© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/10 29. Januar 2010

Mausklicks gegen Merkel
Miese Stimmung an der CDU-Basis: Mitglieder und Wähler reden in Internetforen Tacheles
Tobias Westphal

Vor der Klausurtagung des CDU-Parteivorstands hatten die Fraktionschefs aus Hessen, Sachsen und Thüringen, Christean Wagner, Steffen Flath und Mike Mohring, ihrer Parteivorsitzenden Angela Merkel einen „präsidialen Stil“ vorgeworfen. Thüringens CDU-Fraktionschef Mike Mohring plädierte zudem in der JUNGEN FREIHEIT für mehr Nationalstolz, Steffen Flath forderte, daß auch der konservative Flügel der CDU durch eine entsprechende Persönlichkeit im Bundesvorstand vertreten sein müsse. Doch mit der „Berliner Erklärung“, die einstimmig verabschiedet wurde, bestätigte der Parteivorstand den bisherigen Kurs der Partei und damit auch Merkels „Politik der Mitte“.

Jetzt regt sich Kritik – nicht bloß im persönlichen Gespräch, in der Kneipe, bei JU-Kreistreffen, sondern für alle wahrnehmbar im Internet. Nachdem sich CDU-Parteichefin Angela Merkel durch ihr undankbares Fernbleiben vom Deutschlandtag der Jungen Union Mitte Oktober die Sympathien des Parteinachwuchses gründlich verscherzt hatte (JF 44/09), äußerte sich allerorten im Netz Unmut über den Kurs der Union – in den Kommentarfunktionen der Online-Zeitungen, auf den politischen Blogs, im Mitgliedernetz der CDU.

Direkt vor dem Deutschlandtag machten JU-Mitglieder ihre Kritik am schlechten Wahlergebnis der Union öffentlich – auf dem sozialen Netzwerk Facebook etwa. Der Gruppe „Aufstand gegen Mutti“, von einem Berliner JU-ler gegründet, traten innerhalb von Tagen 600 Mitglieder bei. Pech nur, daß die Seite zum Beginn der JU-Zusammenkunft plötzlich nicht mehr erreichbar war. Bei Facebook hieß es: wegen Wartungsarbeiten. Die Parteiführung reagierte jedoch äußerst ungehalten: Der Gründer, der anonym bleiben wollte, berichtete, er sei telefonisch eingeschüchtert worden. Die Gruppe „Aufstand gegen Mutti“ existiert noch immer und stagniert bei 661 Mitgliedern.

Die CDU-Basis meldet sich auch in anderen Foren zu Wort und redet Tacheles. Im Mitgliedernetz auf www.cdu.de nutzen die Mitglieder ausgiebig die Möglichkeit zu Kritik und Diskussion. So schreibt „Munzinger“: „Als ich 1998 der CDU beigetreten bin, war sie für mich der konservative Fels in der Brandung. Nachdem ich mir die ‘Berliner Erklärung’ angesehen habe, wird die CDU ihr Fähnchen nach dem Wind hängen und steht für eine Politik der Beliebigkeit.“

Im CDU-Mitgliederbereich wird – auch unabhängig von der Berliner Erklärung – Kritik an der eigenen Partei geübt; zum Beispiel schreibt „Abendland“ unverblümt: „Merkel und ihre Garde schielen weiter nach links, um dem gesellschaftlichen Trend zu folgen. Konservatismus, egal mit oder ohne Christentum, ist in den Augen der CDU-Führung nicht mehr dazu geeignet, Wählerstimmen zu gewinnen. … Alles wird probiert, und wenn sich einer vor den Kopf gestoßen fühlt, kommt er ja doch zurück zu ‘Tante Angela’, da die Alternative fehlt. Wie schön wäre es doch, wenn sich eine neue konservative Partei mit klaren Aussagen und Zielen formieren würde!“ Und unter dem Thema „Was heißt bei uns eigentlich noch konservativ?“ schreibt „Rautschek“: „Konservativ ist eine Politikrichtung, die in Deutschland nicht erlaubt ist und von der sich die Union folglich verabschiedet hat. Daß es viele Wähler gibt, die jetzt bei Wahlen zu Hause bleiben müssen, wird billigend in Kauf genommen.“

Auch das Weblog www.cdu-politik.de geizt nicht mit kritischen Kommentaren und löckt munter wider den Stachel. Von dem Landesvorstandsmitglied der JU Brandenburg Philipp Schwab Mitte 2007 mitgegründet, will es politische Ereignisse aus Sicht der Unions-Grundsätze kommentieren und „wichtige Diskussionen über die Grundsätze der Union und die zukünftige Ausrichtung der Partei“ anstoßen – in Zeiten der Berliner Erklärung ein Unterfangen, mit dem für konservative Mitglieder in der Merkel-CDU kein Blumentopf zu gewinnen ist.

