© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  52/09-53/09 18./25. Dezember 2009

Samurai unter dem Kreuz des Südens
Zum 70. Todestag des Kapitäns Hans Langsdorff / Er verzichtete darauf, die Mannschaft seiner „Admiral Graf Spee“ in einer finalen Schlacht zu opfern
Thomas Warnke

Am Dienstag, den 19. Dezember 1939 geht Thomas Mann in Princeton wie regelmäßig zur Pediküre, „danach mit dem Pudel auf dem Golfplatz“. Tags darauf, zwanzig Exemplare von „Lotte in Weimar“ sind zu dedizieren, hält der Zauberer im Tagebuch fest: „Selbstmord des Kapitäns des ‘Graf Spee’“. Nicht ohne Mitgefühl registrieren zahlreiche deutsche Exilanten in dieser ersten Vorweihnachtszeit des Zweiten Weltkriegs den Tod des Kapitäns zur See Hans Langsdorff. Unter ihnen ist der Nobelpreisträger nur einer von vielen, zudem der, der auch den kärglichsten Kommentar liefert. Aber immerhin, gleichgültig läßt das ungewöhnliche Ende eines Kriegsschiffskommandanten aus „Hitler-Deutschland“ selbst diesen hyperautistischen Großschriftsteller nicht.

Der Freitod Langsdorffs, der sich am 19. Dezember abends in einem Hotelzimmer in Buenos Aires vor dem Griff zur Dienstwaffe in die Fahne der kaiserlichen Marine und nicht in das Banner mit dem Sonnenrad hüllt, scheint das eigentliche Faszinosum eines Dramas zu sein, in dessen Zentrum vielleicht eher sein Schiff, die „Admiral Graf Spee“, stehen müßte.

Doch der Reihe nach. Diese Geschichte, die alles Talent hat, immer wieder aus dem Ruder zu laufen, beginnt damit, daß Ende August 1939 zwei der drei deutschen „Westentaschenschlachtschiffe“, die „Deutschland“ und eben die „Spee“, zur Wartestellung in den Atlantik geschickt werden. Die „Spee“, unheilschwanger auf den Namen jenes Flottenchefs aus altem Reichsgrafengeschlecht getauft, der, auf seiner Odyssee von Tsingtau den Pazifik durchquerend, „dem Engländer“ bei Coronel eine Lektion erteilte und dann nach einem Gefecht mit überlegenen britischen Kräften im November 1914 mit den Schlachtkreuzern „Scharnhorst“ und „Gneisenau“ vor den Falkland-Inseln versank, schlängelt sich nach Kriegsausbruch im September 1939 in den Südatlantik vor. Dort bringt sie einzelfahrende feindliche Handelsschiffe auf und kann dann sogar im Indischen Ozean erfolgreich operieren. Die „Spee“, mit sparsamen Motoren ausgerüstet, versorgt von in den Unendlichkeiten der Weltmeere gut postierten Tankern, führt klassischen „ozeanischen Zufuhrkrieg“ gegen die Lebensadern des Britischen Empire, so wie man sich das in den Planspielen am Berliner Tirpitz­ufer ausgerechnet hat. Mehr vermag die kleine deutsche Kriegsmarine gegen die stärkste Seemacht der Welt nicht auszurichten.

Langsdorff als Repräsentant des „anderen Deutschland“

Das zunächst glückhafte Schiff gehorcht einem schmächtigen, vornehm-ruhigen Mann, dem Mittvierziger Hans Langsdorff. Der Sohn eines Juristen erhielt seine Feuertaufe 1916 in der Skagerrak-Schlacht auf dem grauen Riesen „Großer Kurfürst“. Doch danach wechselte er von den Dickschiffen zu den Minensuchern. Den kleinen Einheiten bleibt er in der Reichsmarine treu, 1929 übernimmt er eine Torpedobootflottille. 1932 kurzzeitig in der politischen Schlangengrube, als Adjutant Kurt von Schleichers, diente er seit 1935 im Admiralstab. Erst sehr spät, im Herbst 1938, kehrt er zu den 10.000-Tonnern zurück, auf die Brücke der „Spee“. Im nachhinein hadert die Seekriegsleitung mit dieser Personalie: vielleicht doch der falsche, nicht hinreichend „robuste“, seelisch zu „irritierbare“ Mann auf dem modernsten Schiff, das man den Briten entgegenschickt?

Im Urteil Winston Churchills durchaus nicht. Der befand rückblickend, Langsdorff habe die „Spee“ „kühn und unternehmungslustig“ geführt. Zudem kosteten die neun Schiffe mit 50.000 Bruttoregistertonnen, die deren Prisenkommandos auf den Meeresgrund schickte, die britische Handelsmarine kein Menschenleben. Auch dies trug dem Kommandanten des deutschen „Raider“ den Nimbus eines Samurai unter dem Kreuz des Südens ein.

So hätte alles einen schönen Abschluß finden können im Januar 1940 in Wilhelmshaven, nach listigem Rückmarsch und zuvor einer kleinen Aufmischung nahe der La Plata-Mündung – wenn am 13. Dezember nicht die drei britischen Kreuzer „Ajax“, „Achilles“ und „Exeter“ aufgetaucht wären. Die „Spee“ war ihnen artilleristisch weit überlegen, schon die ersten Salven lagen deckend und fuhren dann unter Offizieren und Besatzungen aller drei Gegner eine schauerlich blutige Ernte ein. Doch deren Kommodore Henry Harwood war einer jener grauäugig-todesmutigen Terriertypen, die nicht an Frau und Kinder dachten und ohne die es seit Admiral Nelson kein „Britannia Rules the Waves“ gegeben hätte. Harwoods eben über der Wasserlinie sich haltendes Geschwader schaffte es also, die „Spee“ zu beschädigen. 36 deutsche Marinesoldaten fielen, Langsdorff erlitt Verletzungen durch Schrapnellsplitter, war kurz bewußtlos.

Um Mitternacht liefen die Deutschen wie der fliegende Holländer Montevideo an, um im Schutz der falsch eingeschätzten „Neutralität“ Uruguays dringendste Reparaturen auszuführen. Warum Fairneß britisch sein soll, darüber durfte Langsdorff rätseln, als ihm nur kümmerliche 72 Stunden bis zum Auslaufen gewährt wurden –  nachdem die Diplomaten Seiner Majestät die „Urus“ zu diesem Ultimatum erpreßt hatten. Überdies gelang Londons Botschafter ein Desinformationscoup, so daß Langsdorff glauben mußte, schwere Navy-Einheiten lauerten draußen auf ihn. Von Berlin bekam er nur Order, die „Spee“ keinesfalls internieren zu lassen. Ansonsten: Handlungsfreiheit.

Allerdings, so hofften Adolf Hitler und Erich Raeder, der Führer und sein Marinechef, der Kapitän werde den Untergang mit wehender Flagge suchen. Der entschied sich aber für das Leben seiner Besatzung, ließ das Gros der Männer am 17. Dezember an Land bringen, die „Spee“ mit winziger Crew auslaufen und im seichten Wasser sprengen.

Um „der Welt die deutsche Ehre“ zu beweisen, ging Hans Langsdorff anschließend aus dem Leben. Dies tragische, der Marinetradition vor 1933 verpflichtete Ende, seine ritterlich-noble Kriegführung, die humane Schonung seiner Untergebenen, begründete seinen Ruhm und Nachruhm als Repräsentant des „anderen Deutschland“.

Foto: Kapitän Hans Langsdorff (ohne Mütze) auf der „Admiral Graf Spee“ 1939 im Südatlantik: Marinetradition vor 1933 verpflichtet

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