© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/09 04. Dezember 2009

Heimatlose Gesellschaft
Umwelt: Das aktuelle Jahrbuch „Naturkonservativ“ widmet sich den Vordenkern der Ökologiebewegung
Fabian Schmidt-Ahmad

Es gehört zu den Eigentümlichkeiten der heutigen Zeit, daß die Bewegung der Grünen sowohl ihrer Außenwahrnehmung als auch ihrem Selbstverständnis nach eher dem linken Spektrum zugeordnet wird. Denn das Wesen jener Bewegung besteht doch eigentlich darin, die Natur vor dem ungehinderten Zugriff menschlichen Eigennutzes zu entziehen; der Sozialismus dagegen strebt die Aneignung aller Kräfte und Schätze der Natur an, um sie – von keiner Metaphysik gebremst – zur Errichtung eines irdischen Paradieses zu verwenden. Rein faktisch betrachtet stehen sich also Naturkonservatismus und materialistischer Sozialismus kontradiktorisch gegenüber.

Ein Bewußtsein für diesen Sachverhalt hält die Herbert-Gruhl-Gesellschaft aufrecht. Das aktuelle Jahrbuch „Naturkonservativ“ (erstmals in einer Doppelausgabe für 2008/2009 erschienen) spiegelt dies wider. So widmet sich ein Schwerpunkt des Bandes den „Vordenkern der Ökologiebewegung“. Die Reihe beginnt mit einem Porträt über Ernst Rudorff (1840–1916), der als erster den Begriff des „Naturschutzes“ einführte. Rasch wird in Heinz-Siegfried Strelows Charakterisierung deutlich, wieso Rudorff trotz breiter Wirkung des von ihm gegründeten „Heimatschutzes“ ein früh Vergessener wurde. Scharf kritisierte der Zögling der Berliner Romantik seine Zeit. Die moderne Kulturtechnik, als deren Symptom Rudorff den aufkommenden Nationalismus sah, löse den Menschen aus seinem natürlichen Lebensumfeld heraus. Alles Individuelle und Eigentümliche verliere er so und werde schlußendlich nur noch zur organisierten Masse.

„Wir arbeiten den Ideen der roten Internationalen mit unserer Gleichmacherei geradezu in die Hände“, schreibt Rudorff. Wie solle echte Vaterlandsliebe entstehen, „wenn jede Eigenart der Heimat in ihrem landschaftlich und geschichtlich gewordenen Charakter, jede Volkseigentümlichkeit und Besonderheit in Wesen, Sitten und Erscheinung getilgt wird?“ Alles gehe unter in einem Mahlstrom des ökonomischen Fortschritts, der schlußendlich auch die Eigenheiten der Nationen nivelliere, heißt es weiter in dem 1897 erschienenen Aufruf. „Die elektrisch beleuchteten Mietskasernen ... sehen in dem modernen Rom gerade so aus wie in Berlin oder New York.“ Überall herrsche die gleiche „Phrase der zivilisierten Gesellschaft“, und es sei „die Frage erlaubt, warum man sich überhaupt noch bemüht, die Barriere aufrechtzuerhalten, die ein Staat dem anderen gegenüber errichtet“.

Hundert Jahre vor der „Globalisierungsfalle“ wurde hier bereits die Folgen der allgemeinen Ökonomisierung beschrieben. Was heutzutage mit einer weltumfassenden „Zivilgesellschaft“ und dem Bewußtsein „Einer Welt“ von vielen als Korrektiv frenetisch gefeiert wird, erscheint hier aber als Krankheitssymptom einer sich selbst entfremdeten, vermassten und heimatlosen Gesellschaft. Ein Doppelporträt von Carl Amery und Herbert Gruhl aus der Feder von Götz Fenske fügt sich an. Volker Kempf beschließt die Reihe mit einem Nachruf auf den Anfang des Jahres verstorbenen Begründer der „Tiefenökologie“, Arne Næss (5/09).

Vor dem Hintergrund der wieder aktuellen Debatte um den Atomausstieg erhält ein weiterer Schwerpunkt besondere Bedeutung. Mit seinem Bericht über das Elsässer Atomkraft Fessenheim, dessen Dienstzeit nach dreißig Jahren um weitere zehn verlängert werden soll, vergegenwärtigt Klaus Schramm noch einmal die Gefahr im Dreiländereck. Störanfällig, in einem Erdbebengebiet gelegen und mit einer Betonhülle versehen, die noch nicht einmal gegen den Absturz eines Kleinflugzeuges zuverlässig schützt, läßt Fessenheim die Pläne der französischen Regierung äußerst riskant erscheinen.

Eine zentrale Figur im Widerstand gegen diese Pläne ist der elsässische Biologe und Vorsitzende der Umwelt-Partei Mouvement Écologiste Indépendant (MEI), Antoine Waechter (JF 26/09), der für sein Engagement 2007 mit dem Herbert-Gruhl-Preis ausgezeichnet wurde. Außer der Laudatio findet sich eine kurze Analyse Waechters über die Ursachen der gestiegenen Kosten für Getreide und Milchprodukte. Neben einem Abdruck des „schwarz-grünen Manifests“ (JF 33/09) und Berichten über tagespolitische Ereignisse schließt der Band mit Buchbesprechungen und einer kurzen Selbstdarstellung.

Herbert-Gruhl-Gesellschaft (Hrsg.): Naturkonservativ 2008/2009. Gerhard Hess Verlag, Bad Schussenried 2009, broschiert, 169 Seiten, 14,80 Euro Mehr im Internet: www.herbert-gruhl.de

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