© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/09 04. Dezember 2009

Öko-Konklave der Superlative
UN-Klimakonferenz Kopenhagen 2009: Die Interessen werden immer diffiziler und die Botschaften der Experten immer verwirrender
Michael Manns

Die Manager des Bella-Center  in Kopenhagen planten sorgfältig: Schnell ließen sie noch vor dem Weltklimagipfel die Belüftungs- und Kühlungssysteme verbessern und Tausende Beleuchtungskörper modernisieren. Damit wurden die CO2-Emissionen um 20 Prozent pro Jahr reduziert. Wenn die Großen der Welt sich theatralisch um die Umwelt sorgen, wollte man nicht abseits stehen.

Vom 7. bis 18. Dezember findet dort eine der größten Konferenzen der letzten Jahrzehnte statt. Rund 15.000 Wissenschaftler, Experten, Diplomaten, circa 200 Minister werden über die roten Teppiche durch Skandinaviens größtes Kongreßzentrum laufen. Dazu die Staats- und Regierungschefs von 192 Nationen – samt ihrer Entourage. Ein Öko-Konklave der Superlative, zweifellos. Denn es geht um alles: Schließlich soll der Planet Erde gerettet werden – darunter will man es schon gar nicht machen. Um das Ergebnis des Polit-Spektakels vorwegzunehmen: Der Berg wird kreißen und ...?

Umweltpolitik ist seit vielen Jahren ein vermintes Gelände – ein Begriff, der  emotional aufgeladen ist. Zutiefst habe sich der Mensch schuldig gemacht, und nun drohe die Apokalypse – so die Untergangsszenarien. Die Emissionen sind quasi die zweite Erbsünde, die der Mensch mit sich herumtrage und die ihn am Zugang zum Paradies hindere. Sogar die Süddeutsche Zeitung warnte vor dem Pathos, mit dem das nahe Ende der Zivilisation beschworen werde, und forderte eine realistischere, weniger aufgeladene Begrifflichkeit.

Was sind die Knackpunkte in Kopenhagen? Diese drei könnte man nennen: Um wieviel müssen die Industrienationen ihren CO2-Ausstoß senken? Um wieviel dürfen die anderen Länder ihre Emissionen noch hochschrauben? Wie ist drittens die Steuerung der Milliarden-Summen zu handhaben, die die Schwellen- und Entwicklungsländer brauchen, um ihre Wirtschaft „sauber“ zu machen? Die komplizierteste Frage aber ist: Wer soll welchen Anteil an der Last tragen? Die Positionen haben wenige Wochen vor dem Gipfel Konturen gewonnen.

Die Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, die Treibhausgasemissionen bis 2020 um 40 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren. „Sie übernimmt so eine Vorreiterrolle im Klimaschutz und wird diese auch in Kopenhagen aktiv einbringen“, so das Umweltministerium.

Die EU fordert, den Anstieg der Erd­erwärmung auf zwei Grad gegenüber vorindustriellen Werten zu begrenzen. Bis 2050 sollen die globalen Emissionen im Vergleich zu 1990 um die Hälfte eingegrenzt werden, die der Industriestaaten um 80 bis 95 Prozent. Um das zu erreichen, sollen noch Zwischenetappen vereinbart werden. Die EU hat schon beschlossen, ihren Ausstoß bis 2020 um ein Fünftel zu senken. Für den Fall eines ambitionierten Klimaabkommens soll das Ziel auf 30 Prozent steigen.

China, Japan und 18 weitere Staaten aus der Pazifik-Region ruderten indes in ihrer Klimapolitik zurück. Es werde jetzt angestrebt, den Ausstoß des klimaschädlichen Kohlendioxids bis 2050 „wesentlich“ zurückzufahren, hieß es im jüngsten Entwurf des Abschlußdokuments beim Gipfeltreffen des Regionalforums für Asiatisch-Pazifische Wirtschaftliche Zusammenarbeit (Apec). Bisher wollten die beteiligten Staaten ihren CO2-Ausstoß bis 2050 gegenüber dem Niveau von 1990 um die Hälfte reduzieren.

