© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  07/10 12. Februar 2010

Der schmutzige Krieg Stalins
Die Wehrmacht im Osten
Daniel Kneiske

Achtzehn Millionen Deutsche sollen die Uniform der Wehrmacht getragen haben. Alle ihre Angehörigen eingerechnet, kommt man leicht auf weit mehr als die Hälfte der Reichsbürger, die uns im Rückblick als eine „Volksgemeinschaft in Waffen“ gegenübertreten, als in den Zweiten Weltkrieg involviertes Kollektiv.

Erst nach dem Mauerfall ist das geschichtspolitische Potential, das diese Identifizierung von Wehrmacht und Nation barg, erkannt und seitdem zur „brutalst möglichen“ Desinformation, zur Durchsetzung der so lange für ein obsoletes Stück alliierter Propaganda erachteten „Kollektivschuld-These“ instrumentalisiert worden. Von hier nahm die mediale Erfolgsgeschichte des Unwortes „Tätervolk“ ihren Ausgang. Die erdrückende Übermacht der Zeithistoriker spinnt dieses von der politischen Klasse inzwischen verinnerlichte Negativ-Narrativ der „Verbrecher-Nation“ in schuldkultischer Verzückung fort. Vor allem im archivalischen Niederschlag des deutsch-sowjetischen Krieges meinen Professoren, Scharen von Doktoranden und deren journalistische Dolmetscher den unversieglichen Quell für ihre Perpetuierung des Nürnberger Tribunals zu erschließen. Jede neue Publikation zum „Vernichtungskrieg“ an der Ostfront nimmt daher noch die Landser-Urenkel als virtuelle Mittäter in Haft.

Alternative Deutungen wie die des pensionierten Brigadegenerals Dirk W. Oetting über „Wehrmacht und Sowjetarmee im Rußlandkrieg“ kommen gegen die geballte Macht solcher Ideologie nur schwer an. Trotzdem – obwohl sie nur ein Blatt im Wind sein kann – ist dieser von höchstem Differenzierungsvermögen, Sinn für Komplexität und schwer entwirrbare Interdependenzen historischen Geschehens zeugenden Arbeit weiteste Verbreitung zu wünschen.

Exemplarisch sei auf die Kapitel über die grausam-völkerrechtswidrige „Kriegführung der Roten Armee“ und den von Stalin entfachten „Partisanenkrieg“ verwiesen. Was Oetting bedachtsam gegen die sich hierzu auf Agitprop-Niveau bewegenden Schriften der Christian Gerlach & Co. vorbringt, stuft sogar den „Kommissarbefehl“ zum inadäquat milden Mittel im Kampf gegen einen zu jedem „Zivilisationsbruch“ allzeit bereiten Feind. Dabei steht Oetting nicht an, Verstöße der Wehrmacht gegen die Haager Landkriegsordnung („Exzesse“) zu beklagen. Daß sich daraus ein Gesamtkonzept des Ost­heers für einen rassenideologisch motivierten „Vernichtungskrieg“ destillieren ließe, weist der Autor indes zurück.

Dirk W. Oetting: Kein Krieg wie im Westen. Wehrmacht und Sowjetarmee im Rußlandkrieg 1941–1945. Osning-Verlag, Bielefeld/Bonn 2009, gebunden, 336 Seiten, 24 Euro

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