© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  52/09-53/09 18./25. Dezember 2009

Emotionen hier, Vorwürfe dort
Klimadiskussion: Wie steht es um die Erderwärmung? Welche Rolle spielt der Mensch? Klimawarner und -skeptiker streiten um die Deutungshoheit
Michael Manns

Wer in den vergangenen Tagen und Wochen die Berichte und Stellungnahmen zum Klimagipfel in Kopenhagen verfolgt hat, stand nicht selten im Regen. Emotionen hier, Fälschungs-Vorwürfe dort. Doch wie steht es nun um die Erderwärmung? Was bewirken die Treibhausgase? Ist der Mensch am Klimawandel beteiligt – oder nicht? Wie ist das mit dem Anstieg des Meeresspiegels, und wie seriös sind die wissenschaftlichen Standpunkte? Zwei Schulen sind hier voneinander zu trennen: die Klimawarner auf der einen und die Klimaskeptiker auf der anderen Seite. Beide bieten eine Fülle von sich widersprechenden Antworten, die im folgenden gegenübergestellt werden. Ein Pro und Contra.

 

Thesen der Klimawarner

Erderwärmung

Die Erwärmung des Klimasystems ist eindeutig.“ So schreibt  der Uno-Weltklimarat IPCC in seinem vierten Sachstandsbericht. Seine aktuelle Studie ist praktisch eine Art „Grundgesetz“: „Elf der letzten 12 Jahre (1995–2006) gehören zu den zwölf wärmsten Jahren seit der instrumentellen Messung der globalen Erdoberflächentemperatur (seit 1850).“ Der Erwärmungstrend über die letzten 50 Jahre sei fast zweimal so hoch wie derjenige über die letzten 100 Jahre. Und: „Modellexperimente zeigen, daß in den nächsten zwei Jahrzehnten …ein weiterer Erwärmungstrend mit einer Geschwindigkeit von etwa 0,1 Grad Celsius pro Jahrzehnt zu beobachten“ sein werde. Neben der Luft hätten sich auch die Ozeane erwärmt. Mit Ausnahme weniger Regionen sei die Erwärmung seit 1979 weltweit nachweisbar.

 

Kohlendioxid-Zunahme

Die globale atmosphärische Konzentration des wichtigsten anthropogenen Treib-hausgases – Kohlendioxid (CO2) – ist von einem Wert in vorindustrieller Zeit (um 1750), der bei etwa 280 ppm (parts per million, das heißt 280 CO2-Moleküle auf eine Million Luftmoleküle) lag, auf 384 ppm im Jahre 2008 angestiegen. Dieser Wert liegt erheblich über der aus Eisbohrkernen bestimmten natürlichen Bandbreite der letzten 650.000 Jahre (180 bis 300 ppm). Die hohe Konzentration wird hauptsächlich durch den Verbrauch fossiler Brennstoffe und zu einem geringeren Teil durch Landnutzungsänderungen (Rodungen) verursacht. 26 führende Klimawissenschaftler haben ihre wichtigsten Ergebnisse der vergangenen zwei Jahre zusammengefaßt. Ihr Fazit: Die Erde erhitzt sich unerwartet schnell.

 

Die Rolle des Menschen

Die IPCC-Position ist klar: Da weder interne Klimaschwankungen noch externe natürliche Antriebe den Temperaturanstieg der letzten Jahrzehnte erklären können, bleiben als mögliche Erklärung nur anthropogene Emissionen von Treibhausgasen. Heißt: Der Mensch ist für die Erwärmung verantwortlich. Die Rolle der Sonne ist sehr gering (kommt CO2 ein Wert von 1,66 zu, so beträgt er bei der Sonnenstrahlung 0,12). Das IPCC bewertete zwar auch kühlende Faktoren wie Aerosole und andere Faktoren. Die Gesamtbilanz „total netto anthropogen“ sei eindeutig, CO2 ist schuld. Das IPCC ist sicher: „Das Verständnis der erwärmenden und kühlenden anthropogenen Einflüsse auf das Klima hat sich seit dem Dritten Sachstandsbericht verbessert und zu einem sehr hohen Vertrauen geführt.“

 

Anstieg des Meeresspiegels

Zwischen 1992 bis 2009 stieg der Meeresspiegel um 3,3 mm pro Jahr – 50 Prozent mehr als im Durchschnitt des 20. Jahrhunderts. Dem IPCC zufolge sind bis zum Jahr 2100 Erhöhungen bis zu 0,58 Meter möglich – wobei der Anteil des Grönland- und Antarktis-Eises nicht berücksichtigt ist. Sollte der Grönländische Eisschild abschmelzen, würde das den Meeresspiegel um etwa sieben Meter anheben. Das abschmelzende Eis der Antarktis könnte zu einer Erhöhung um 57 Meter führen. Ohne Gegenmaßnahmen würden bei einem Anstieg des Meeresspiegels um einen Meter weltweit 150.000 km² Fläche dauerhaft überschwemmt, davon 62.000 km² küstennahe Feuchtgebiete. 180 Millionen Menschen wären betroffen und die Zerstörung von Besitz im Wert von 1,1 Billionen US-Dollar zu erwarten.

