© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/10 05. Februar 2010

Das Feld war die Welt
Zwei Annäherungen an die Auslandsorganistion der NSDAP und ihren Leiter Ernst Wilhelm Bohle
Hans Joachim von Leesen

Nahezu gleichzeitig erschienen Ende des vergangenen Jahres zwei Bücher über die Auslandsorganisation der NSDAP, ein Randthema, das – obwohl durchaus reizvoll – in der Öffentlichkeit bislang unbeachtet geblieben war. Der emeritierte Romanist Frank Rutger Hausmann, der sich seit vielen Jahren mit der deutschen Außenpolitik zur Zeit des Nationalsozialismus befaßt, stellt in den Mittelpunkt seiner wissenschaftlichen Arbeit den Führer der Auslandsorganisation der NSDAP (AO), Ernst Wilhelm Bode, und schildert materialreich und analytisch brilliant die Organisation. Der Verfasser des anderen Buches, der Journalist Volker Koop, Autor zahlreicher zeitgeschichtlicher Sachbücher, zeigt schon durch den reißerischen Titel „Hitlers Fünfte Kolonne“ an, daß es ihm weniger um Wissenschaft als vor allem um kleine Sensationen im Sinne des Zeitgeists geht – allerdings ohne letztere Erwartung erfüllen zu können.

Lange vor 1933 hatten im Ausland lebende Deutsche sich bemüht, nationalsozialistische Anschauungen unter Landsleuten zu verbreiten. So gründete schon 1928 ein deutscher Arzt in Brasilien die erste Auslandsgruppe der Partei, andere folgten. Einige Jahre später trafen sich in Hamburg einige zurückgekehrte Auswanderer und gründeten eine Arbeitsgemeinschaft von auslandsdeutschen Nationalsozialisten. Der Organisationsleiter der NSDAP, Gregor Strasser, erkannte die Chance, unter den zahlreichen Auslandsdeutschen NS-Anhänger zu gewinnen, und gründete im Mai 1931 die „Auslands-Abteilung der Reichsleitung der NSDAP“.

Bald darauf erweiterte man deren Aufgabengebiet, indem ihr auch die Nationalsozialisten unter den Schiffsbesatzungen zugeordnet wurden. Strikt untersagt wurde der bald in Auslandsorganisation der NSDAP (AO) umbenannten Gruppierung, sogenannte Volksdeutsche – Menschen deutscher Abstammung, aber mit ausländischer Staatsangehörigkeit – aufzunehmen, da man internationale Verwicklungen fürchtete, Den AO-Mitgliedern wurde von der Reichsleitung immer wieder dringend ans Herz gelegt, sich nicht in die inneren Angelegenheiten der Gaststaaten zu mischen. Beide Autoren stellen aber fest, daß die Landesgruppen eigenständige Entwicklungen nahmen und der Einfluß der deutschen Zentrale durchaus begrenzt war.

Zehn Landesgruppen zählte die Auslandsgliederung, als 1932 der 29jährige Diplomkaufmann Ernst Wilhelm Bohle zu ihr stieß. Er war als Kind deutscher Eltern in England geboren und mit den Eltern nach Südafrika gezogen, wo der Vater als Professor an einer Universität Elektrotechnik lehrte. Zum Studium kehrte er nach Deutschland zurück und war im Außenhandel tätig, bis er auf die NSDAP stieß. Als Zweisprachler mit Auslandserfahrung war er willkommen. Der als gewandt im Auftreten und glänzender Redner geschilderte junge Nationalsozialist stieg zum Leiter der Auslandsabteilung auf und wurde im Oktober 1933 zum jüngsten Gauleiter befördert. Er unterstand Rudolf Heß, mit dem er sich auch persönlich gut verstand. 1937 wurde er dem Auswärtigen Amt als Staatssekretär zugeordnet.

Ende der dreißiger Jahre wies die AO 52.000 Mitglieder in achtzig Landesgruppen auf, angesichts von sicherlich mehr als eine Million Deutscher im Ausland nicht eben eine überwältigende Zahl. Trotzdem behauptet Volker Koop, Hitler habe mit ihnen „die Welt erobern“ wollen, und das wiederholt er immer wieder, wobei er sich auch auf Winston Churchills scharfe Zeitungsartikel aus den dreißiger Jahren gegen die Auslandsorganisation bezieht. Nach diesen bat Bohle übrigens auf Anregung Ribbentrops um ein Gespräch, das ihm am 1. Oktober 1937 gewährt wurde. Churchill soll von dem geschliffenes Englisch sprechenden Deutschen beeindruckt gewesen sein und sagte zu, daß er die Angriffe einstellen werde, was auch geschah. Bohle berichtete nach seiner Rückkehr nach Berlin, Churchill habe ihm gesagt, das Deutschland vor 1933 habe ihm „viel besser gefallen als das Dritte Reich, denn unter der Führung Hitlers werde Deutschland so stark werden, wie es England nicht zulassen könne“.

Nach der deutschen Niederlage stellte sich Bohle der amerikanischen Besatzungsmacht. Er wanderte durch verschiedene Verhörlager und wurde 1947 im Wilhelmstraßenprozeß gegen das Auswärtige Amt vor allem mit der Beschuldigung angeklagt, die Auslandsorganisation habe als deutsche „Fünfte Kolonne“ Spionage und Sabotage betrieben. Bohle bestritt vehement die Anwürfe. Während sein Biograph Hausmann bestätigt, daß man Bohles Beschuldigungen „deutlich übertrieben“ habe, übernimmt Koop sie unkritisch. Bohle bekannte sich vor Gericht ansonsten als überzeugter Nationalsozialist und übernahm für die Tätigkeiten der AO alle Verantwortung. Von der Judenvernichtung, betont er, habe er nichts gewußt. Er forderte seine Gesinnungsgenossen jedoch auf, die Judenverfolgung als einen „furchtbaren politischen Fehler“ einzugestehen. Das amerikanische Gericht verurteilte ihn zu fünf Jahren Haft. Er wurde in die Haftanstalt Landsberg überführt, wo er im Dezember 1949 nach insgesamt 55 Monaten Haft entlassen wurde. Als kranker Mann siedelte er nach Hamburg über, wo er „entnazifiziert“ und in die Gruppe V (Entlasteter) eingeordnet wurde. Jede politische Betätigung wurde ihm verboten. Zunächst schlugt er sich als Übersetzer durch und gründete dann eine schließlich gut gehende Agentur für Wirtschaftswerbung, in der er vor allem Auslandsanzeigen vermittelte. 1960 starb er, nur 57 Jahre alt.

Frank Rutger Hausmann: Ernst Wilhelm Bohle. Gauleiter im Dienst von Partei und Staat. Verlag Duncker &Humblot, Berlin 2009, broschiert, 299 Seiten, 38 Euro

Volker Koop: Hitlers Fünfte Kolonne. Die Auslands-Organisation der NSDAP. Be.bra Verlag, Berlin 2009, gebunden, 304 Seiten, Abbildungen, 24,95 Euro

Foto: Ernst Wilhelm Bohle (r.) neben seinem Mentor Rudolf Heß (M.) 1934 auf dem Reichsparteitag der NSDAP in Nürnberg: Der Einfluß der deutschen Zentrale auf die Auslandsorganisation war begrenzt

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