© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  07/10 12. Februar 2010

Erbitterter Kampf um die Festung Rom
Ein Sammelband über Papst Benedikt XVI. und den anhaltenden Streit um das Zweite Vatikanische Konzil
Karl-Heinz Kuhlmann

Es ist ein Hoffnung machender und gefährlicher Band zugleich, der da verschiedene theologische Positionen und Darstellungen zum Fall der rechts-traditionalistischen Pius-Bruderschaft zusammenträgt. Hoffnung machend deshalb, weil hier verschiedene – und sie stellen die Mehrzahl der Beiträge dar – Stimmen im Zusammenhang mit dem Ausgangspunkt der gesamten Kontroverse die Festung Rom berennen. Ob sie allerdings fällt, ist eine andere Frage.  Gefährlich aber auch, weil der Angriff auf die Verteidigungsfront die radikal-konservativen Dogmatiker stärken könnte und somit der Status quo der offiziellen römisch-katholischen Kirchenlehre nur noch mehr verfestigt werden würde.

Mit seinem Text „Können Papst und Kirche irren?“ leitet Hans Maier, ehemaliger bayerischer Staatsminister für Unterricht und Kultus, den Sammelband ein. Er benennt den aufgebrochenen Konflikt in drei Punkten: Liturgiereform; Verhältnis der katholischen Kirche zu anderen Religionen, vor allem zum Judentum; und die Religionsfreiheit. Für Maier scheint klar zu sein, daß der Papst durch seine bisherigen Schritte gegenüber der Bruderschaft die Autorität des Zweiten Vaticanum in Frage gestellt hat. Demgegenüber hält er fest, daß die Kirche irren kann und geirrt hat (Martin Luther!) und somit gerade dieses Konzil notwendig war. Der Schriftsteller Martin Mosebach hingegen begrüßt in seinem Beitrag, der als zweiter der Einleitung folgt, den Konservativismus Ratzingers, indem er die Pius-Gruppe zur einzigen Truppe befördert, die den größten Schatz der Kirche, nämlich die überlieferte Liturgie, bewahrt hat.

Es folgt dann eine Wiedergabe der Dokumente zur päpstlichen Entscheidung: der Brief des Papstes an die Bischöfe vom 10. März 2009; die Note des Staatssekretariats; die Verlautbarungen des Generaloberen der Bruderschaft und die Münsteraner Erklärung.

Als ersten Hauptteil bietet der Sammelband Beiträge zur „Kritik der Tradition“. Kardinal Karl Lehmann jedenfalls verteidigt den Papst in seiner Entscheidung der Aufhebung der Exkommunikation, die nur im Sinne der eigentlichen Aufgabe des päpstlichen Amtes zur Wahrung der Einheit der Kirche zu sehen sei. Er weist jeglichen Verdacht eines „Traditionalismus“ des Papstes zurück. Heinz-Joachim Fischer, Vatikan-Korrespondent der FAZ, bedauert die mangelnde Solidarität der deutschen Katholiken mit dem Papst, der keinen Treuebonus wie Johannes Paul II. bei den Polen habe. Nach seiner Einschätzung hat der deutsche Katholizismus Probleme, während die Weltkirche unter Benedikt unbeirrt Kurs hält.

Für Peter Hünermann, emeritierter Theologe für Dogmatik aus Tübingen, stellt die Aufhebung der Exkommunikation einen Amtsfehler im theologischen Sinne dar, weil er die Bischöfe von einem gültig zustande gekommenen Konzil dispensiert. Daher sind die getroffenen Entscheidungen nichtig; die Kirche steht vor einem Scherbenhaufen ungeheuren Ausmaßes. Roman A. Siebenrock, Dogmatikprofessor aus Innsbruck, sieht in der päpstlichen Entscheidung eine Verletzung der Kollegialität, in die schließlich das Zweite Vaticanum den Papst eingebunden hat. „Treue zum Papst ist wichtig. (...) Es gibt aber Zeiten, da erweist sich diese Treue allein in brüderlicher Korrektur oder gar dadurch, daß wir ihn aus einer Sackgasse heraustragen müssen.“

Sein Innsbrucker Thelogenkollege Guggenberger hält zusammenfassend fest, daß die Positionen der Priesterbruderschaft Pius X. in zentralen theologischen Punkten von der Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils abweichen. Die schwersten Bedenken und damit wohl den gefährlichsten Sprengstoff für das Papstamt trägt Paul Wess (Dozent für Pastoraltheologie an der Universität Innsbruck) vor. Er plädiert für eine Revision der kirchlichen Lehre und damit für eine offene Auseinandersetzung über die Möglichkeit und die Notwendigkeit von Korrekturen des Dogmas.

Aus dem dritten und letzten Teil  „Kontroverse um Vaticanum II.“ seien noch zwei Beiträge hervorgehoben, die sozusagen die „bischöfliche“ und die „theologisch-wissenschaftliche“ Seite der Kontroverse beleuchten. Joachim Kardinal Meisner verteidigt, wie nicht anders zu erwarten, den Papst uneingeschränkt. Er übersieht – bewußt oder unbewußt – die theologischen Implikationen der Aufhebung der Exkommunikation, die er als einen sachlich eigenständigen Vorgang beurteilt, und betont demgegenüber den großen Barmherzigkeitsschritt Benedikts.

Ganz anders Hermann Häring, Emeritus für Dogmatik an der katholischen Universität Nimwegen. Unter der Überschrift „Selbstverschuldete Taubheit“ spart er nicht mit Kritik an diesem Papst. Am Anfang steht für Häring dessen Angst um den Verlust des katholischen Glaubens. „Der junge Professor (Ratzinger) hoffte vergeblich, daß diese Welt nach dem Konzil neu aufblühen wird. Von dieser Enttäuschung erholt er sich nie.“ Seine Gesprächsfähigkeit zu den wirklichen Problemen der Welt nimmt dramatisch ab. „So bewirkt er, was er verhindern will: Unfrieden, Polarisierungen, Kommunikationsmangel zwischen oben und unten, zwischen Europa und anderen Kontinenten. (...) Die Neuentdeckung der Schrift wird des Protestantismus verdächtigt.“ Für Häring erhebt sich sogar die Frage, ob dieser Papst nicht abtreten solle, denn „kann ein Mann seiner Generation überhaupt noch den ungeheuren Anforderungen einer so großen Weltgemeinschaft entsprechen?“

Und so bietet diese Sammlung mehr als nur Beiträge zur Kontroverse um die Pius-Bruderschaft. Sie stößt eine zunächst innere katholische Grundsatzdiskussion um das Wesen dieser Kirche an und damit auch um die Christenheit überhaupt.

Til Galrev (Hrsg.): Der Papst im Kreuzfeuer. Zurück zu Pius oder das Konzil fortschreiben? LIT Verlag, Berlin, Münster 2009, broschiert, 250 Seiten, 24,90 Euro

 

Prof. Dr. Karl-Heinz Kuhlmann lehrte an der Evangelischen Theologischen Fakultät der Universität Leuven.

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