurs anmelden, würden sich die Finanzmarktakteure sofort anderen Wackelkandidaten zuwenden – Spanien steht allein bei deutschen Banken mit 240 Milliarden Euro in der Kreide, im Falle Irland sollen es 193 Milliarden sein, Portugal schuldet deutschen Gläubigern 47 Milliarden. Das ebenfalls hochverschuldete Italien steht hingegen vor allem bei inländischen Investoren in Zahlungsverpflichtung.

Theoretisch ist durch die EU-Verträge zum Euro eine Schuldenübernahme durch die anderen Euro-Länder ausgeschlossen (siehe den Meinungsbeitrag auf Seite 2). Dennoch haben die EU-Staats- und Regierungschefs bei ihrem Sondergipfel vorige Woche eine prinzipielle Beistandserklärung für Griechenland abgegeben, um die Stabilität der Euro- Zone zu sichern. Geld fließt vorerst nicht. Die Euro-Finanzminister forderten am Montag von Athen nur einen noch schärferen staatlichen Sparkurs.

Am 16. März muß die Athener Regierung zum Sparrapport nach Brüssel. Der Verzicht auf klare Entscheidungen soll nun einerseits die Finanzmärkte erst einmal beruhigen und andererseits die Steuerzahler in den Stabilitätsländern – welche die Zeche letztlich zu bezahlen haben – bei Laune halten. Wenn die Athener Sparbemühungen nicht ausreichen oder am Widerstand der griechischen Bevölkerung scheitern sollten (für Ende Februar ist ein erster Generalstreik geplant), dann wollen die anderen Euro-Länder Notfallinstrumente zur Unterstützung Griechenlands einsetzen: „Wir halten es nicht für klug, in aller Öffentlichkeit über solche Instrumente zu sprechen“, erklärte der Chef der Euro-Gruppe in der EU, der luxemburgische Regierungschef Jean-Claude Juncker.

Wilhelm Hankel, Wilhelm Nölling, Karl Albrecht Schachtschneider, Joachim Starbatty: Die Euro-Klage. Warum die Währungsunion scheitern muß. Rowohlt-Taschenbuch-Verlag, Reinbek 1998, broschiert, 303 Seiten, ist nur noch antiquarisch zu erhalten.

Foto: Wetterkarte mit Euro-Ländern: Am 16. März muß die Athener Regierung zum Sparrapport nach Brüssel

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