© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  52/09-53/09 18./25. Dezember 2009

Hafenkrise in Königsberg
Handelspolitik: Große Containerschiffe bevorzugen litauische und lettische Umschlagplätze
Martin Schmidt

Aus dem nördlichen Ostpreußen kommen wieder vermehrt Negativschlagzeilen. Dabei hatte sich der Konjunkturhimmel über der russischen Exklave bis zum Beginn der Weltfinanzkrise und dem Absturz des Ölpreises deutlich aufgehellt. Insbesondere die Metropole Königsberg (seit 1946 offiziell Kaliningrad) war drauf und dran, den miserablen Ruf als Armenhaus und drohendes Pulverfaß Ostmitteleuropas loszuwerden, flossen doch im Gefolge hoher Energie- und Rohstoffpreise gewaltige russische Kapitalmengen ins Land. Ein regelrechter Bauboom setzte ein. Dieser Aufschwung regte – der oft undurchschaubaren und schwerfälligen Bürokratie zum Trotz – auch immer mehr Investoren aus anderen Staaten an, in dem kleinen Territorium an der Ostsee tätig zu werden.

Nicht zuletzt sorgte der 1963 in Moskau geborene und seit September 2005 amtierende Gebietsgouverneur Georgij W. Boos für frischen Wind. Der von holländischen Vorfahren abstammende Boos hebt sich damit deutlich von der ansonsten verbreiteten Lethargie ab. Immerhin gelang es ihm, nach Jahrzehnten der völligen Isolierung dieser sowjetischen Militärsperrzone, zumindest die Ober- und Mittelschicht in den Städten zu wirtschaftlichem Tatendrang anzuregen. In den vom Bombenkrieg verschonten Königsberger Villen- und Gründerzeitvierteln Hufen, Maraunenhof oder Amalienau glänzen heute die Fassaden in frischen Farben und weisen sie als begehrte und extrem teure Wohnbezirke der Reichen und Mächtigen aus.

Bis Herbst 2008 schrieb die regionale Wirtschaft schwarze Zahlen, mit einem jährlichen Plus von zuletzt 42 Prozent beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) und über 160 Prozent in der industriellen Produktion. Damit zählte der Oblast Kaliningrad zu den am schnellsten wachsenden Regionen der Russischen Föderation. Die ausländischen Investitionen hatten sich seit 2006 vervierfacht. Moskau zahlte 2008 fast fünf Milliarden Rubel (derzeit umgerechnet 113 Millionen Euro) für den Ausbau der Infrastruktur. Fast alle Geldmittel kamen der 430.000-Einwohner-Metropole Königsberg und einem Autobahnprojekt an der Ostseeküste zugute. Orte wie Insterburg (Tschernjachowsk) bekamen zwar etwas ab, ansonsten herrscht nach wie vor Tristesse vor.

Die Exklave ist eine Sonderwirtschaftszone, in der Importeure Einfuhrzölle und Steuern sparen. Daher werden beispielsweise 80 Prozent der Fernsehgeräte und drei Viertel aller Kühlschränke für den russischen Markt dort zusammengebaut. Im vorigen Jahr begann die Opel-Produktion, BMW hat schon länger ein Werk in Königsberg, das sogar fünf verschiedene Baureihen montiert. Dennoch kriselt es nun, vor allem im städtischen Hafen. In den ersten neun Monaten dieses Jahres sank der Güterumschlag um 23 Prozent, während die anderen Häfen der Russischen Föderation im Schnitt über acht Prozent zulegten. Das Jahresaufkommen umfaßt mit voraussichtlich zwölf Millionen Tonnen nur noch die Hälfte dessen, was in den neunziger Jahren umgeschlagen wurde. Und gäbe es nicht die russischen Ölausfuhren, so fielen noch einmal fast zwei Drittel des Handelsvolumens weg.

Die Gründe sind teils geographisch bedingt, teils hausgemacht. Das Königsberger Gebiet ist ein vom EU-Ausland umschlossener Vorposten der Russischen Föderation ohne industrielles Hinterland. Schiffe, die Königsberg anlaufen wollen, müssen erst den 43 Kilometer langen, noch im deutschen Kaiserreich angelegten Seekanal passieren. Dieser wurde nach 1945 völlig vernachlässigt und versandet zusehends. Mittlerweile kommen nur noch Frachter bis maximal 12.000 Tonnen durch, die großen Schiffe müssen anderswo anlegen.

Daher werden im nahen Memel (litauisch: Klaipėda) derzeit jährlich 23 Millionen Tonnen umgeschlagen, Tendenz steigend. Der lettische Hafen Windau (Ventspils) weist sogar 35 Millionen Tonnen aus – trotz des Boykotts, mit dem Moskau den einst größten Ölhafen der Sowjetunion noch immer belegt. Wenn nicht bald die Millionen für das überfällige Ausbaggern der Königsberger Fahrrinne bereitgestellt werden oder die Pläne zur Schaffung eines Wirtschaftshafens in Pillau (Baltijsk ist als Standort der Baltischen Flotte für Ausländer nach wie vor gesperrt) umgesetzt werden, dann droht dem nördlichen Ostpreußen erneute Agonie. Auch das Projekt eines Tiefwasserhafens in Nachbarschaft zu den zum Hafen Königsberg gehörenden Ölterminals von Zimmerbude (Swetly) am Frischen Haff gilt als möglicher Rettungsanker.

Die Entscheidungen in Königsberg und Moskau betreffen auch die deutsche Wirtschaft – sie ist der wichtigste Handelspartner des russischen Außenpostens. Der mit deutschen und russischen Spendengeldern restaurierte Königsberger Dom und andere historische Bauten haben viele Touristen angelockt. Bürgermeister Felix F. Lapin hat sich in diesem Jahr sogar für eine Rückbenennung der Stadt in „Königsberg“ ausgesprochen. Auch Gouverneur Boos ist – anders als die Kommunisten – nicht grundsätzlich abgeneigt. In diesem Zusammenhang ist die Entscheidung, ab dem 12. Dezember die einzige direkte Zugverbindung zwischen Berlin und Königsberg (Nachtzug D 40449) aus dem Fahrplan zu streichen, keine rein wirtschaftliche Maßnahme, sondern auch ein Politikum.

Foto: Königsberger Hafen: Versandete Fahrrinne, weniger Schiffe

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