© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/10 29. Januar 2010

Sozialstaat
Betreuungswahn auf Pump
Dieter Stein

Man muß nur einen Blick in den Bundeshaushalt werfen, um zu sehen, welches das entscheidende Thema der Politik ist: Soziales und Finanzen. Der hessische Ministerpräsident Roland Koch hat mit seinen Äußerungen zu Mißständen im Hartz-IV-System ein Schlaglicht darauf gerichtet. Eine „deutlich sichtbare Minderheit“ der rund fünf Millionen „erwerbsfähigen“ Empfänger von Arbeitslosengeld II oder Sozialhilfe beziehen diese ohne Gegenleistung oder nachweisbares Bemühen um Eingliederung in eine Beschäftigung. Prompt machte die Parole vom „Arbeitszwang“ die Runde, ein Aufschrei der Lobbyisten und „Profiteure der Arbeitslosigkeit“ (Wirtschaftswoche) erfolgte, allen voran der Gewerkschaften, die über ihre Firmen der Umschulungsindustrie an diesem System kräftig mitverdienen.

Der Haushaltsentwurf des Bundes für 2010 weist allein für das Ministerium für Arbeit und Soziales Ausgaben in Höhe von 147 Milliarden Euro aus. Damit fließen 45 Prozent der Ausgaben des Bundes in diesen Bereich. Weitere 40 Milliarden Euro (12,5 Prozent des Haushalts) wendet Berlin auf, um die Zinsen für 1 Billion (1.000.000.000.000) Euro Schulden des Bundes zu bezahlen: Schulden, die sich seit Ende der sechziger Jahre durch ein verantwortungsloses Über-die-Verhältnisse-Leben aufgetürmt haben.

Das Stichwort bei Sozialleistungen lautet „Lohnabstandsgebot“: Nach dem deutschen Sozialrecht muß das Einkommen aus sozialen Transfers grundsätzlich niedriger ausfallen als ein mögliches Einkommen aus abhängiger Beschäftigung. Dieses Prinzip ist längst ausgehöhlt. „Hartz IV“ hat entgegen den Parolen der Linken nicht zu einer kollektiven Verarmung geführt, sondern bei bestimmten Gruppen Ansprüche auf Leistungen verfestigt, die den Einstieg in eine Beschäftigung materiell unsinnig machen.

Thilo Sarrazin hat als Berliner Finanzsenator in drastischen Worten auf den Verfall der Hauptstadt zu einer Gesellschaft von Transferleistungsempfängern verwiesen. 36 Prozent der Berliner Kinder leben in Hartz-IV-Haushalten!

Hinzu kommt: Der Staat stärkt durch seinen Betreuungswahn weder die Selbstheilungskräfte Betroffener noch autonome Solidarsysteme, er „beschleunigt die Zerstörung der Familien“, so der Sozialphilospph Wolfgang Kersting. Die aktuelle Gesetzeslage fördere absurderweise den Status der alleinerziehenden Mutter und mache es gerade für Alleinerziehende mit Anspruch auf Hartz-IV-Leistungen unattraktiv, in eine Beschäftigung oder eine feste Bindung zurückzukehren, weil dies mit finanziellen Einbußen einhergehe. Auch die CDU will die Subventionierung der Alleinerziehenden weiter steigern.

So verblüffend es klingen mag: Am sozialsten ist ein Staat, der seine Sozialleistungen erheblich einschränkt. Als beste Sozialpolitik erweist sich die Stärkung traditioneller und autonomer Solidarsysteme, zu deren stärksten Gliedern die Familie zu rechnen ist. Hierzu fehlt der Mut. Denn Wahlen werden durch Wahlgeschenke gewonnen. Daran wird Angela Merkel auch Roland Koch sicherlich längst erinnert haben.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen