© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  01/10 01. Januar 2010

„Die Jugend ist konservativ“
Scheitert die EU? Andrew Roberts sagt ein „Desaster“ voraus und setzt auf eine nationale Renaissance
Moritz Schwarz

Herr Roberts, heute beginnt ein neues Jahrzehnt. Was wird es uns bringen?

Roberts: Nun, Deutschland hat eben erst gewählt, bei Ihnen tut sich mit nur einer Landtagswahl 2010 wohl nicht viel. Ich glaube, für Konservative wird es im neuen Jahr in Großbritannien viel spannender.

Warum?

Roberts: Weil wir anders als Sie im Frühjahr eine konservative Regierung bekommen werden.

Tory-Chef David Cameron gilt in der Tat als ausgemachter Wahlsieger, aber sind die Tories für echte Konservative noch von Belang?

Roberts: Moment, Sie denken jetzt an John Major, richtig? Aber wenn mit David Cameron im Frühjahr die Tories an die Regierung zurückkehren, dann kehren sie quasi nach zwanzig Jahren zurück, obwohl es zutrifft, daß Tony Blair Major erst 1997 abgelöst hat. Doch vom Sturz Margaret Thatchers 1990 bis zur Wahl Camerons zum Tory-Chef 2005 befand sich die Partei im Bürgerkrieg. Major und seine Leute haben die Konservativen ruiniert! Cameron nun sorgt für eine konservative Renaissance. Jetzt finden Sie dort wieder den jungen, intelligenten und progressiven konservativen Nachwuchs, den es seit John Major nicht mehr gegeben hat.

Dennoch bevorzugen doch gerade junge, gebildete Leute linke Parteien.

Roberts: Ja, in der Vergangenheit, aber das ist jetzt vorbei. Schauen Sie sich um, kein Zweifel, die Jugend ist konservativ.

Nicht in Deutschland.

Roberts: Wie bedauerlich für Ihr Land.

Warum?

Roberts: Weil konservative Regierungen die besseren sind, sie glauben an den schlanken Staat und niedrigere Steuern.

Ist das jetzt nicht ein bißchen wenig?

Roberts: Finden Sie? Dann haben Sie vielleicht nicht begriffen, was das bedeutet. Linke Regierungen sind Ausdruck des Gefühls, daß der Staat die Antwort ist. Wenn ich mir heute Großbritannien anschaue, dann sehe ich eine Nation, die ängstlich geworden ist, der es nur um soziale Sicherheit geht.

In Deutschland der Wert Nummer eins, was ist daran verkehrt?

Roberts: Eines der erstaunlichsten Phänomene des 20. Jahrhunderts war die Geschwindigkeit, mit der die Deutschen nach 1945 zurückgekehrt sind. Schon der Wiederaufsteig nach 1918 war beeindruckend, aber der nach 1945 übertraf diesen, weil Ihr Land damals noch ungleich schwerer getroffen war. Habt ihr Deutschen das geschafft, weil Sicherheit an erster Stelle stand? Nein, ihr habt es geschafft, weil ihr Unternehmungsgeist und Aggressivität hattet!

In Ihrem aktuellen, hochgelobten Buch „The Storm of War“ zeigen Sie teilweise offen Ihre Bewunderung für die Deutschen.

Roberts: Ich finde, die Deutschen sind ein erstaunliches Volk. In „The Storm of War“ schildere ich zum Beispiel wie die Deutschen nach dem Verlust von Hundertausenden von Soldaten an der Ostfront 1944 dennoch in den Ardennen eine Offensive mit fast fünfzig Divisionen begannen! Und das mitten im Winter, bei Eis und Schnee. Dabei setzte die Wehrmacht zum Beispiel Scheinwerfer ein, deren Licht von den Wolken reflektierte, um das Gefechtsfeld zu beleuchten. Sie überraschte Briten und Amerikaner völlig, vermochte diese sogar in der Mitte zu spalten. Zu dieser Zeit, in der Lage, in der sich das Reich damals militärisch bereits befand, war das eine schier unvorstellbare Leistung!

Ein „unvermeidlicher“ deutscher Gegenangriff, wie Sie sagen.

Roberts: Eigentlich ist nichts in der Welt unvermeidlich, abgesehen von den Gegenangriffen der Wehrmacht, die waren quasi selbstverständlich. Aber heute? In Europa sind wir von Sicherheit besessen. Doch das ist nicht das Kennzeichen aggressiver, ich meine damit tatkräftiger Nationen. Denn Nationen, die selbstsicher und nicht dekadent sind, schert Political Correctness nicht. Großbritannien hatte im 19. Jahrhundert enormes Selbstvertrauen. Es glaubte damals ebenso an die Machbarkeit wie die USA im 20. Jahrhundert. Nicht wir, die Russen haben zum Beispiel Napoleon besiegt, aber wir, nicht die Russen, haben darauf ein Weltreich aufgebaut, weil wir den Sieg zu nutzen wußten. Heute haben die Chinesen diese Machbarkeitsethik – und wir haben linke Regierungen.

Die Welt ist komplexer geworden, Ihre einfachen Rezepte der Vergangenheit funktionieren heute nicht mehr.

