© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/09 04. Dezember 2009

Abenteuerliche Rundreise auf Arte: 1929 – Im Zeppelin um die Welt
Ein moderner Mythos
Baal Müller

Um den Zeppelin rankt sich bis heute ein moderner Mythos: Das majestätische, mit Gas gefüllte „Starrluftschiff“ (so die fachmännische Bezeichnung) repräsentiert nicht nur deutschen Erfindergeist, die weltweit bewunderte oder beneidete technologisch innovative Zivilisation des Kaiserreiches, sondern auch allgemein die „gute alte Zeit“ – und zwar sowohl die vor dem Ersten Weltkrieg als auch die der „goldenen“ zwanziger Jahre mit ihren fiebrig-überhitzten, leidenschaftlichen Wohlstands- und Friedenssehnsüchten.

Lady Hays Liaison mit Karl von Wiegand als narratives Gerüst

Gleich zwei Jubiläen hatte die – heute bekanntlich aus der Mode gekommene – Luftschiffahrt dieses Jahr zu begehen: zum einen den Beginn der kommerziellen Personenbeförderung durch die Deutsche Luftschiffahrts-AG (DELAG), die erste Luftreederei der Welt, im Jahre 1909, und zum anderen die erste Weltumrundung zwanzig Jahre später.

Der Film „1929: Im Zeppelin um die Welt“ (Arte, 5. Dezember, 21 Uhr) von Ditteke Mensink dokumentiert dieses seinerzeit mit enormem öffentlichen Interesse verfolgte Ereignis auf so faszinierende Weise, daß die niederländische Regisseurin es gar nicht nötig gehabt hätte, das beeindruckende historische Filmmaterial durch eine Liebesgeschichte aufzupeppen.

Indes ergibt sich „Die Lovestory von Lady Hay und Karl von Wiegand“ als narratives Gerüst wie von selbst: Grace Drummond-Hay, die als Korrespondentin der Hearst Newspapers täglich von der abenteuerlichen Reise berichtete, war die einzige Frau an Bord, und ein Großteil ihrer Reflexionen betrifft ihr Verhältnis zu ihrem ebenfalls mitreisenden Kollegen und früheren Liebhaber Karl von Wiegand.

Das Abenteuer der dreiwöchigen Reise, die von New York über London und Berlin, Friedrichshafen, Tokio und San Francisco um die Erde führte, wird somit – als ob es nicht schon genug Aufregung durch Stürme und sibirische Gebirgsmassive gegeben hätte – noch durch das Liebesabenteuer der jungen Frau, ihre Wünsche und Sehnsüchte, überblendet.

Natürlich sind ihre etwas naiven politischen Bemerkungen auch zeitgeschichtlich von Interesse. Immerhin spiegelt die von dem amerikanischen Medienmogul William Randolph Hearst gesponserte Fahrt des LZ 127, das in Deutschland produziert und von dem enorm populären Hugo Eckener, dem Nachfolger des legendären Ferdinand Graf Zeppelin, gesteuert wurde, auch das damalige deutsch-amerikanische Verhältnis sowie das des Westens zur Sowjetunion, die ebenfalls mit einem Korrespondenten an Bord präsent war.

So mischen sich in den Jubel, mit dem das Luftschiff überall fähnchenschwingend empfangen wurde, auch die politischen Gegensätze: etwa in Gestalt von – gewaltsam auseinandergetriebenen – deutschen Demonstrationen gegen die Reparationszahlungen oder in Form von russischen Mißstimmungen, da Eckener, angeblich aus Witterungsgründen, nicht über Moskau flog.

Lady Hay interessiert sich jedoch nur beiläufig für diese Dinge und hat mehr Augen für ihren Karl, der – deutlich älter als sie und grämlich wirkend – alles andere als ein Schönling ist, sowie für die in der Tat atemberaubenden Stadt- und Landschaftspanoramen, beklagt sich über mangelnde Privatsphäre und hellhörige Wände an Bord, trauert über politische Dissidenten in sibirischer Verbannung, bewundert die grazile Eleganz japanischer Geishas, neben denen sie sich etwas unbeholfen vorkommt, und ist doch am Ende „das glücklichste Mädchen der Welt“.

Am Schluß werden ihr persönliches Schicksal und ihre unerfüllte Liebe noch einmal mit der großen Zeit der Luftschifffahrt verbunden: Auf die Weltumrundung folgt, von Hay kommentiert, die Weltwirtschaftskrise und zerstört die durch den Zeppelin symbolisierte Hoffnung auf eine prosperierende, völkerverbindende Wirtschaft. Als die mittlerweile arrivierte und als Kriegsberichterstatterin erfolgreiche Journalistin 1946 von Wiegand tot in ihrem New Yorker Hotelzimmer aufgefunden wird, sind die Luftschiffe bereits Geschichte.

Foto: Startvorbereitungen des Graf Zeppelin: Die Begeisterung für Luftschiffe kennt bis heute keine Grenzen, Karl v. Wiegand, Lady Hay

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