© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/09 27. November 2009

Integration ist machbar
... und Einwanderung Realität. Aber: Die Ausländerdebatte muß vom Kopf auf die Füße gestellt werden
Michael Paulwitz

Deutschland hat seinen ersten Bundesminister „mit Migrationshintergrund“. Die Karriere Philipp Röslers, des promovierten Mediziners vietnamesischer Abstammung, bewegt die Menschen, und sie hat eine Botschaft: Integration ist machbar.

Einwanderung ist Realität in einer Welt, die in Handel, Politik und Kommunikation rasant zusammenwächst. Es gibt einen weltweiten Wettbewerb um die besten Köpfe, dem sich die europäische Mittelmacht Deutschland nicht entziehen kann. Passiv ist die Bundesrepublik als Auswanderungsland, dem Jahr für Jahr gutausgebildete Bürger in sechsstelliger Zahl den Rücken kehren, ohnehin längst davon betroffen.

Philipp Rösler, im Säuglingsalter von deutschen Eltern adoptiert, ein praktizierender Katholik, der seinen Töchtern bodenständig-kerndeutsche Namen gab, ist zwar zweifellos ein Sonderfall in der neueren deutschen Einwanderungsgeschichte. Sein Aufstieg ins Bundeskabinett erinnert gleichwohl daran, daß Einwanderung nicht notwendig in Ghettos, Parallelgesellschaften und multikulturelle Brutstätten der zwischenethnischen Gewalt führt.

Um Beispiele für die gelungene Eingliederung in Deutschland aufgenommener Ausländer zu finden, muß man nicht in die Vergangenheit zurückgehen bis zur Aufnahme der französischen Hugenotten durch die preußischen Könige. Man muß auch nicht völlig falsche und verdrehte Beispiele an den Haaren herbeiziehen wie der NRW-Integrationsminister Armin Laschet und andere Multikulti-Ideologen, die ostpreußische Heimatvertriebene und oberschlesische Ruhrpottkumpel ohne Ansehen der kulturellen und ethnischen Hintergründe mit volksdeutschen Aussiedlern, anatolischen Analphabeten und afrikanischen Asylbewerbern als „Migranten“ in einen Topf werfen.

Gut integrierte Einwanderer mit Prominentenstatus dienen den Anhängern des Multikulturalismus meist als Beleg dafür, daß durch intensive staatliche Anstrengung alle Probleme zu lösen seien. Daraus wird zum einen die Forderung abgeleitet, den Sozialsektor und die Integrationsindustrie mit noch mehr Mitteln auszustatten; zum anderen ein Schweigegebot, die Befindlichkeiten integrationsunwilliger Einwanderergruppen möglichst zu schonen, um die „Erfolge“ nicht zu gefährden. Wer dagegen verstößt, muß mit politisch korrekten Ausgrenzungsreflexen rechnen.

Diese Strategie ist eine Sackgasse. Es ist an der Zeit, Irrtümer und Denkverbote über Bord zu werfen und die Debatte über Einwanderung und Integration vom Kopf auf die Füße zu stellen. Das Kernproblem besteht nicht darin, daß Einwanderung überhaupt stattfindet, sondern welche und wieviel: Eine Einwanderungspolitik mit falschen ideologischen Prämissen hat dazu geführt, daß zu wenig Integrierte und Assimilierte und zu viele integrationsunwillige und -unfähige Einwanderer ins Land gekommen sind.

Ob Integration gelingt, ist nicht eine quantitative Frage des staatlichen Aufwands, der Haushaltsmilliarden und Sozialarbeiterarmeen, sondern eine qualitative: Entscheidend ist die Auswahl und die Zahl der zu integrierenden Personen. „Wir brauchen mehr Einwanderer, die uns nützen, und weniger, die uns ausnützen“, lautete einmal die richtige, aber folgenlose Forderung des bayerischen Innenministers Günther Beckstein.

Die Realität ist aber auch, anzuerkennen, daß Nulleinwanderung oder vollständige Rückführung von Ausländern eine Illusion ist. Es kommt vielmehr darauf an, Einwanderung endlich allein im wohlverstandenen Staatsinteresse zu steuern und dabei vorhandene und praktikable strengste Auswahlmechanismen konsequent zu nutzen:

Durch Definition und Anwendung strikter Vorbedingungen für die Aufnahme jedes Einwanderers: gute Sprachkenntnisse, ausreichendes Vermögen, adäquate Bildung und Qualifikation, kulturelle Kompatibilität, Integrationsbereitschaft und -fähigkeit.

Durch ein Einbürgerungsregime, das die Staatsbürgerschaft zum begehrten Gut macht, die Identifikation mit dem Staat fördert und eine voreilige Einbürgerung Integrationsunwilliger vermeidet.

Durch den Abbau sozialstaatlicher Anreize für massenhafte Unterschichtseinwanderung. Das verlangt, wohlgemerkt, eine Sozialstaatsreform, die Tendenzen zur dauerhaften Einrichtung in Transferabhängigkeit generell entgegentritt – bei Einheimischen wie Eingewanderten.

Durch Rückkehranreize für Nicht-Integrierbare, auch finanzieller Art, wie sie etwa in Dänemark erfolgreich praktiziert werden, und rigorose Abschiebung von kriminellen Ausländern.

Vor allem aber ist Voraussetzung jeder Integration, daß der zu Integrierende weiß, wohin er sich integrieren kann und soll. Ein funktionierendes Sozialsystem ist kein ausreichender Identifikationsrahmen. Integration verlangt das Sich-Einfügen in eine nationale Identität und Staatsidee. In Frankreich oder den USA geschieht das über einen gelebten Fahnen- und Hymnen-Patriotismus. Das deutsche Verständnis von Volk und Nation als Abstammungs- und Schicksalsgemeinschaft ist nicht das eines klassischen Einwanderungslandes. Aber es ist, insbesondere in seiner preußischen Ausprägung, der Aufnahme von Einwanderern nicht grundsätzlich verschlossen.

So ist Deutschland sehr wohl als preußisches Staatswesen vorstellbar, das neue Bürger, die sich seiner Staatsidee anpassen, zu beiderseitigem Nutzen aufnimmt. Deren Integration ist zum einen Bringschuld der Einwanderer selbst. Sie verlangt aber auch von uns etwas: nämlich die Bereitschaft, jene Einwanderer, von denen wir uns einen positiven Beitrag zu unserem Gemeinwesen erwarten, nicht nur als Laufkundschaft oder Logiergäste zu betrachten, sondern sie als sorgfältig ausgewählte neue Familienmitglieder in die Nation aufzunehmen, sie gewissermaßen zu adoptieren – wie die Familie Rösler jenen vietnamesischen Kriegswaisen, der heute Bundesminister ist.

Die JUNGE FREIHEIT startet mit diesem Beitrag eine Debatte um Integration und Einwanderung. Diskutieren Sie mit unter www.jungefreiheit.de

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