© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/10 05. Februar 2010

„Das hätte jedem auffallen müssen“
Interview: Erstmals gilt der Weltklimarat auch offiziell als unglaubwürdig – Graham Cogley wies ihm den bisher schwersten Fehler nach
Moritz Schwarz

Herr Professor Cogley, Sie waren es, der dem Weltklimarat (IPCC) jüngst die Täuschung in Sachen Himalaya-Gletscher (siehe Bericht oben) nachgewiesen hat.

Cogley: Täuschung? Ich würde das einen Fehler nennen, keine Täuschung.

Wie können Sie da so sicher sein?

Cogley: Natürlich weiß ich nicht, was wirklich dahintersteckt, und wir werden es wohl auch nie erfahren. Aber für mich sieht es eher nach einem Fehler aus.

Die Medien nennen die Affäre inzwischen „Glaciergate“: Es geht um die Behauptung im Bericht des Weltklimarats, die Gletscher – auf englisch „glacier“ – würden bis 2035 weltweit zu achtzig Prozent schmelzen. Was haben Sie dagegen herausgefunden?

Cogley: Ich habe mich gefragt, worauf fußt diese Behauptung? Man sollte meinen, auf einem wissenschaftlich fundierten Aufsatz, der in einem Fachmagazin ordentlich publiziert wurde. Fehlanzeige! Es handelt sich lediglich um eine Angabe des World Wildlife Fund for Nature (WWF). Dieser wiederum beruft sich auf einen Artikel in einem populärwissenschaftlichen Magazin, dem New Scientist. Und dieses wiederum hat lediglich einen indischen Gletscherforscher interviewt. Und wie kommt man zu der Zeitangabe 2035? Offenbar bezieht sich das auf Untersuchungen des russischen Gletscherforschers Wladimir Kotljakow aus dem Jahr 1996. Der aber hatte nur recht grobe Berechnungen angestellt – und obendrein spricht er nicht von 2035, sondern vom Jahr 2350!

Eine wahre Achterbahnfahrt an Fehlern.

Cogley: In der Tat!

Wäre Täuschung nicht fast noch die beruhigendere Variante? Denn bei dieser haarsträubenden Kette von Fehlern erscheint der Weltklimarat doch sonst als wissenschaftlich völlig inkompetent.

Cogley: Ich gebe zu, daß es schwer vorstellbar erscheint, wie sich ein so grober Fehler durch alle Kontrollen des IPCC mogeln konnte, aber noch schwerer fällt es mir, an eine Täuschung zu glauben.

Warum?

Cogley: Ein Fälscher würde mit einem so groben Fehler nicht durchkommen.

Offensichtlich doch.

Cogley: Offensichtlich nicht, ich habe es bemerkt.

Wie offensichtlich war denn der Fehler?

Cogley: Leider ziemlich offensichtlich: Zum Beispiel sollen die Himalaya-Gletscher bis 2035 ganz verschwunden sein. Doch selbst beim schlimmsten Klima-Szenario ist das in nur 25 Jahren nicht möglich. Es hätte eigentlich jedem Fachmann schon beim oberflächlichen Lesen auffallen müssen, daß da etwas nicht stimmen kann.

Wieso ist das dann nicht passiert?

Cogley: Fragen Sie nicht mich.

Wie glaubwürdig ist der Bericht des Weltklimarats nach dieser Enthüllung noch?

Cogley: Seit dem Erscheinen des Berichts 2007 ist das der einzige Fehler dieser Größenordnung, der nachgewiesen worden ist. Der Bericht als Ganzes ist damit nicht in Frage gestellt.

Sie gehören selbst zu den Autoren.

Cogley: Ja, und ich bin zuversichtlich, daß niemand je einen solchen Fehler in jenem Teil finden können wird, zu welchen ich beigetragen habe.

Wo ein Fehler ist, können weitere sein.

Cogley: Stimmt, aber wir können diese Möglichkeit nicht als erwiesen ansehen, ohne Beweise zu haben.

Die Kritiker des Weltklimarats sehen das als erwiesen an.

Cogley: Die Höflichkeit gebietet es, diese Leute einer Antwort zu würdigen. Doch stellen sich ihre Thesen schließlich stets als gegenstandslos heraus. Deshalb sind diese Leute ein Ärgernis.

„Glaciergate“ ist nicht der erste Zwischenfall, vor Weihnachten gab es „Climategate“ (JF berichtete). Geben diese Vorfälle den Kritikern nicht recht?

Cogley: Nein, es handelt sich um isolierte Zwischenfälle. Und wo Menschen sind, da werden eben Fehler gemacht.

Der Ursprung des Fehlers war eine Behauptung des World Wildlife Fund. Der WWF ist aber keine neutrale Forschungseinrichtung, sondern ein Umweltschutz-Interessenverband. Der Weltklimarat beansprucht Objektivität und stützt sich auf Lobbygruppen als Quelle?

Cogley: Der Weltklimarat hätte die Quelle prüfen müssen. Ich finde, sich auf den WWF zu berufen, ist eine Sache, das ungeprüft zu tun, eine andere.

Der Bericht des Weltklimarats ist nicht irgendeine Expertise, sondern die Basis für globale politische Entscheidungen, für die Milliardensummen ausgegeben werden und die die politische Agenda der Zukunft beeinflussen. Ist ein solcher Fehler also nicht völlig inakzeptabel?

Cogley: Da stimme ich Ihnen voll zu, so ein Fehler hätte einfach nicht passieren dürfen! Und ich kann nur hoffen, daß sich so etwas nicht wiederholt.

Muß der Chef des Weltklimarats, der Inder Rajendra Pachauri, zurücktreten?

Cogley: Nein, Dr. Pachauri kann man nicht für jede einzelne Seite des Berichts verantwortlich machen.

Pachauri hat Kollegen, die in der Himalaya-Gletscher-Frage widersprachen, der „Voodoo-Wissenschaft“ bezichtigt.

Cogley: Leider hat Dr. Pachauri die Vorliebe, aus der Hüfte zu schießen, doch er hatte die Zahlen gar nicht überprüft: ein PR-Gau! Dennoch, unterm Strich hat Pachauri gute Arbeit geleistet, und ich sehe weder ihn noch das IPCC insgesamt in Frage gestellt.

 

Prof. Dr. Graham Cogley, 61, ist Geograph an der kanadischen Trent University ( www.trentu.ca ) und Mitautor des aktuellen Weltklima-Berichts ( www.ipcc.ch

 

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