© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/09 04. Dezember 2009

Die Uni ist nicht für alle da
„Kein Gott, kein Staat, kein Rektorat“: Warum harte Studienreformen nötig waren
Martin J. G. Böcker

Ein Student – beispielsweise der Soziologie – schreibt ohne Probleme eine „Eins-null“, wenn er einfach nur in der Lage ist, 80 bis 120 Definitionen oder Powerpoint-Folien auswendig zu lernen. Dazu reichen dem geübten Lerner zwei Tage und drei Nächte. Wehe dem Unverbesserlichen, der sich durch die Pflichtlektüre quält, wichtige Passagen markiert, Details notiert und womöglich nach der Vorlesung auch noch den Professor mit Detailfragen behelligt. Der arme Tropf, dieser Streber, wird jämmerlich scheitern. Sicherlich besteht er die Klausur mit einem recht ordentlichen Ergebnis, aber eine wichtige Hürde hat er nicht genommen: die der Effektivität.

Unsere angelsächsischen Freunde möchten Fakten, Fakten, ach du liebe Güte, Fakten. Mit harten Daten wollen die Mister der Technokratie den Passauer Studenten mit dem aus Padua oder sonstwoher vergleichbar machen. „Credit Points“ belohnen einen „Workload“. Ein Bildungstechniker fühlt sich in der Lage, den Arbeitsaufwand eines Studenten in Stunden zu berechnen, und erkennt somit dessen Wert. Mit dieser Technik, letztlich handelt es sich um nichts anderes, hat man scheinbar das letzte Maß an Gerechtigkeit erreicht.

Mr. Bachelor und Mr. Master haben kein Interesse am gebildeten Studenten. Der ausgebildete Student ist allerdings herzlich willkommen. Man glaubt zu wissen, was er kann, nämlich das, was seinem „Workload“ und seiner Punktezahl entspricht. Nichts ist unbefangener als Technik, als Einsen, Nullen und „Points“. Dies ist natürlich ein Trugschluß, denn die Technik ist derart egal (im Sinne von gleich), daß sie sich sowohl ge- als auch mißbrauchen läßt. Und der Mißbrauch muß noch nicht mal gewollt sein. Selbst guter Wille kann Zerstörerisches leisten.

Wer aber glaubt oder hofft, die Uni würde jemals wieder so wie einst zu Humboldts Zeiten, kann sich getrost zurücklehnen und herzhaft betrinken. Bei Bier und Wein können sich solcherlei Larmoyante gegenseitig die Schlechtigkeit der Welt weismachen und – je nach Gemüt – im Hörsaal übernachten, einen Arbeitskreis bilden oder rasante Forderungen im Internet veröffentlichen.

Denn – wie bei jeder Veränderung – ist auch am Bologna-Prozeß nicht alles dumm und schlecht. Ein wichtiger Punkt ist die Straffung des Studiums und die damit einhergehende Verkürzung der Studienzeiten. Die verantwortlichen Bildungspolitiker werden diese Entscheidung nicht aus reiner Boshaftigkeit getroffen haben. Vielleicht hat auch der sogenannte „Bummelstudent“ sein Quentchen dazu beigetragen. Dieser Typ ist ein uneifriges, selbstgefälliges Wesen, das gerne mal bis Mittag schläft oder durch die Cafés laviert, anstatt das Seminar zu besuchen: vielleicht weil er – in unfaßbarer Weisheit – einen seiner Professoren für uninspiriert hält. Es sind solche höhnisch Desinteressierten, die harte Reformen notwendig machten.

Nun kann man sich an fünf Fingern ausrechnen, welche Sorte Student maßgeblich an den Protesten beteiligt ist. Man muß sich nur die Forderungen anschauen: zum Beispiel die Abschaffung der Anwesenheitspflicht, die Möglichkeit eines Master-Abschlusses für jeden Bachelor-Studenten, die Nichtteilnahme an Exzellenzinitiativen! Der leise Verdacht, daß Vorstellungen von Chancengleichheit sich hier auf das Resultat und nicht auf die Ausgangsposition beziehen, wird spätestens dann bestätigt, wenn Forderungen mit „Das besetzende Kollektiv“ unterzeichnet werden.

„Kein Gott, kein Staat, kein Rektorat“ ist genau das Transparent, welches im Audimax neben einer beschmierten Tafel wunderbar zur Geltung kommt. Sie wollen eine bessere Bildung und beschmieren die Tafel? Nicht selten sind es nur 20 bis 30 Studierende, die sich eigeninitiativ zur Vertretung aller erklären und derlei Hanebüchenes verzapfen. Diese Studenten sind eine kleine Minderheit, darüber kann der Lärm, den sie machen, nicht täuschen.

Aber freilich gibt’s auch solche, die ihren Protest gegen die gefühlt unzumutbaren Zustände mit Vernunft und ernsthaft gestalten. Das sind jene, die mit Herzklopfen das rektoratsfeindliche Plakat abhängen, verschüchtert an der Diskussion teilnehmen und dann im basisdemokratischen Gequatsche einfach untergehen. Denn dort – seien wir doch mal ehrlich – setzt sich nicht der abwägende Denker durch. Er wird vom energischen Charismatiker übertölpelt, der kein Für und kein Wider kennt. Man muß kein verbitterter Altrechter sein, um süffisant zu hinterfragen, wie hier der Begriff „Basis“ im Zusammenhang mit „Basisdemokratie“ definiert wird.

Apropos „Süffisanz“: Sollen sie ruhig mal machen, das verläuft sich schon im Sande. Der konstruktive Protest findet im Dialog mit den Lehrenden statt und wird weder einfach sein noch politische Fertiglösungen bieten. Aber die Professoren müssen die ersten Ansprechpartner sein, denn sie sind es, die – ob man es glaubt oder nicht – das Beste für die Studenten wollen. Dazu gehören Wissen, die Fähigkeit zur Einsicht und wenigstens ein minimaler Ausschnitt von Erkenntnis.

Und dies erreicht man nicht mit den eingangs erwähnten 80 bis 120 Definitionen oder Powerpoint-Folien. Sicherlich muß gelernt werden, aber noch viel mehr gelesen und verstanden. Es ist möglich, die angelsächsische Lehre weniger technokratisch auszugestalten und dem willigen Studenten das dazu nötige Vertrauen entgegenzubringen. Damit dies aber nicht permanent mißbraucht wird, ist es unbedingt notwendig, sowohl Studierwillen als auch Studierfähigkeit abzuprüfen. Das können Eingangstest, konsequentes Rausprüfen und finanzielle Hürden sein. Sicher gäbe es auch weniger harte Lösungen.

Die Universität ist einfach nicht für jeden da, vielleicht ist sie ja wie ein Orchester. Dort werden weder die unbegabten noch die faulen Musiker engagiert. Denn wenn es anders wäre, könnte man das Konzert vergessen. Das System nimmt dem Interessierten also die Möglichkeit, sein Leben als Musiker frei zu gestalten. Doch wer würde bestreiten, daß eine solche Auslese einen Sinn ergibt? Vielleicht muß man in bezug auf das akademische Orchester noch einiges zu Ende denken.

 

Martin J. G. Böcker, Jahrgang 1981, studiert Staats- und Sozialwissenschaften und betreibt im Internet den Interview-Blog www.dasgespraech.de

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