© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/10 05. Februar 2010

Steuerdaten
Der Versuchung erlegen
Klaus Peter Krause

Hundert Millionen Euro sind kein Pappenstiel – jedenfalls für unsereinen. Aber für den Staat, der uns alljährlich Hunderte von Milliarden abnimmt und 1,742 Billionen ausgewiesene Schulden hat (in Wirklichkeit aber viel mehr), sind hundert Millionen nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Trotzdem kann er sie gebrauchen, will er sie haben. Er verspricht sich dieses Geld von einem Datensatz. Dieser soll Aufschluß geben über 1.500 deutsche Bürger mit Konten in der Schweiz. Damit gelten sie als mutmaßliche Steuerhinterzieher. Jene rund hundert Millionen sind der vom deutschen Fiskus geschätzte Betrag, den er einzunehmen hofft, wenn das Geld auf diesen Konten wirklich der deutschen Steuerpflicht entzogen worden ist. Dumm nur, daß es sich sehr wahrscheinlich um gestohlene Daten handelt.

Wer stiehlt, handelt bekanntlich gesetzeswidrig, ist ein Krimineller und gehört bestraft. Dieser Kriminelle bietet dem deutschen Staat das Diebesgut in Form einer CD an und verlangt dafür 2,5 Millionen Euro. 2,5 für erwartete 100 Millionen ist ein lukratives Geschäft. Aber Diebesgut, das zum Verkauf angeboten wird, ist Hehlergut, der Dieb zugleich ein Hehler. Nimmt der Staat das Angebot wahr, macht er sich der illegalen Hehlerei mitschuldig. Darf er das, und darf er das illegal erworbene Material gegen die mutmaßlichen Steuerhinterzieher verwenden? Unterliegt ein solcher Fall dem Beweisverwertungsverbot?

Das ist umstritten. Zumindest in den Vereinigten Staaten dürfen rechtswidrig gewonnene Beweise grundsätzlich nicht verwertet werden. In Deutschland ist das so eindeutig bisher nicht.  Trotzdem haben sich Kanzlerin Merkel und ihr Finanzminister Schäuble über die rechtlichen Bedenken hinweggesetzt. Unionsfraktionschef Volker Kauder dagegen hat das Unrechtsbewußtsein klar formuliert: „Diebstahl bleibt Diebstahl. Mit Dieben sollte sich der Staat nicht gemein machen.“ Auch der Staatsrechtler Rupert Scholz hat gewarnt: „Es gilt der Grundsatz: Niemand darf in Deutschland aufgrund von Beweisen angeklagt werden, die durch kriminelle Handlungen zustande kamen.“

Doch geht es Merkel und Schäuble weniger um die hundert Millionen Mehreinnahmen, sondern zuallererst darum, wie ihre Entscheidung in Nordrhein-Westfalen bei den Wählern in der bevorstehenden Landtagswahl im Mai ankommt. Ginge sie für die Koalition verloren, verlören Union und FDP ihre Mehrheit im Bundesrat.

Wie groß diese Gefahr ist, hat die Bild-Zeitung mit ihrer Schlagzeile am 1. Februar sinnfällig gemacht: „Kauft euch die reichen Steuerbetrüger“. Für Politiker ist damit klar, was Bild und Volkes Seele wollen. Welcher Politiker mag sich solcher Meinung, wahrscheinlich der Mehrheit im Land, entgegenstellen und das Risiko der Wahlniederlage eingehen?

Konsequent rechtsstaatlich ist der Ankauf aber nicht. Bedenkenswert ist hierzu eine weitere Äußerung Kauders: „Wenn der Staat für aus Verbrechen erlangte Daten Geld zahlt, ist das Risiko groß, daß er damit zu weiteren Straftaten ermuntert.“

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