© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/10 15. Januar 2010

Linkes und rechtes Bauen
Der Publizist Norbert Borrmann über die architekturideologischen Auseinandersetzungen im 20. Jahrhundert
Claus-M. Wolfschlag

Die Bedeutung der Architektur für die Verfaßtheit des Gemeinwesens wird gerade in konservativen Kreisen oft unterschätzt. Man führt gerne die Worte „Heimat“ oder „Vaterland“ im Mund, ignoriert aber weitgehend, daß sich diese Begriffe landschaftlich oder architektonisch verbildlichen müssen, um sinnlich erfahrbar zu sein. Diese Heimaterfahrung ist jedoch durch faktisch planlose Zersiedelung, durch austauschbare moderne Investorenarchitektur, durch lärmende Verkehrsschneisen seit dem 20. Jahrhundert in ihren Grundfesten erschüttert – und zwar nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Ignoranz angesichts dieser Entwicklung mag teils auf Unkenntnis fußen, teils auf einer Unterschätzung des ästhetischen Wirkens politischer Ideologien.

Nun hat der Publizist Norbert Borrmann ein umfassendes Buch über die architekturideologischen Auseinandersetzungen des 20. Jahrhunderts geschrieben. Er betont darin die Bedeutung der Weltanschauungen bei der optischen Gestaltung von Stadt und Landschaft, will dadurch den Leser sensibilisieren und kulturpolitische Zusammenhänge verdeutlichen. Dem dient auch die überreiche Bebilderung des interessanten Bandes, die das anschaulich Beschriebene begleitet.

Um die ästhetische Auseinandersetzung leichter erfaßbar zu machen, bemüht Borrmann einen Antagonismus zwischen „linkem“ und „rechtem Bauen“. Auch wenn er diese Einteilung bei genauer Betrachtung teils relativieren muß, bildet dieses Korsett dem Leser eine Hilfe zum Verständnis der im 20. Jahrhundert ausgebrochenen Auseinandersetzung zwischen Tradition und Modernismus. Ist die eine Bauform von Verortung in einem ganz spezifischen Raum und von Überzeitlichkeit geprägt, so vertritt die andere eine orts- und traditionsverneinende Position, die Fortschritt durch universelle Gleichheit und mittels Standardisierung erstrebt.

Borrmann unterscheidet zwei sich ergänzende Formen des Traditionalismus –  den uralten, aus der Verschmelzung mit der Natur entwickelten „Heimatstil“, der je nach Landschaft und Kultur ganz unterschiedliche Formen angenommen hat, und die aus der griechischen Antike stammende „klassische Ordnung“. Jahrtausendelang baute man nach diesen beiden handwerklichen Systemen, bis die industrielle Revolution begann, Standardisierung und Zersiedelung voranzutreiben. Gab es gegen deren erste Stadtbildschäden ab 1900 noch starke Reformbestrebungen, etwa durch den Architekten Paul Schultze-Naumburg, so erwuchs diesen erfolgreichen Versuchen einer Heilung der Landschaft ab den 1920er Jahren ein radikaler Gegner.

Die sowjetische Avantgarde um El Lissitzky und das deutsche Bauhaus um Walter Gropius entwickelten Leitbilder einer technikbegeisterten, internationalen und „verkehrsgerechten“ Formsprache, die als bewußte Disharmonie und Antipode zu jeder Tradition verstanden werden wollten. Wurde dieser Baumoderne bis 1945 noch konservativer Widerstand entgegen gesetzt, so kam es infolge der Verunsicherung nach dem Zweiten Weltkrieg schrittweise zur allumfassenden, faktisch totalitären Herrschaft des Baumodernismus in der deutschen Architektenschaft. Konkurrenten der Baumoderne wurden totgeschwiegen oder weggebissen, wie Borrmann darlegt.

Bis heute wird der Hochschulapparat von dieser Strömung beherrscht, schildern junge Studenten doch immer wieder mal in Internetforen den dort teils herrschenden Anpassungsdruck. Diese häufige Ignoranz gegenüber den Bedürfnissen der als unversiert erachteten Mehrheitsbevölkerung wirkt sich bis in die Führungsebenen des Bundes deutscher Architekten aus, aus dessen Mitte immer wieder massive Attacken gegen aktuelle Bemühungen um vereinzelte Stadtbildrekonstruktionen geritten werden. Die katastrophalen Folgen für unser Landschaftsbild liegen auf der Hand. Womöglich setzt man auf den Gewöhnungseffekt. Wenn erst mehrere Generationen in Flachdachkuben aufgewachsen sind, werden sie irgendwann keine Alternativen mehr erwarten, mögen manche denken. Verortbare Heimat würde in einem solch kosmopolitischen Szenario aber gänzlich zu existieren aufgehört haben.

Borrmann setzt in seiner interessanten kunsthistorischen Beschreibung die absichtliche Formlosigkeit der dominierenden Baumoderne in Verbindung zur Mentalität des bundesdeutschen Staates, der „in allen Bereichen möglichst das Gegenteil vom NS-Staat zu verkörpern“ versucht. Einstiger Bildgewalt wird durch bewußte Bildlosigkeit zu entfliehen versucht. Die Bundesrepublik sei deshalb „der amusischste Staat, der jemals auf deutschem Boden existiert hat“, konstatiert der Autor.

Norbert Borrmann: „Kulturbolschewismus“ oder „Ewige Ordnung“. Architektur und Ideologie im 20. Jahrhundert. Ares Verlag, Graz 2009, gebunden, 198 Seiten, Abbildungen, 19,90 Euro

Fotos: Deutsche Bau- und Siedlungsausstellung in Frankfurt am Main, 1938: „Heimatstil“ als Verortung in einem spezifischen Raum, Dessauer Siedlung Törten von Walter Gropius, 1927: Leitbilder einer bewußten Disharmonie als Antipode zu jeder Tradition

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