 

Wissenschaftliche Seriosität

Klimaforscher pochen auf ihre wissenschaftlich-seriöse und unvoreingenommene Arbeitsweise. Gegenargumente und konkurrierende Thesen würden vorurteilslos geprüft. Professor Stefan Rahmstorf, ein Gegner der Klimaskeptiker, ist fest von dieser Position überzeugt und sagt: „Nur die Ideen haben Bestand, die sich überzeugend belegen und bestätigen lassen; viele gehen wieder unter. Wissenschaftler schauen dabei nüchtern auf methodische Aspekte, etwa auf die Streuung und Reproduzierbarkeit der Daten, mögliche Fehler, mögliche andere Einflußfaktoren.“ Im Gegensatz zu den Klimaskeptikern bejubelten sie nicht kritiklos einzelne Arbeiten und wischten bedenkenlos andere Ergebnisse vom Tisch. Professionelle Forscher könnten es sich nicht leisten, derart mit zweierlei Maß zu messen.

 

Thesen der Klimaskeptiker

Erderwärmung

Wärmeres Klima muß nicht nur negative Folgen haben. So zeigen Satellitenbilder, daß der Südrand der Sahara immer grüner wird – was Ökologen auf erhöhte Luftfeuchtigkeit zurückführen. Weltweit dehnen sich  die Wälder aus. Im letzten halben Jahrhundert nahmen die Getreideernten zu. Und im Mittelalter konnte man zum Beispiel auf Grönland Getreide ernten. Sicher ist: Die erdgeschichtlichen Warmzeiten waren die besseren Zeiten für Natur und Mensch, wie Ökologen und Klimahistoriker bestätigen. Zudem entbehrt das apokalyptische Szenario jeglicher Substanz: Denn in den letzten zehn Jahren wurde es überhaupt nicht wärmer, stellte unlängst das britische Hadley-Zentrum fest. Peinlich für die Klimawandel-Anhänger – dies war in ihren Modellrechnungen nicht vorgesehen.

 

Kohlendioxid-Zunahme

Ein Teil der Klimaskeptiker gibt zu: Die CO2-Zunahme in der Atmosphäre ist real. Aber CO2 ist kein Umweltgift, sondern außerordentlich günstig für das Pflanzenwachstum; eine weitere Zunahme ist im Interesse der Welternährung durchaus erwünscht. Experimente mit Pflanzen in künstlich CO2-angereicherten Atmosphären zeigen, daß mit einer Verdoppelung des CO2-Gehalts Wachstumssteigerungen bei den meisten Pflanzen im Bereich von 10 bis 80 Prozent möglich sind – Holz, Blätter, Früchte, alles wächst besser. Es gibt keinen besseren Dünger. Ein anderer Teil verweist darauf, daß in den letzten 200 Jahren die CO2-Konzentration auf der Nordhemisphäre schon dreimal so hoch gelegen habe wie heute. Die Postulierung eines zusätzlichen Treibhauseffekts sei rein spekulativ.

 

Die Rolle des Menschen

Wenn das IPCC feststellt, der Wechsel in der Intensität der Sonnenstrahlen sei zu gering, um die Klimaschwankungen und insbesondere die Klimaerwärmung zu erklären, so stimmt dies. Aber es gibt noch den Solarwind: einen Teilchenstrom, den die Sonne ausstößt und der enorm schwankt. Vom IPCC wird er aber nicht berücksichtigt. Die Europäische Organisation für Kernforschung (CERN) mit ihren Anlagen bei Genf will dies nun untersuchen. Jüngst ist dort ein Versuch angelaufen. So erhofft man sich mehr Klarheit über den Einfluß der Strahlung auf die Wolkenbildung und somit auf kühlende oder erwärmende Effekte. Der US-Klimaforscher Richard Lindzen bemerkte, die Treibhausgase gelten nur deshalb als Ursache der Erwärmung, weil man keine andere plausible Erklärung habe.

 

Anstieg des Meeresspiegels

Ein Ansteigen des Meeresspiegels um sieben Meter als Folge des Abschmelzens des Grönlandeises (und die damit verbundenen katastrophalen Folgen) wird von den Skeptikern entschieden bestritten. Dorthe Dahl-Jensen, Dänemarks führende Glazialforscherin und keineswegs eine Klimawandelskeptikerin, wiegelt ab: „Ein völliges Abschmelzen des Inlandeises würde tausend Jahre dauern. Zwar schmilzt im Sommer der Gletscher, aber im Winter nimmt er durch Niederschläge wieder zu.“ Und noch eine paradoxe Situation: Der Klimawandel läßt die Arktis tauen – doch in der Antarktis wird es keineswegs überall wärmer. Im Gegenteil: Meeresforscher fanden heraus, daß sich das Wasser tief im Südpolarmeer abkühlt. Auch das Meereis hat sich zumindest kurzfristig rekordverdächtig ausgedehnt.

 

Wissenschaftliche Seriosität

IPCC-Daten stehen unter „Generalverdacht“, schrieb sogar der Spiegel, der einst den Kölner Dom in der Weltenflut versinken sah. Die derzeit gültige Rekonstruktion der Durchschnittstemperaturen von 1850 bis heute zum Beispiel beruhte auch auf Berechnungen von Phil Jones. Nun aber mußte die University of East Anglia einräumen, daß ein Teil der Rohdaten auf Papier und Magnetbändern einfach weggeschmissen wurde. Die Welt bilanzierte: „Angaben von Meßstationen werden nach komplizierten Formeln geglättet, mit Schätzungen ergänzt oder hochgerechnet. Dies ist ein weites Feld für Manipulationen, und deshalb sollten andere Wissenschaftler diese Berechnungen nachprüfen können. Doch das Institut verweigerte den Zugang zu den Originaldaten.“

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