Roberts: Das ist doch der pure Unsinn. Die Aufblähung des Staates wollen Sie allen Ernstes im positiven Sinne als „modern“ darstellen? Haben Sie sich schon mal umgeblickt in Europa? Wie sieht es denn dort aus? Zum Beispiel bei Ihnen in Deutschland? Probleme dank zu schlankem Staat? Wegen zu niedriger Staatsquote? Aufgrund einer zu geringen Steuerbelastung? Außerdem, was soll das heißen, „die Probleme der Zukunft sind zu komplex“? In der Vergangenheit waren die Probleme also einfach? Zum Beispiel der Kalte Krieg? Bekanntlich eine simple Konstellation. Oder die Weltkriege: Ganz einfache Angelegenheiten! Die industrielle Revolution? Die napoleonischen Kriege? Die Französische Revolution? Die Türken vor Wien? Der britische Bürgerkrieg? Der Dreißigjährige Krieg? Das Schisma der Kirche? Das alles sollen einfache Probleme gewesen sein? Quatsch. Die „neue Komplexität“ ist nichts weiter als ein Mythos, mit dem die Linke versucht, uns einzuschüchtern.

Ihr vorletztes Buch „A History of the English-Speaking Peoples since 1900“ wurde von der Kritik ob solcher Betrachtungen so sehr geschmäht, wie „The Storm of War“ nun gelobt wird.

Roberts: Ja, die Rezensionen waren niederschmetternd: Je linksliberaler die Kritiker, desto schlechter die Besprechungen. Sie haben das Buch regelrecht gehaßt.

Präsident George W. Bush dagegen hat es zu schätzen gewußt – und es laut gelobt.

Roberts: Aber Bush gilt vielen ja nichts. In Europa gelten nur solche Amerikaner etwas, die ihr eigenes Land hassen. Denn unsere Intelligenzija liebt amerikafeindliche Positionen, weil sie das in ihren Vorurteilen bestätigt. Dabei glaube ich, daß die ganz normalen Leute, zumindest die ganz normalen Briten, keineswegs gegen Amerika eingestellt sind. Es ist unsere linksliberale Intelligenz, die das Mutterland des Kapitalismus für Errungenschaften wie den freien Markt einfach haßt. Und der ganz harte Kern hat den USA bis heute nicht verziehen, daß sie die Sowjet­union im Kalten Krieg besiegt haben. Es ist quasi Teil der DNS der Linken, zumindest in Großbritannien, die USA nicht zu mögen, nicht mal unter Obama.

Tony Blair widerlegt Ihre Behauptung.

Roberts: Das möchte man im ersten Moment in der Tat meinen, denn Blair war wirklich pro USA. Und das ist eigentlich auch schon erstaunlich. Die Auflösung dieses Widerspruchs hängt mit der Präsidentialisierung der britischen Politik zusammen. Die Leute wählten Blair, obwohl er Labour ist, weil sie seine Führung beeindruckte.

Sie schreiben in fast allen großen britischen Zeitungen und vertreten die Auffassung, daß Cameron Ihr Land aus der Krise führen wird, in die es Labour gebracht hat. – Schön für Großbritannien, aber was hat der kontinentale Konservative von einer Tory-Renaissance?

Roberts: Nun, keine andere konservative Partei in Europa will Brüssel stoppen. Die übrigen, etwa Ihre CDU/CSU, wollen es doch im Gegenteil nur effizienter machen!

Cameron wird Brüssel stoppen?

Roberts: Nein.

Sagten Sie das eben nicht?

Roberts: Nein. Denn das kann er gar nicht. Kein Zweifel, Cameron ist ein wirklicher Konservativer. Aber er steht vor Herausforderungen, die keiner bewältigen kann.

Inwiefern?

Roberts: Längst werden die Entscheidungen in Brüssel getroffen.

Cameron hatte ursprünglich eine britische Volksabstimmung über Lissabon versprochen.

Roberts: Seit dem 1. Dezember ist der Vertrag in Kraft, für eine Volksabstimmung ist es zu spät. Camerons Versprechen galt nur, falls der Vertrag nicht in Kraft tritt, etwa wenn Vaclav Klaus nicht unterschrieben hätte. Es ist schon bittere Ironie: Nach über eintausend Jahren britischer Unabhängigkeit hing diese zum Schluß von einem Tschechen ab.

Wieso soll es endgültig zu spät sein?

Roberts: Der Lissabon-Vertrag besagt, daß die EU zu einem konstitutionellen Staat erhoben werden kann – und zwar ohne weitere Verträge abschließen zu müssen! Also keine störenden Referenden, keine Volksabstimmungen mehr. Das heißt, mit Lissabon haben sie es tatsächlich geschafft: Sie haben uns dazu verdammt, nur noch hilflose Beobachter bei unserer eigenen Beerdigung zu sein.

Warum Beerdigung?

Roberts: Viele nehmen an, weil die EU in ihren Augen etwas Gutes ist, wird sie in Zukunft auch gut funktionieren. Was sie aber vergessen: Wie schnell instabile Strukturen auch wieder zerbrechen können, wenn sie unter Druck geraten. Denken Sie nur an die europäischen Reiche vor 1914. Wie mächtig waren Gebilde wie zum Beispiel Österreich-Ungarn oder Rußland im Sommer 1914, und wie schnell waren sie dann am Ende.

Sie sagen den Untergang der EU voraus?

Roberts: Woher wissen wir denn, daß die EU nicht eines Tages vor Herausforderungen steht, die sie unter großen Druck setzen? Wie können wir leichtfertig während einer Schönwetterperiode in diesen Glaspalast umziehen, und alles hinter uns abbrechen? Früher, als wir denken, sehen wir vielleicht einem schweren Hagelsturm entgegen. Ja, ich glaube, sie wird zusammenbrechen und alles wird in Armut und Desaster enden, und ich glaube, es wird sogar noch zu meinen Lebzeiten – ich bin Jahrgang 1963 – passieren. Voraussetzung ist allerdings, daß der Logik des Lissabon-Vertrags gemäß Ausweitung und Vertiefung der EU immer weiter zunehmen und so alles auf einen Superstaat hinausläuft.

Was können wir dagegen tun?

Roberts: Ich fürchte, nichts.

Wir sollen unserem Untergang zusehen – in einer Demokratie, mit allen Möglichkeiten, zu handeln?

Roberts: Es ist die Tragödie unserer Zeit.

Dann ist das Ende der Demokratie?

Roberts: Ja und nein. Werden wir weiter unsere Parlamente wählen? Ja. Werden diese noch die Macht haben? Nein.

Die EU als Vertreterin Europas operiert gegen Europas Interessen?

Roberts: Das ist nicht so absurd, wie es sich anhört. Wir wissen doch alle, wer bevorzugt nach Brüssel geschickt wird: die Politiker, die zu Hause durchgefallen sind. Es ist nachvollziehbar, daß diese dazu neigen, die Wähler, die ja ihren politischen Genius so schnöde verkannt haben, für ihre Abwahl verantwortlich zu machen. Und so binden sie ihre Loyalität an einen Superstaat, der ihre politische Existenz zu würdigen weiß und der sie vor dem ungerechten und inkompetenten Willen der Wähler in Zukunft schützt.

Warum durchschauen die Bürger das nicht?

Roberts: Weil unsere politische und geschichtliche Bildung miserabel ist. In Großbritannien hatten wir jüngst einen Umfrageskandal dergestalt, daß zum Beispiel etwa vierzig Prozent der 11- bis 18jährigen an staatlichen Schulen glauben, der US-Unabhängigkeitskrieg sei von Denzel Washington gewonnen worden. Natürlich hat der schwarze Hollywood-Schauspieler Denzel Washington nichts mit dem George Washington gemein, außer den Nachnamen. Und einer von zehn britischen Jugendlichen hält Adolf Hitler nicht für eine historische Person, sondern für eine erfundene Figur, einen Film-Bösewicht wie etwa Darth Vader aus „Krieg der Sterne“. Zehn Prozent der Briten glauben sogar, und jetzt halten Sie sich fest, Winston Churchill sei der erste Mensch auf dem Mond gewesen!

Sie machen Witze?

Roberts: Ich wünschte, es wäre so. Und fangen Sie gar nicht erst an, die Briten zu fragen, wer etwa Oliver Cromwell war. Die Ergebnisse sind bestürzend, das Ausmaß der Ahnungslosigkeit erschreckend! Wir ziehen eine Generation von historisch Ahnungslosen heran. Glauben Sie, das rächt sich nicht? Es hat Konsequenzen, ernsthafte sogar! Die Wahrheit ist, daß Großbritannien im 20. Jahrhundert einen erschreckenden Abstieg hinter sich hat. Ja, man kann von einem Kollaps sprechen: vom Weltreich zur Satrapie der EU in nicht mal hundert Jahren! Aber blicken wir in die Geschichte, dann sehen wir, der Wiener Kongreß ist schon 1822 zusammengebrochen, der Völkerbund war ein Desaster und die Uno ist bis heute nicht ernstzunehmen. Ebenso wird die EU scheitern, weil die Herzen der Menschen nicht für sie schlagen. Keiner liebt ihre Hymne oder Flagge. In Wahrheit sind wir nationale Wesen.

 

Andrew Roberts: Der konservative britische Historiker und Journalist (www.andrew-roberts.net) provoziert in seiner Heimat immer wieder mit politisch unkorrekten Wortmeldungen in fast allen großen Medien des Landes wie Times, Daily Telegraph oder Observer bis hin zum Punch oder zur „britischen Bild-Zeitung“ The Sun. Auch im Fernsehen ist Roberts präsent, ob in England bei BBC und Channel 4 oder in den USA bei CNN, NBC oder CBS. Sein vierzehntes und jüngstes, „brillant geschriebenes“ (Ian Kershaw), „glänzendes Buch“ (The Economist) „The Storm of War. A New History of the Second World War“ (Penguin) feierte die Times als „sein Meisterwerk“, es sucht aber noch einen deutschen Verleger. Geboren wurde Roberts 1963 in London.

 

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