© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/10 22. Januar 2010

Halb Pflanze, halb Kreatur
Schlachtvieh und Baumnymphen: Die Skulpturen Wieland Försters werden im Dresdner Zwinger gezeigt
Sebastian Henning

Es bedurfte eines Leserbriefs an eine Dresdner Tageszeitung, um ein wichtiges Denkmal der Stadt in Erinnerung zu bringen. „Großer trauernde Mann“, eine überlebensgroße Bronzefigur von Wieland Förster, mahnt an die Brandschatzung vom Februar 1945. Zufluchtsloses Ausgeliefertsein ist das Thema dieses in sich selbst verkrochenen männlichen Akts. Auf der kleinstmöglichen Grundfläche trachtet er sich mit seiner eigenen Nacktheit zu bedecken.

Seit die Frauenkirche nicht mehr dem Gedenken an die anglo-amerikanischen Luftattacke gewidmet ist, sondern die Wiedervereinigung und die europäische Versöhnung repräsentieren soll, wanderte die beklemmende Gestalt von einem provisorischen Standort zum nächsten. Nun befindet sie sich ohne Erläuterung auf einem Rasenplatz an der stilistischen Bruchstelle zwischen Neuer Wache und Sempergalerie. Schwer lesbar finden sich auf dem Fundament die zwei Worte „Dresden mahnt!“ eingegraben.

Unweit davon sind anläßlich des achtzigsten Geburtstags von Wieland Förster im Zwinger die 58 Skulpturen zu sehen, die der Künstler 2001 in einer Stiftung den Staatlichen Kunstsammlungen in seiner Heimatstadt überlassen hat. Alle wichtigen Schöpfungen Försters sind in dieser Auswahl enthalten. Die „Große Nehberger Figur“ (1971/74) steht vor dem Eingang. Im Begleitprogramm gibt es einen Stadtrundgang „Wieland Förster in Dresden“. Damit ist jener Zustand, den jener Leser „als Schande für die Kulturstadt Dresden“ bezeichnete, wenigstens vorübergehend abgemildert.

Kein Engel will Abrahams Messer Einhalt gebieten 

Die Eingangshalle des Französischen Pavillons füllen zwei monumentale Figuren Balthasar Permosers. Minerva und Hermes aus sächsischem Marmor sind bewegt und biomorph wie alles am Zwinger. Hinter der Einmündung in die Bogengalerie gerät der Besucher in einen Wald von Bronzestelen. Bei der verwandelten „Daphne“ ist die Verpflanzlichung des Weibes durch den Mythos gerechtfertigt. Fünf Gestaltungen allein dieser Figur wurden mit einer „Iris“ und „Marsyas – Jahrhundertbilanz“ wirkungsvoll aufgestellt.

Durch das Bogenfenster wirkt das Kronentor in den Raum. In ihm hat sich die Baukunst in Skulptur aufgelöst, so wie die Försterschen Figuren über die Betonung des Kreatürlichen ins Pflanzenhafte zurücksinken oder daraus heraufsteigen, je nach dem eingenommenen Standpunkt.

Bei dem 1930 in Dresden geborenen Förster geht diese Renaturierung des Gottesebenbildes auf ein frühes Bedrohungsgefühl zurück. Mit der Zerstörung der Stadt war der Alptraum noch nicht zu Ende. Denunziatorische Habgier brachte den 16jährigen wegen unerlaubten Waffenbesitzes für Jahre in das Zuchthaus Bautzen: eine Erfahrung die er mit Künstlern wie Walter Kempowski und Werner Tübke teilt. Für Förster scheint es den unumkehrbaren Zerfall mit der patriarchalischen Welt bedeutet zu haben.

