© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/10 22. Januar 2010

Eldorado für Gauner aus dem Osten
Kriminalität: Das sächsische Innenministerium hat eingeräumt, daß der Wegfall der Grenzkontrollen zu einem drastischen Anstieg der Autodiebstähle geführt hat
Paul Leonhard

Das ostsächsische Zittau, gelegen im Dreiländereck zu Polen und Tschechien, hat einen neuen Titel. Seit Anfang des Jahres hat die Stadt den zweifelhaften Ruhm, Hochburg der Grenzkriminalität zu sein. Erstmals nach dem Wegfall der Grenzkontrollen im Jahr 2007 mußte das Innenministerium einräumen, daß es insbesondere in der Grenzregion zu einem drastischen Anstieg der Einbrüche und Autodiebstähle gekommen ist.

Bisher wurde diese Entwicklung aus politischen Gründen kleingeredet. Im Kabinett von Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) will man nicht wahrhaben, daß eingetreten ist, was viele befürchteten: Ohne Polizeikontrollen im Gebirge und am Grenzfluß Neiße wird Sachsen ein Eldorado für Gauner aus den Nachbarländern. Statt das Eigentum seiner Bürger zu schützen, ist Sachsen vor Warschau eingeknickt, wo man sich darüber beschwerte, daß polnische Bürger zu häufig kontrolliert würden.

Was wirklich läuft, ist in den täglichen Polizeimeldungen der Lokalpresse ablesbar, auch wenn diese oft geschönt sind. Deswegen ist die jetzt von Innenminister Markus Ulbig (CDU) vorgelegte Statistik mit Vorsicht zu genießen: In der Realität dürfte alles noch schlimmer sein. Laut Ulbig ist an der sächsischen Grenze zu Polen und Tschechien die Zahl der Einbrüche und Autodiebstähle 2008 gegenüber dem Vorjahr um 58 Prozent und im ersten Halbjahr 2009 um weitere 197 Prozent gestiegen. Wurden im ersten Halbjahr 2008 rund um Zittau 19 Fahrzeuge gestohlen, so wurden im gleichen Zeitraum des vergangenen Jahres bereits 133 vermißt. Insgesamt verschwanden in Sachsen 2009 mindestens 3.530 Autos, rund 800 mehr als 2008. Die Polizei spricht unter der Hand von einer hohen Dunkelziffer. Die für die Grenzregion zuständige Polizeidirektion Oberlausitz/Niederschlesien hat offiziell 120 in Görlitz gestohlene Autos angegeben, rechnet aber intern mit 500: ein Anzeichen dafür, daß das wahre Ausmaß der osteuropäischen Gaunern zugerechneten Kriminalität weiterhin verschwiegen wird. Genauere Zahlen sind beim Autoklau nur über die Versicherungen zu erfahren, denn die Reviere vor Ort haben vom Ministerium einen Maulkorb bekommen.

Die täglichen Diebstähle von Autos wirken auf Touristen abschreckend – und das in Regionen wie dem Erzgebirge und der Oberlausitz, die mangels Industrie allein auf den Fremdenverkehr setzen. Der Plan der niederschlesischen Stadt Görlitz, an ihre einstige Tradition als Pensionopolis anzuknüpfen und mit seiner einzigartigen Architektur betuchte Westrentner als Neubürger zu gewinnen, hat angesichts der vielen Raubüberfälle auf Rentner Schaden genommen. Trotz zusätzlicher Streifen und des Einsatzes zweier Sonderkommissionen ist die Aufklärungsrate gering. Gefaßte Täter werden nach Feststellung der Personalien von der Staatsanwaltschaft wieder laufen gelassen, weil sie in Polen oder Tschechien einen festen Wohnsitz haben.

Reiterstaffel als ohnmächtige Geste

Als letzte ohnmächtige Geste gegenüber den verunsicherten Bürgern schickte der Freistaat kurz vor Weihnachten die Polizeireiterstaffel nach Görlitz. Die berittenen Polizisten sollten den Bürgern wenigstens moralisch Halt geben. Was wirklich helfen würde – eine höhere Kontrolldichte an den Grenze und speziell auf den Grenzbrücken –, davon will man in Dresden nichts wissen. Im Gegenteil, die Regierung hält am weiteren Abbau von 2.441 Polizeistellen fest. Gegen die immer professioneller arbeitenden Kriminellen will das Innenministerium Hobbypolizisten einsetzen. Die ehrenamtlich arbeitende Sächsische Sicherheitswacht soll im Grenzgebiet um 80 Stellen aufgestockt werden. Außerdem will man die Zusammenarbeit mit den Sicherheitsorganen jenseits der Grenze verbessern. So wurden der Polizeidirektion Chemnitz-Erzgebirge 500.0000 Euro zur Verfügung gestellt. Mit dem Geld sollen gemeinsam mit der tschechischen Polizei in Aussig (Usti nad Labem) mehrere Projekte etwa im Straßenverkehr oder bei der Extremismusbekämpfung angeschoben werden.

Wie in Sachsen praktisch Schwerpunkte gesetzt werden, war auch am zweiten Januarwochenende in Zittau zu erleben. An der Grenze  waren kaum Polizisten im Einsatz, aber bis zu 50 Beamte kontrollierten stundenlang, ob ein Konzertverbot im Haus des „Nationalen Jugendblocks“ eingehalten wird. Letztlich stellte sich heraus, daß nicht einmal die Musiker angereist waren.

Foto: Deutsch-polnischer Grenzübergang im Dreiländereck

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen