© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  01/10 01. Januar 2010

Auf zum letzten Gefecht
Geschichtspolitik: Der Streit um die Nominierung Erika Steinbachs für den Beirat der Vertriebenenstiftung geht in die entscheidende Phase
Hinrich Rohbohm

Die Nachricht schlug wie eine Bombe ein. Eine Stunde vor Beginn der Bundesdelegiertentagung in den Räumen des Berliner Konrad-Adenauer-Hauses erklärte Erika Steinbach, daß sie für das Amt der stellvertretenden Bundesvorsitzenden der christdemokratischen Ost- und Mitteldeutschen Vereinigung (OMV) nicht mehr zur Verfügung steht.

Der Entschluß hatte die gesamte OMV-Führungsriege inklusive ihres Vorsitzenden Helmut Sauer überrascht. „Ich begreife das nicht, es war zuvor alles abgesprochen gewesen“, meint Sauer gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. Schnell machten am Rande der Tagung Spekulationen die Runde. War das eine Reaktion auf die Querelen um die Besetzung des Beirats der Vertriebenenstiftung? Sauer will es nicht ausschließen. Er habe Steinbach nach den Gründen gefragt. Sie habe ihrem Mann versprochen, bei einigen Gremien kürzer zu treten, soll sie ihm geantwortet haben. Im OMV-Bundesvorstand wird die Vorsitzende des Bundes der Vertriebenen (BdV) wohl dennoch bleiben. „Ich werde sie jetzt auf jeden Fall kooptieren“, sagte Sauer der JF. „Sie neigt manchmal zu Alleingängen“, kommentiert ein anderer hoher OMV-Funktionär das Verhalten Steinbachs.

Der plötzliche Kandidatur-Verzicht für das Amt des OMV-Vizes ist ein weiterer Akt einer monatelangen Hängepartie. Steinbach war im vergangenen Februar als eine von drei Vertretern des BdV für einen Sitz im Beirat der Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ vorgeschlagen worden. Nachdem die Nominierung Steinbachs jedoch von polnischer Seite kritisiert wurde, sprachen sich SPD, FDP, Grüne und Linkspartei gegen deren Mitwirkung aus. Die Begründung: Steinbach hatte sich 1990 im Zuge der Wiedervereinigung im Bundestag gegen die Anerkennung der Oder-Neiße-Linie als deutsch-polnischer Grenze ausgesprochen. Um die Stiftung nicht zu gefährden, gab der BdV nach, zog den Steinbach-Vorschlag am 4. März wieder zurück. Einen Ersatzvertreter benannte der Verband demonstrativ nicht. Der BdV will damit deutlich machen, daß er sich nicht vorschreiben läßt, wen er zu benennen habe (siehe auch Seite 2).

Die Entscheidungsgewalt darüber hat jedoch das Bundeskabinett. Und genau da liegt das Problem. Denn auch nach der Bundestagswahl und der damit einhergehenden schwarz-gelben Koalition gilt eine Benennung Steinbachs durch das neue Kabinett als unwahrscheinlich. Die FDP um ihren Vizekanzler und Außenminister Guido Westerwelle hat ihre Position deutlich gemacht: Sie wird einer Nominierung Steinbachs nicht zustimmen. „Das hat zahlreiche Protestschreiben an die Liberalen zur Folge gehabt“, verrät der CDU-Politiker und Bundesvorsitzendee der Landsmannschaft Schlesien, Rudi Pawelka.

Ein von der FDP-Bundesgeschäftsstelle verfaßtes Antwortschreiben an ein empörtes BdV-Mitglied zeigt zudem den Stellenwert, den man den Vertriebenen in Deutschland offenbar zumißt. „Die heutige deutsche Außenpolitik ist auf die Zukunft ausgerichtet, nicht auf die Vergangenheit“, heißt es dort. Bei der CDU sieht man das anders – zumindest, wenn es um offizielle Verlautbarungen geht. „Der CDU-Bundesvorstand hat sich hinter Erika Steinbach gestellt“, sagt Helmut Sauer. Doch eine formelle Abstimmung hat es hierüber nicht gegeben. Sowohl CSU-Chef Horst Seehofer als auch CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe übten sich auf der OMV-Bundesdelegiertentagung in Solidarität mit den Vertriebenen. Hinter den Kulissen wird anders geredet. Daß die Bundeskanzlerin und CDU-Bundesvorsitzende Angela Merkel insgeheim sowohl gegen die Nominierung Steinbachs als auch gegen die Vertriebenenstiftung selbst arbeitet, ist unter den Vertriebenenfunktionären längst ein offenes Geheimnis. „Westerwelle wird von Merkel doch nur vorgeschoben“, meint einer von ihnen, der namentlich „auf keinen Fall“ genannt werden möchte. Die Situation sei festgefahren. „Keiner weiß momentan, wie es jetzt weitergehen wird“, meint Helmut Sauer. Hinzu kommt, daß aufgrund der Querelen nun auch der polnische Historiker Tomasz Szarota seinen Rückzug aus dem wissenschaftlichen Beraterkreis der Stiftung erklärt hat.

Wahrscheinlich wird der letzte Beiratsposten weiter unbesetzt bleiben. Denn für alle Beteiligten dürfte dies derzeit die bequemste Position sein: kein Streit in der Koalition auf der einen Seite, Gesichtswahrung des BdV auf der anderen. Sauer: „Wir können doch gar nicht anders.“ Eine andere Besetzung als Steinbach wäre ein Affront gegen den BdV und ein weiterer Beleg dafür, daß sich die CDU von ihrer Stammwählerschaft längst verabschiedet hat. Ein Verzicht des BdV auf Steinbach hingegen wäre ein Affront gegen seine Mitglieder. Merkels Versuch, Steinbach einen Kandidatur-Verzicht mit einem Staatssekretärsposten zu versüßen, scheiterte. Schnell machte die 66jährige klar, daß sie nicht käuflich sei. Am vergangenen Wochenende machte sie erneut deutlich, daß sie zur Kandidatur entschlossen ist. Wenn sie nicht für den Beiratssitz kandidiere, könne sie auch gleich als Präsidentin des BdV zurücktreten, sagte die CDU-Politikerin gegenüber dem RBB.

Eine breite Mehrheit im Bundesvorstand des BdV hält ebenfalls an ihr fest. Insider sprechen von „gut 70 Prozent“. Die anderen 30 Prozent können sich dagegen auch ein anderes Gesicht im Beirat vorstellen. Eines davon ist der amerikanische Völkerrechtler Alfred de Zayas. Der in Havanna geborene und in Chicago aufgewachsene 62jährige genießt beim BdV hohes Ansehen. Darüber hinaus soll es noch mindestens zwei weitere Interessenten für den Beiratsposten geben. Es dürfte daher wohl nur eine Frage der Zeit sein, wann der BdV sein Festhalten an Steinbach aufgeben wird. Neben Opposition und FDP wird die CDU-Führung – allen scheinheiligen Solidaritätsbekundungen zum Trotz – an diesem Vorhaben mit aller Intensität arbeiten.

Anfang Januar wird die Personalie Steinbach Thema der CSU-Klausurtagung in Wildbad Kreuth. Die CSU will dann den Druck auf die FDP verstärken. Und auch das BdV-Präsidium, das am 26. Januar tagt, wird nicht vorschnell klein beigeben.

Foto: Erika Steinbach auf der OMV-Tagung: „Sie neigt zu Alleingängen“

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