Ein „Ex-CDU-Mitglied“ schimpft: „Merkel zieht es dorthin, wo sie hergekommen ist. In eine Welt, in der katholisch und konservativ Schimpfwörter und der Sozialismus das Heil schlechthin sind.“ Laut Kommentator „Türkischer_Bratwurstesser“ gehört die CDU als „konservative Partei” nicht nur wegen der jüngsten programmatischen Festlegung ab sofort der Vergangenheit an: „Dies liegt nicht nur an der ‘Berliner Erklärung’, sondern auch daran, daß die Rüttgers, Laschets, Böhmers, Schrammas etc. in der CDU schon seit geraumer Zeit die Deutungshoheit übernommen haben. Jetzt könnte die einmalige Chance ergriffen werden, aus den eigenen Reihen eine bürgernahe und wertkonservative Partei rechts der ‘Mitte’ zu gründen.“ Auch der Blog-Leser „Marti“ hofft auf einen Neuanfang: „Das war’s dann wohl endgültig für konservative Wähler. Hoffentlich entsteht bald eine konservative Partei, die man wählen kann.“ Daß es „breiten Unmut“ an der Basis gibt, bestätigte Betreiber Schwab gegenüber der jungen freiheit: „Die Lage für die Nicht-Linken hat sich zwischenzeitlich ja nicht verbessert.“

Manchen Noch-CDU-Mitgliedern ist die Lust am Schlingerkurs ihrer Partei wohl endgültig vergangen. So meint dazu „M. Hansen“ im selben Blog: „Tja, nun ist es wohl soweit. Der Anlaß ist da, das sprichwörtliche Faß ist übergelaufen. Mein Ortsvereinsvorsitzender bekommt die Austrittserklärung nebst ausführlichen Gründen. Gruß an alle, vielleicht sieht man sich bei etwas Neuem.“ Und „Chris“ meint zu dieser Ankündigung: „Kenne jetzt bereits schon vier Bekannte aus meinem näheren Umfeld, die nach dieser ‘Berliner (Bankrott)-Erklärung’ ihr Parteibuch abgegeben haben. Unglaublich, was da in Berlin und in der CDU gerade abgeht. Man kann auf Dauer keine Politik gegen seine Stammwählerschaft führen. Diese Erklärung ist ein angekündigter Selbstmord. Man muß ja schon fast hoffen, daß die CDU in NRW deutlich verliert, damit man diese unsägliche Frau Merkel endlich vom Hof jagt.“

Der Eindruck, der sich aus den Online-Kommentaren bei welt-online.de ergibt, deckt sich mit der Stimmung auf den CDU-nahen Foren: Verärgerung darüber, daß Merkel den konservativen Wählerstamm brüskiert. In einem Leserkommentar schreibt „CDU-Mitglied, katholisch“: „Das ist widerlich. Obwohl Mitglied, habe ich die CDU diesmal auch nicht gewählt und werde jetzt austreten. Linksdumpfe, freut Euch nicht zu früh: Es wird schon eine neue Partei geben, die das Vakuum schließt.“ Auch der (ehemalige) CDU-Wähler „rüdiger“ macht seinem Unmut Luft: „Nie wieder CDU. Sollte es bei der nächsten Landtagswahl in NRW keine vernünftige Alternative geben (z. B. Pro NRW), werde ich zu Hause bleiben.“ Und „Ex-CDU-Wähler“ resümiert: „Man sollte dabei immer an eines denken: Die größten Erfolge hatte die Union, solange sie unter Rot-Grün noch eine richtig klare Kante gezeigt hat. Für ihren jetzigen Kurs hat die CDU dagegen bereits öfters die Quittung erhalten.“

Doch die CDU verliert nicht nur Mitglieder, sie verschreckt auch Bürger, die ihr beitreten wollten. So schreibt „Hugenotte“ auf Politically Incorrect (www.pi-news.net): „Ich wollte in diesem Monat in die CDU eintreten, um bei der Seniorenunion (das sind die, die sich um die Zukunft ihrer Enkel Sorgen machen) vielleicht etwas zu bewirken. Bei solchen Nachrichten vergeht mir die Lust. Wo bleibt eine neue konservative Partei mit Namen, der man vertraut?“

Auf Politically Incorrect entsprechen die Meinungen der Kommentatoren zur Berliner Erklärung denen nahezu jeder anderen Online-Plattform: „Das war’s, ich trete aus“, „Verräter!“, „Die CDU ist wohl neidisch auf die ‘Erfolge’, die die SPD mit demselben Konzept erreicht hat“, „Bin jetzt doppelt froh, ausgetreten zu sein!“ und „Die sollen sehen, was sie davon haben.“

Die CDU-Basis nimmt kein Blatt vor den Mund. Doch werden den Unmutsäußerungen konstruktive Taten folgen? Die Zugriffe auf den Onlineportalen der Unionsrenegaten nehmen in den letzten Wochen jedenfalls kontinuierlich zu.

 

Stichwort: „Aufstand gegen Mutti“

Die Facebook-Gruppe „Aufstand gegen Mutti“ entstand als Protestreaktion auf die kurzfristige Absage Angela Merkels, am Deutschlandtag der Jungen Union im Oktober 2009 teilzunehmen und dem Parteinachwuchs für den Wahlkampf zu danken. Sofort traten 600 Mitglieder bei, darunter prominente JU-Funktionäre aus der zweiten Reihe. Direkt während der Tagung war die Gruppe allerdings nicht zugänglich. Die wirklichen Umstände dafür wurden nie aufgeklärt. Die Gruppe ist weiterhin aktiv: Der letzte Eintrag vom 17. Januar will eine „konservativere Ausrichtung der CDU“ initiieren.

Foto: Virtuelle Meinungswelt: Auch wer keiner Partei (mehr) angehört, kann als Konservativer politisch mitmischen: Soziale Netzwerke und die Diskussions-foren der Parteien und Zeitungen machen es möglich

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