© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  07/10 12. Februar 2010

Casino Euroland
EU: Drohender griechischer Staatsbankrott offenbart Fehlkonstruktion der europäischen Gemeinschaftswährung
Bernd-Thomas Ramb

Die Griechen haben geschummelt! Sogar gelogen? Vielleicht aber auch nur sich – statistisch – geirrt? Fest steht, bei der jährlichen Angabe ihres Haushaltsdefizits waren fortlaufend Korrekturen notwendig, und zwar stets nach oben. Eigentlich hätten die wahren Zahlen sogar eine Aufnahme Griechenlands in den Euro-Verbund verhindern müssen. Bereits damals hatten die Griechen getrickst, sich versehen, was auch immer. Nun mußte das von den griechischen Staatsbuchhaltern wunschgeschätze Staatsdefizit von den Statistikern der Europäischen Statistikbehörde Eurostat für das Jahr 2008 auf 7,7 Prozent des griechischen Bruttoinlandsprodukts (BIP) angehoben werden. Für das Jahr 2009 wurde mit 12,7 Prozent eine kreditfinanzierte Haushaltslücke enttarnt, die so hoch ist wie in keinem anderen Land der Euro-Zone. Der Glaube an die Wahrhaftigkeit griechischer Schuldenangaben ist schwer erschüttert.

Entsetzen, Wut und Hilflosigkeit breiten sich in der Europäischen Union aus. Was soll man mit dem mißratenen Kind machen, das so auf die schiefe Bahn geraten ist? Rauswerfen geht nicht, man ist doch eine Familie. Warum eigentlich nicht, das Kind ist schließlich erwachsen! Der Ausschluß Griechenlands aus dem Euro-Verbund wäre sicher die Höchststrafe. Die Griechen wären in ihrem Stolz bis ins Mark getroffen. Es bestehen aber auch rechtliche Probleme. Der Beitritt zum Euro wurde auf Wunsch seiner Väter als unumkehrbarer Schritt konstruiert: Keiner darf austreten, keiner darf hinausgeworfen werden. Selbst das Argument, der Beitritt wurde unter falschen Angaben erschlichen, zieht nicht. Mitglied ist Mitglied, basta.

Dabei wäre Griechenland mit einer Rückkehr zur eigenen nationalen Währung finanziell und wirtschaftlich durchaus geholfen. Mit der griechischen Währungsreform könnten die Altschulden abgewertet und über einen weiter fallenden Wechselkurs die griechische Wirtschaft wieder international konkurrenzfähig werden. Nur würde dies die ausländischen Gläubiger griechischer Staatsschulden schwere Verluste kosten. Die halten immerhin mehr als 75 Prozent der griechischen Schuldentitel und haben kein Interesse an massiven Abschreibungen ihrer Forderungen.

Die jetzt von der EU angepeilte Strafmaßnahme – Zimmerarrest und Taschengeldkürzung – ist aus griechischer Sicht die zweithärteste Strafe. Der Haushalt soll nicht nur saniert und das Defizit bis 2013 auf das zulässige Euro-Niveau von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts gesenkt, die Durchführung soll auch strengsten von den EU-Kommissaren überwacht werden. Eine naive Gutgläubigkeit der Eltern, das Kind ist schließlich volljährig und hat seinen Stolz. Griechenland wird oberflächlich zustimmen und seinen innerlichen Groll unterdrücken: nach der osmanischen Okkupation, der italienisch-deutschen Besetzung und anschließender britischer Verwaltung nun die EU-europäische Überwachung. Ob sich die Griechen an die strengen Haushaltsauflagen letztlich halten werden, wollen oder können, ist kaum fraglich – mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht. Da steht zum einen die traditionell geringe Fähigkeit vor, fällige Steuern einzutreiben. Und ob da nun die Alkohol- und Tabaksteuer heraufgesetzt wird oder nicht – wen kümmert es, wenn die Abführung unterlaufen wird. Zum anderen werden sich die durch stattliche staatliche Zahlungen verwöhnten Griechen gegen Ausgabenkürzungen des Intimfeindes Staat heftig wehren. Sogar vor einem drohenden Bürgerkrieg wird gewarnt, für die Griechen kein historisches Neuereignis.

Letztlich ist die Athener Haushaltssanierung ein zweitrangiges Problem, solange Griechenland noch Gläubiger für seine neuen Staatsanleihen findet. Da aber wird es immer enger. Die EU will keine Gelder geben – darf sie eigentlich auch nicht –, will aber auch verhindern, daß außereuropäische Institutionen wie der Internationale Währungsfonds (IWF) in die Bresche springen. Die IWF-Lösung klingt zunächst interessant, weil von dieser Organisation eine noch schärfere Überwachung der griechischen Haushaltsanstrengungen zu erwarten wäre. Der Haken dabei: Die Finanzierung des IWF erfolgt nicht zuletzt durch die Euro-Länder, die im Falle einer Griechenland-Hilfe durch den IWF besonders zur Kasse gebeten würden.

Es bleibt die Finanzierung der griechischen Schulden durch den – dank Euro – bestens internationalisierten Kreditmarkt. Die anfänglichen Vorteile – über alle Euro-Ländern hinweg konvergierende, zuletzt einheitliche Zinssätze mit sinkender Tendenz – haben sich seit 2008 jedoch wieder ins Gegenteil verkehrt. Gerade Griechenland profitierte von den für seine Verhältnisse exorbitant niedrigen Zinsen – und nutzte sie zur explosionsartigen Ausweitung seiner Staatsschulden. Nun fransen die Zinsentwicklungen wieder aus. Die Gläubiger stecken in der Glaubenskrise, ob der gemeinsame Kreditmarkt dauerhaft hält. Die Problemländer müssen dies mit höheren Zinsangeboten bezahlen. Für griechische Staatsanleihen stieg der Zinssatz auf sechs Prozent, gegenüber Deutschland liegt der Risikoaufschlag bei vier Prozent. Nervenstarke deutsche Anleger können bei griechischen Staatsanleihen auf hohe Spekulationsgewinne setzen – oder alles verlieren. Euroland wird zum Investment-Casino.

Die EU steckt in der Zwickmühle. Helfen die zahlungsfähigen Euro-Staaten Griechenland, müssen sie demnächst auch Irland, Portugal oder Spanien unterstützen. Dieses Hilfsvolumen ist unmöglich zu stemmen. Verabschieden sich diese Länder aus dem Euro und vermelden per Währungsreform ihren Staatsbankrott, zerplatzt nicht nur der Euro – allein die deutschen Banken verlieren über 500 Milliarden Euro Einlagen. Dagegen war die Lehman-Pleite ein Portokassenverlust. Dann muß auch Deutschland Konkurs anmelden. So oder so steht der Euro am Rande des Abgrunds – wie seine Kritiker vor mehr als 15 Jahren voraussagten.

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