US-Präsident Barack Obama wird nun doch kommen und in Kopenhagen konkrete Emissonsziele formulieren. Doch welche Zahlen er auch auf den Tisch legt – entscheidend ist, was der Gesetzgeber in Washington dazu sagt. Und selbst unter Obamas Demokraten gibt es Vorbehalte gegen den Klimaschutz.

Japan will seine Emissionen bis 2050 um jeweils 80 Prozent reduzieren. Regierungschef Yukio Hatoyama machte eine Reduzierung um 25 Prozent bis 2020 allerdings davon abhängig, daß sich China ebenfalls auf konkrete Ziele beim Klimaschutz einläßt.

Brasilien, die größte Volkswirtschaft Lateinamerikas, hat vor der UN ehrgeizige Ziele angekündigt: Die CO2-Emissionen sollen 2020 um 36 bis 39 Prozent niedriger liegen. Zugleich soll die Brandrodung im Amazonas um 80 Prozent reduziert werden.

Südkorea strebt eine Rückführung des CO2-Ausstoßes um vier Prozent bis 2020 im Vergleich zu 2005 an, Südkorea ist unter den OECD-Staaten eines der Länder mit dem am schnellsten wachsenden Ausstoß von Kohlendioxid.

Rußland hatte sein Angebot vor dem Gipfel nachgebessert. Es will den Ausstoß klimaschädlicher Stoffe bis 2020 um mehr als 20 Prozent unter das Niveau von 1990 senken. Rußland gilt nach den USA und China als der drittgrößte Klimaverpester auf der Welt. Allerdings muß man berücksichtigen: Dort ist nach dem Untergang der Sowjet­union mit ihrem ineffizienten Energiesystem der Ausstoß von Treibhausgasen um ein Drittel zurückgegangen.

Afrika übt mächtigen Druck auf die reichen Staaten aus. Es fordert „Reparationen“ für die Klimaschäden, die die industrialisierten Staaten verursacht hätten. Es geht um Hunderte von Milliarden US-Dollar – zusätzlich zur normalen Entwicklungshilfe. Der äthiopische Delegationsleiter Meles Zenawie drohte schon, falls nicht gezahlt werde, will Afrika die Klimaverhandlungen boykottieren.

Die geplante Senkung der Treib­hausgasemissionen – was bedeutet das für Deutschland? Kurz gesagt:  Milliardenausgaben.

Die Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft Deloitte hat dazu eine Studie vorgelegt. Die Gebäudewirtschaft müßte mit Abstand die höchste Summe investieren, um die Wohnungen energetisch zu sanieren: rund 150 Milliarden Euro. Verkehr und Logistik werden einen Investitionsbedarf (bis 2020) von 67 Milliarden Euro) und die Energiewirtschaft (ebenfalls 67 Milliarden Euro) anmelden. Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) spricht daher von „einer ziemlich grundlegenden Änderung in der Wirtschaftsweise“ als Ergebnis der weitreichenden Modernisierungen. Vor allem die Förderung erneuerbarer Energien könnte helfen, das deutsche Klimaziel zu erreichen. „Wir werden so unabhängiger und sicherer in der Energieversorgung.“ Früher nannte man das mal Autarkie.

Und die Atomkraftwerke? Eine saubere, umweltfreundliche Technologie par excellence – so ihre Anhänger. Bis zum nächsten Oktober soll ein Energiekonzept vorliegen. Darin würden nicht einzelne Atommeiler betrachtet, sondern die deutsche Energielandschaft als Ganzes. Langfristig allerdings bleibe als Ziel der komplette Umstieg auf erneuerbare Energien, signalisierte der Bundesumweltminister.

Greenpeace träumt von einer gigantischen Modernisierung der Energienetze. Windparks auf dem Meer, riesige Solarfelder und andere erneuerbare Energiequellen sollen künftig weltweit den Großteil des Stroms produzieren. Verbraucher und Firmen sollen durch Mini-Kraftwerke im eigenen Keller oder durch Solarpaneele auf dem Dach selbst  Energie produzieren. Waschmaschinen, Trockner oder Kühlschränke sollen miteinander kommunizieren – und immer dann waschen, trocknen oder kühlen, wenn Strom am günstigsten ist. Größenordnung dieses Mega-Infrastrukturpakets: 209 Milliarden Euro bis zum Jahr 2050 – in Europa.

