© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  01/10 01. Januar 2010

Odyssee durch Schnee und Eis
DVD: Vor fünfzig Jahren war das TV-Drama „So weit die Füße tragen“ Gesprächsthema Nummer eins
Werner Olles

Drei Jahre, nachdem 1955 die letzten deutschen Kriegsgefangenen aus Sibirien heimgekehrt waren, startete der WDR als erste wirkliche deutsche Eigenproduktion das Flucht- und Heimkehrerdrama „So weit die Füße tragen“ (1958/59). Nach dem gleichnamigen erfolgreichen Tatsachenroman von Josef Martin Bauer inszenierte Regisseur und Drehbuchautor Fritz Umgelter diesen packenden Stoff als sechsteiligen Fernsehfilm. Schon während der Ausstrahlung setzte eine bislang noch nicht dagewesene Welle der Begeisterung ein, die Serie wurde innerhalb der Familien diskutiert und entwickelte sich schnell generationenübergreifend zum Gesprächsthema Nummer eins. Tatsächlich berührte das dramatische Schicksal des Clemens Forell damals die ganze Nation und prägte Generationen von Zuschauern.

Für das noch junge deutsche Fernsehen war diese erste große Romanverfilmung ein ungeheurer Erfolg. „So weit die Füße tragen“ schrieb Fernsehgeschichte und rangierte über mehrere Jahrzehnte ganz oben auf der Beliebtheitsskala der deutschen Fernseh-Programmzeitschrift Hör zu. Weltweit in fünfzehn Sprachen übersetzt avancierte dieses grandiose Zeitdokument zum Publikumsmagnet und Straßenfeger und zählt heute noch zu den großen Fernseh-Klassikern.

Nach einer Neuverfilmung von Hardy Martins (2001), die jedoch mehr am Abenteuerpotential als am politischen Hintergrund interessiert war, erscheint Umgelters Original-TV-Sechsteiler zu seinem fünfzigjährigen Jubiläum nun erstmals neu abgetastet, digital überarbeitet und aufwendig restauriert als limitierte Sonderedition mit einem reichhaltig gestalteten Begleitheft und einer detaillierten Karte mit allen Stationen der abenteuerlichen Flucht von Clemens Forell auf DVD.

Und auch nach einem halben Jahrhundert hat die Geschichte nichts von ihrer Dramatik und Spannung verloren. 1945 wird Oberleutnant Clemens Forell (Heinz Weiss) mit 3.000 weiteren deutschen Kriegsgefangenen von der siegreichen Roten Armee in den östlichsten Winkel Sibiriens verschleppt, nachdem er in der Moskauer Lubjanka zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt wurde. Nur knapp 1.200 Männer überleben den Transport in Güterzügen und den anschließenden Gewaltmarsch und müssen fortan unter grauenvollen Bedingungen in einem Bleibergwerk in Kap Deschnew am Rande der Beringstraße schuften. Eine Flucht aus dem Lager scheint unmöglich.

1,3 Millionen Schicksale bleiben ungeklärt

Doch während eines Lazarettaufenthalts kommt Forell in Kontakt mit dem krebskranken Arzt Dr. Stauffer (Wolfgang Büttner), der ursprünglich selbst fliehen wollte. Der Arzt hilft Forell bei den Fluchtvorbereitungen, und angetrieben von der Liebe zu seiner Frau und zu seinen beiden Kindern gelingt es ihm nach mehreren erfolglosen Versuchen tatsächlich zu entkommen.

Nun ist Forell ganz auf sich allein gestellt und macht sich unter Lebensgefahr und trotz vieler Rückschläge und Mißgeschicke auf den beschwerlichen Weg. Zu Fuß wird er nach Hause laufen – über 14.000 Kilometer in drei Jahren. Auf seiner Flucht muß Forell nicht nur viele Abenteuer und Gefahren bestehen, sondern wird auch zum menschenscheuen Einzelgänger. Was er dabei erlebt, überschreitet alle unsere gängigen Vorstellungen von Leid. Auf seiner Odyssee durch die Eis- und Schneewüste Ostsibiriens, durch endlose Wälder und Steppen muß er leben wie ein Tier, gegen Wölfe kämpfen, muß Bettler, Dieb und sogar Räuber werden, um zu überleben. Vereinzelt findet er auch Hilfsbereitschaft und Geborgenheit, doch seine Angst vor Verrat und Hinterlist weicht nie von ihm. So trifft er unterwegs immer wieder Gefährten auf Zeit: mongolische Hundezüchter, Goldsucher, Pelztierjäger, Mitglieder des armenischen Widerstands. Viele helfen ihm, doch manche werden auch zur tödlichen Gefahr. Am Ende erreicht er nach unvorstellbaren Strapazen die Heimat, doch er ist ein anderer Mensch geworden …

„So weit die Füße tragen“ ruft uns noch einmal in Erinnerung, daß nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs 3,5 Millionen deutsche Soldaten in sowjetische Kriegsgefangenschaft gerieten. Bis heute bleiben etwa 1,3 Millionen Schicksale ungeklärt, sind immer noch viele Familien im unklaren darüber, was mit ihren Vätern, Brüdern und Söhnen geschah, nachdem die letzten Gefangenen erst dreizehn Jahre nach Kriegsende endlich wieder nach Hause kamen und ihre Angehörigen nicht dabei waren. In epischer Dimension tragen Bauers Roman und Umgelters Film so dazu bei, das Drama der Heimkehrer ins kollektive Gedächtnis der Deutschen zu rufen.

Doch war diese Erinnerungsarbeit offenbar manchem Kritiker bereits zuviel politischer Zündstoff. So schrieb das Lexikon des internationalen Films, der Film sei „Balsam für die Seele des Volkes, da ein unbescholtener Deutscher in der Rolle des (Kriegs-)Opfers gezeigt wurde“. Die Produktion habe „auch ideologisch in das Klima dieser revanchistischen Ära gepaßt“. Glücklicherweise störten sich die Zuschauer damals nicht an derartigen ideologisch motivierten Fehlurteilen miesepetriger Kritiker, sondern ließen sich lieber von der spannenden Handlung, den großartigen Bildern und dem ungemein präsent und glaubwürdig agierenden Hauptdarsteller Heinz Weiss beeindrucken. Der Jubiläumsedition ist ein ebensolcher Erfolg zu wünschen.

Als Extras werden Interviews mit Fritz Umgelter und Heinz Weiss, ein Historiker-Interview mit Andreas Hilger, ZDF-History, Begleitheft, Landkarte, „Über die Restauration“ und eine Trailershow geboten.

Foto: Oberleutnant Clemens Forell (Heinz Weiss) auf der Flucht aus Sibirien: Am Ende ist er ein anderer Mensch geworden

DVD-Box, So weit die Füße tragen – 50 Jahre Jubiläumsedition, 4 DVDs, Panda Vision/Ascot Elite 2009, Laufzeit etwa 371 Minuten

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