© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  52/09-53/09 18./25. Dezember 2009

„Kroatien ist Teil des westlichen Europa“
Interview: Der kroatische Historiker und Präsidentschaftskandidat Josip Jurcevic über die anhaltenden Nachwirkungen des Tito-Regimes
Alexander Rüstau / Daniela Papic

Professor Jurčević, Kroatien wurde 1991 unabhängig und ist seit diesem Jahr Nato-Mitglied. Wann erfolgt der EU-Beitritt?

Jurcevic: Gemessen an wirtschaftlichen, kulturellen oder gesellschaftlichen Kriterien wäre Kroatien sicher bereits Mitglied. Doch die EU befolgt weiter die Auflagen der Anklage des Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) in Den Haag. Nicht das Tribunal selbst, sondern nur dessen Anklagebehörde entscheidet quasi darüber, inwieweit ein Kandidat EU-reif ist. Zudem wird der Beitritt von Dingen abhängig gemacht, die sich ständig ändern, wie dem Grenzstreit mit Slowenien. Kroatien ist definitiv Teil des westlichen Europa, hat jedoch immer noch unter den Folgen der kommunistischen Strukturen zu leiden. Dazu gibt es ein hohes Maß an Korruption im Lande.

Der von Ministerpräsidentin Jadranka Kosor mit dem slowenischen Amtskollegen Borut Pahor ausgehandelte Kompromiß um die Bucht von Piran wird in der kroatischen Öffentlichkeit als Gebietsabtretung kritisiert. Wie sehen Sie den Ausgang eines Beitrittsreferendums in Kroatien?

Jurcevic: Schon allein die Teilnahme der EU an dieser erzwungenen Gebiets­abtretung widerspricht jedem Rechtsstandard. Es ist verboten, einem Land Territorium abzuzwingen oder Grenzen zu verschieben. Da die Regierung Kosor jedoch korrupt ist, mußte sie dieser Erpressung nachgeben.

Viele Auslandskroaten hätten sicher keine Bedenken gegen einen EU-Beitritt. Viele Kroaten im Land sehen dies wegen der erwähnten Diskriminierung kritisch.

Jurcevic: Als Europäer bin ich ein Befürworter eines vereinten Europa, denn nur so können wir mit Ländern wie den USA oder China mithalten.

Sie sprachen die noch vorhandenen kommunistischen Strukturen an. Geraten die Verbrechen Titos in Vergessenheit?

Jurcevic: Die Verbrechen, die das jugoslawische KP-Regime begangen hat, waren verheerend. In Kroatien findet man kaum eine Familie, die kein Hinrichtungsopfer aus dieser Zeit zu beklagen hat. Viele suchen immer noch nach den Überresten ihrer Verwandten, die bis heute nicht auffindbar sind. Im Westen weiß man darüber nur wenig, da das ehemalige Jugoslawien als Plattform für den Interessenaustausch im Kalten Krieg diente und das Tito-Regime daher in einem positiven Licht erscheinen sollte. Tatsächlich war es wesentlich grausamer als andere Strukturen unter sowjetischer Hegemonie. Trotzdem wird Josip Broz Tito immer noch als positive Figur dargestellt. Kroatien steht der Prozeß der Entkommunisierung noch bevor. Einer der schönsten Plätze Zagrebs ist immer noch nach „Marschall Tito“ benannt, dem Befehlshaber jener Armee, die 1945 all diese monströsen Greueltaten an der Zivilbevölkerung begangen hat. Und diese Armee war auch das Hauptorgan des Krieges gegen Kroatien 1991 bis 1995. Die Toten von Vukovar oder Škabrnja sind das Resultat der Armee Titos.

Ihre Wahlkampagne trägt den Titel „Wann, wenn nicht jetzt?“ Wofür stehen Sie als parteiloser Präsidentschaftskandidat?

Jurcevic: Ich trete als wirklich Unabhängiger an. Ich war zu Zeiten Jugoslawiens weder KP-Mitglied noch eines sonstigen kommunistischen Verbandes. Ich gehöre auch heute keiner Partei an. Kroatien ist sehr reich an ländlichen Gütern, und es hat einen regelrechten Schatz, was seine ökologische Unberührtheit angeht. Es hat ein außergewöhnlich entwickeltes soziales Potential. Es könnte ein stabiles und wohlhabendes Land sein, es befindet sich jedoch aufgrund seiner hohen Verschuldung an der Armutsgrenze. Kroatien steht heute vor einer sozialen und nationalen Spaltung als Resultat einer korrupten, inkompetenten und ungeeigneten politischen Struktur mit ebensolchen Machthabern. Es muß zu tiefgreifenden Veränderungen dieser Strukturen kommen. Dazu müssen die Schlüsselpositionen von moralisch wie fachlich geeigneten Personen besetzt werden.

Die Regierung der Serben in Bosnien-Herzegowina plant für das kommende Jahr ein Referendum über die Unabhängigkeit der Republika Srpska. Welche Perspektive sehen Sie für den Nachbarstaat, insbesondere für die dort lebenden Kroaten?

Jurcevic: Die „Republika Srpska“ ist das Resultat eines der größten Verbrechen in der Geschichte der Zivilisationen. Es ist beschämend, daß die Uno das Bestehen einer solchen „Republik“ im Abkommen von Dayton 1995 auch noch bestätigt hat. Ziel des Referendums ist die Auflösung eines seit 1992 anerkannten Staates. Es wäre daher eine Provokation, die die Region destabilisieren und verheerende Folgen nach sich ziehen würde. Die muslimisch-kroatischen Beziehungen in der Föderation sind auch heute noch Gegenstand der politischen Spiele Serbiens und es unterstützender Länder wie etwa Großbritannien, das sowohl militärisch als auch informell hinter Serbien steht und hierfür internationale Instrumente nutzt, etwa deren Vertreter auf dem Gebiet von Bosnien-Herzegowina.

In der Föderation sind die Kroaten einer zunehmenden Islamisierung ausgesetzt.

Jurcevic: Das schlechte Verhältnis zwischen Muslimen und Kroaten ist durch die kriegerische Aggressivität der Serben, aber auch durch die heutige Politik der Uno und der Republika Srpska entstanden. Die Kroaten sind dabei als Minderheit in einer sehr schlechten Position. Die Hauptverantwortlichen dafür sind die kroatischen Repräsentanten vor Ort. Diese sind überaus inkompetent und unfähig, die kroatischen Interessen zu vertreten und zu wahren. In Bosnien und Herzegowina sind daher dieselben tiefgreifenden Veränderungen wie in Kroatien notwendig, um diesem Land die wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische Stabilität zu verleihen.

 

Professor Dr. Josip Jurcevic stammt aus Dalmatien. Der 58jährige ist Historiker und Vertreter der kroatischen Kriegsveteranenverbände. Der parteilose Konservative tritt bei den Präsidentschaftswahlen am 26. und 27. Dezember an. Zu den elf weiteren Kandidaten zählen unter anderem Andrija Hebrag von der liberalkonservativen Regierungspartei HDZ, Ivo Josipovic von der postkommunistischen SDP und Miroslav Tudjman, Sohn des 1999 verstorbenen ersten Staatspräsidenten Franjo Tudjman.

Foto: Josip Jurcevic: Unvergessene Greueltaten an der Zivilbevölkerung

 

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