Die Klimabotschaften wurden in den letzten Wochen immer verwirrender. So meldete das britische Hadley-Zentrum für Klimawandel, daß sich die Welt vom Jahr 2000 bis 2008 nur um 0,07 Grad Celsius erwärmt habe – und nicht um jene 0,2 Grad, von denen der UNO-Weltklimarat ausgeht. Deutschlands bekanntester Klimaforscher Mojib Latif gibt die Stagnation zu: „Da ist nichts dran zu deuteln.“

Die Frage ist nur: Wie lange bleibt das noch so, und was sind die Ursachen? Man hat die Sonne im Verdacht mit ihren zyklischen Strahlungsaktivitäten oder kaltes Tiefenwasser im Pazifik, das die Atmosphäre kühlt.

Ausgesprochen irritierend war die Nachricht von einem mysteriösen Datenklau kurz vor dem Gipfel in einem Computersystem der Climatic Research Unit (CRU) in Norwich. CRU zählt zu den wichtigsten Datenlieferanten für den Weltklimarat, der seit Jahren vor der Katastrophe warnt. Hacker veröffentlichten nun über 1.000 E-Mails von Wissenschaftlern, die Daten-Manipulationen nahelegen – ein gefundenes Fressen für alle Skeptiker der beschworenen Öko-Apokalypse.

Kritik an der Klimadiplomatie mit ihrer Zwei-Grad-Forderung wird auch von den großen deutschen Geoinstituten formuliert. Das Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung, das Senckenberg-Forschungsinstitut und das Deutsche Geoforschungszentrum fordern ein „Erdsystemmanagement“. Sie werfen der Politik vor, sich ausschließlich auf die Kohlendioxid-Reduktion zu konzentrieren. Weitere Thesen: Klimawandel gebe es immer, er sei an sich weder schlecht noch gut, in der Evolution gebe es immer Gewinner und Verlierer, der Mensch müsse sich anpassen. So sei es nicht tragisch, wenn man im Rheingau keinen Riesling mehr anbauen könne, dafür aber in Dänemark.

Die dänische Hauptstadt wird bis zum Ende der Weltklimakonferenz einer Festung ähneln. Dann ist Abreisetag, dann wird die Bühne geräumt. Auf welches Fazit sollen wir uns einstellen? Was man bei den Meseberger Zaubersprüchen des schwarz-gelben Merkel-Kabinetts kurz und bündig beobachten konnte, werden wir mit ziemlicher Sicherheit auf der Kopenhagener Bühne im Global-Maßstab sehen: Die politische Kaste inszeniert ihre Plauderrunden. Das Ergebnis wird dem Zuschauer dann nach dem Motto von Selbsterfahrungsgruppen verkauft: Gut, daß wir alle mal wieder darüber gesprochen haben.

 

Stichwort: Klimaschutz-Aktivisten

„Be part of the party!“ heißt es in den Foren der aktiven Klimaschutz-Aktivisten. Entsprechend wird auch in Deutschland dazu aufgerufen, am 12. Dezember in Kopenhagen an der Großdemonstration gegen den Klima-Gipfel teilzunehmen– oder sich an anderen „Aktionen“ zu beteiligen („Die UN-Klimakonferenz in Kopenhagen unsicher machen!“ – Protestaufruf der Interventionistischen Linken). Bereits im Vorfeld des Gipfels organisierten unterschiedlichste Gruppen und Verbände „Events“, um den „öffentlichen Druck“ zu erhöhen. BUND, Oxfam, Greenpeace, WWF oder Attac, alle sind vertreten. Informationen hierzu im Netz unter www.klimagipfel2009.de

Foto: Vorbereitungskonferenz zum UN-Klimagipfel in Bangkok: Egal, wo UN-Emissäre verhandeln – die Klima-Aktivisten sind bereits zur Stelle

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