© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  01/10 01. Januar 2010

Schwarz-gelber Wettlauf mit der Zeit
Bundesregierung: Bis zur Wahl in Nordrhein-Westfalen im Mai sind der Koalition die Hände gebunden, danach ist sie zum Handeln verdammt
Paul Rosen

Für Schwarz-Gelb ist die Zeit 2010 knapp. Geöffnet wird das Zeitfenster am 9. Mai 2010 um 18 Uhr nach der nordrhein-westfälischen Landtagswahl. Es schließt sich Ende 2010, weil bereits im März 2011 in Baden-Württemberg, in Rheinland-Pfalz und in Sachsen-Anhalt Landtagswahlen anstehen. Die Zeit in diesem Fenster müssen Angela Merkel & Co. nutzen, um die für ihren Betrieb nötigen Eigenmittel einzutreiben, sprich Steuern zu erhöhen und/oder neue Abgaben zu erfinden. Vor den Wahlen in Nord-rhein-Westfalen, bei denen der Arbeiterfreund Jürgen Rüttgers mit seiner CDU/FDP-Koalition gute Chancen auf Wiederwahl hat, wird in Berlin trügerische Ruhe herrschen. Man wird Aktivitäten vortäuschen und vorgeben, etwa die Kundus-Affäre aufarbeiten zu wollen.

Traditionelle Amnesie zum Jahreswechsel

Da der neue Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) und auch seinerzeit Verantwortliche im Kanzleramt wie Innenminister Thomas de Maiziere (CDU) Stehvermögen zeigen und noch nicht fallengelassen worden sind, konnten sie sich über Weihnachten retten. In dieser Zeit fällt die öffentliche und veröffentlichte Meinung traditionell einer Amnesie anheim. Wenn der Politikbetrieb eines neuen Jahres früher mit der Kreuther Klausurtagung der CSU (die zunehmend in Vergessenheit gerät) begann, beherrschten andere Themen das Bild.

Ab 2010 dürfte weniger von dem Bombardement, von Guttenberg und seinem geschaßten Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan die Rede sein. Ein Untersuchungsausschuß soll die Sache aufarbeiten, aber die SPD hat eine gewisse Beißhemmung, da ihr Fraktionsvorsitzender Frank-Walter Steinmeier zum Zeitpunkt des Bombardements Außenminister war und sein Auswärtiges Amt etwas vom Strategiewechsel der Bundeswehr vom Wiederaufbau hin zur „gezielten Tötung“ mitbekommen haben könnte. Heftiger dürfte schon um die vom amerikanischen Präsident und Friedensnobelpreisträger Barack Obama gewünschte Verstärkung auch deutscher Kampftruppen in Afghanistan gerungen wird. Es kann sein, daß Berlin seine Verbände in Afghanistan noch einmal aufstockt – verbunden mit der windelweichen Ankündigung einer Rückzugsperspektive.

Aber nach der NRW-Wahl werden fieberhafte Aktivitäten ausbrechen. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hat unter Rücksichtnahme auf Rüttgers die höchste Neuverschuldung aller Zeiten für 2010 eingeplant. Zu den 86 Milliarden Euro kommen noch rund 15 Milliarden Euro neue Kredite in diversen Schattenhaushalten hinzu. Wenn die Koalition tatsächlich 2016 auf die von der Föderalismuskommission beschlossene Schuldenbremse treten und jede Neuverschuldung vermeiden will, müssen allein bis dahin 37 Milliarden Euro bei strukturellen Ausgaben eingespart werden. Das würde bedeuten: Rentenkürzungen, Abstriche bei Hartz IV und weniger Krankenkassenleistungen. Das glaubt vor dem Hintergrund von drei Wahlen im Jahr 2011 kein Mensch.

Wahrscheinlicher ist ein anderer Weg: Die Koalition wird im Sommer 2010 an die Planung einer Steuerreform gehen, die massive Einnahmeerhöhungen (etwa über die Mehrwertsteuer) bei gleichzeitiger Senkung des Einkommensteuertarifs besonders für Geringverdiener und Familien mit Kindern vorsieht. Parallel könnte die durch Grundgesetzänderungen bereits juristisch vorbereitete Einführung einer Pkw-Maut auf Autobahnen kommen. Anfang 2011, so die Perspektive, würden dann zwar die Mehrwertsteuer steigen und eine Pkw-Maut kommen, aber die Propaganda würde die positiven Seiten benennen. Familien mit Kindern und Arbeitnehmer mit wenig Einkommen würden um 20 Milliarden Euro entlastet; die Pkw-Maut würde ausländische Fahrzeuge treffen, was als Sieg der Gerechtigkeit dargestellt werden würde.

Mit diesen schönen Gemälden hofft man dann die Wähler in Baden-Württemberg gewinnen zu können. In Rheinland-Pfalz wird die CDU auch mit einer neuen Spitzenkandidatin Julia Klöckner kaum einen Blumentopf gewinnen können, und Sachsen-Anhalt gilt wegen der neuen Stärke der Linkspartei kaum noch einmal gewinnbar, so daß 2011 das passieren könnte, was nach Regierungswechseln immer passiert: Die Mehrheit im Bundesrat geht verloren. Danach ist der Gestaltungsspielraum bis zur nächsten Bundestagswahl gering, weil die CDU/FDP-Koalition in der Länderkammer keine Mehrheit mehr hätte und jede Zustimmung der Länder erheblich teurer erkauft werden müßte als mit den paar Milliarden für die Mehrheit zum Wachstumsbeschleunigungsgesetz, bei dem sich die CDU-regierten Länder Schleswig-Holstein und Sachsen bis zum Versprechen des Geldregens querlegten. So würden Union und FDP nach der Steuerorgie teilnahmslos dem Wahltag 2013 entgegendämmern. Der Dämmerzustand würde nur von gelegentlichen Schaukämpfen oder unverbindlichen Ankündigungen unterbrochen wie etwa der Erklärung von Merkel, man wolle eine „neue Weltklimaordnung“ schaffen.

Im Vergleich zu 1982, als Union und FDP mit Helmut Kohl ans Ruder kamen, ist die christlich-liberale Regierung Merkel ehrlicher: Eine „geistig-moralische Wende“ hat sie erst gar nicht versprochen.

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