Der Hüter und Hirte wurde ihm zum Schergen und Henker. Der tritt nur durch die an seinen Opfern hinterlassenen Spuren in Erscheinung. Abrahams Messer fährt durch die Kehle des geliebten Sohnes, weil kein Engel Einhalt gebieten will. „Das Opfer“ (1994) hängt wie zum Ausbluten da. Wie bei einem Schlachtvieh ist der Schnitt durch die Bauchdecke gefahren. Im Zusammenhang mit „Großer schreitender Mann“ (1969) für einen neu angelegten Friedhof in Schwerin äußerte der Bildhauer, die „mißbrauchte Traditionslinie deutscher Gesundheits- und Männlichkeitsplastik nach Lehmbruck erschien mir nicht fortsetzbar“.

Ein formales Initiationserlebnis beschreibt er: „Als ich im Jahr 1960, (…) eines Nachts auf einem Treppenabsatz ein über mir stehendes Mädchen mit erhobenem Kopf den Mond betrachten sah, erkannte ich augenblicks, daß sich der Kopf des Mädchens – ganz ohne ablenkende Details – zu einer einem Ei ähnlichen Figur zusammenschloß (…) Die Reduktion (…) stellte mir der Zufall als das höchste Maß an formaler Konzentration vor Augen. Und ich vertraute ihr. Schon am Morgen danach zerstörte ich alles, was ich vorher gemacht hatte.“

Mond, Mädchen und Ei, das klingt wie aus Bachofens Untersuchungen zum Mutterrecht. Die Skulptur „Olivenstruktur“( 1967) veranschaulicht ein Erlebnis, das dem Künstler damals angesichts jahrhundertealter Olivenbäume in Tunesien widerfuhr: „Ihre Stämme hatten sich in Titanentorsi und vielbrüstige Göttinnen verwandelt (…) Atemlos stand ich vor ihnen, mit Scheu tasteten meine Hände diese Landschaften aus Leibern, die Schultern, Brüste, Bäuche, Rippen und die Vaginen: aufgetrieben, geschuppt, schrundig und glatt. Und alle gezeichnet vom Ringen mit Tod und Verfall.“

Mit Scheu tasten die Hände Landschaften aus Leibern

Seither ist er auch literarisch tätig. „Erschossener 1968 (21. August 1968)“, unmittelbar nach den Ereignissen in Prag entstanden, zeigt vor einer Wand einen reflexartig Eingekrümmten. Das In-sich-Hineinstürzen ist noch stärker einwärts gelenkt dadurch, daß die Füße an den Fesseln beschnitten sind. Die Barockplastik insbesondere des in Böhmen wirkenden Meisters Bernhard Matthias Braun war bedeutungsvoll für sein Verständnis von Skulptur. Als Felsgestalten und Dryaden wirken nicht nur das „Paar, landschaftlich“ (1979) und „Hero und Leander“ (1979). „Penthesilea Gruppe IV“ (1987) erscheint wie ein unterm Blitzschlag aufklaffender Baumstamm.

1978 wird Förster Vizepräsident der Akademie der Künste Ost, richtet in dieser Eigenschaft 1982 eine große Hans-Purrmann-Retrospektive aus und betreut die Meisterschüler; 1985 erfolgt seine Ernennung zum Professor. 2009 erhält er für sein Lebenswerk den Ehrenpreis des Brandenburgischen Ministerpräsidenten.

Die animistische Lebenskraft und sinnliche Brutalität der weiblichen Akte ist nur die Kehrseite der Geschlagenen und Ausgelieferten, deren königliche Gestalt zur kläglicher Blöße eingesunken ist. Dort die Gestalt gewordene Demütigung, hier die gedemütigte Gestalt: mächtig nur noch in der passiven Ungeschlachtheit der ausgerenkten Gliedmaßen, nicht machtvoll im Sinne gerichteter Beweglichkeit.

Die Ausstellung ist bis zum 7. März im Dresdner Zwinger täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr zu sehen. Der Eintritt kostet 2,50 Euro. Telefon: 03 51 / 49 14 20 00

Foto: Wieland Förster, Pentheselia Gruppe IV, Bronze, 1987: Ein unterm Blitzschlag aufklaffender Baumstamm

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen