© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/09 20. November 2009

Paintball: Ein ehemaliger Zivildienstleistender im Selbstversuch
Von wegen harte Jungs
Toni Roidl

Paintball steht im Verdacht, eine Kriegssimulation zu sein. Für Pädagogen und Pazifisten sind die Fans des auch als „Gotcha“ bekannten Spiels entweder eine dubiose Wehrsportgruppe oder tumbe Freizeit-Rambos. Seit Beginn des Paintball-Sports vor rund 20 Jahren bis zuletzt anläßlich des Amoklaufs in Winnenden wird immer wieder über ein Verbot diskutiert. Nun soll die Gewaltaffinität von Paintball-Spielern erneut in einem Gutachten untersucht werden. Zeit, sich selbst einmal ein Bild zu machen. Als ehemaliger Zivildienstleistender im ominösen Farbgelee-Gefecht?

Die Teilnehmergruppe besteht aus Männern jüngeren bis mittleren Alters. Ein Mitspieler nimmt sonst schon mal gemeinsam mit seiner Gattin teil, diese mußte aber wegen Krankheit absagen. Begrüßungen, Scherze, Fachsimpeleien, dann geht es los. Ich bekomme einen Overall in Tarnfarben. Also doch eine paramilitärische Organisation? Nein, das lernt man beim „Game“: Die Tarnung verlängert den Spielspaß, denn wer sich unsichtbar macht, bleibt länger auf dem Spielfeld. Außerdem erhöht es den Reiz, wenn man nicht sieht, wo sich die Mitspieler verbergen.

Dann folgt eine eingehende Belehrung über die Spiel- und Verhaltensregeln. Ohne Schutzmaske darf ich das Spielfeld nicht betreten, vor dem Verlassen des Spielfelds muß ich das Schießgerät mit dem Laufstopfen sichern, den Aufforderungen des Schiedsrichters („Marshall“) ist Folge zu leisten. Ein Test mit dem Prüfgerät stellt sicher, daß der pneumatische „Markierer“ die zulässige Geschoßkraft nicht überschreitet. „Wildes Rumgeballer“, so wie es das gängige Klischee ist, sieht anders aus. Der Markierer ist die „Waffe“, aber der Ausdruck ist hier verpönt.

Die Mannschaften nehmen Aufstellung, je an einem Ende des mit Gräben, Erdlöchern, Baumwurzeln und Holzstößen präparierten Spielfelds. Ziel ist es, die Fahne des anderen Teams zu erobern. Leichter gesagt als getan. Wir verabreden eine Strategie, denn ein brachialer Durchmarsch wäre nach wenigen Metern beendet. Paintball ist nichts für Einzelkämpfer.

Auf das Startsignal hasten wir los. Zwei über die linke Seite; zwei rechts hinter dem Wäldchen entlang. Ich rutsche hinter einen Holzstapel, da prasseln die Gelatinebälle schon über mich hinweg und zerplatzen an den Bäumen, daß die Farbe nur so spritzt. Weil die Zweige des Holzhaufens mir die Sicht nehmen, suche ich eine andere Deckung. Kriechend erreiche ich eine Senke. Die Bälle klatschen auf den Rand. Ich will sehen, ob meine Teamkollegen das Wäldchen schon passiert haben, und strecke den Kopf über den Erdsaum.

Platsch – ein Ball trifft meine Maske. Durch die Lüftungsschlitze bekomme ich Farbe in den Mund. Schmeckt eklig, ist aber nicht gesundheitsgefährdend, wie mir versichert wird.

Ich rufe regelkonform: „Hit!“, strecke meinen Markierer in die Luft und verlasse das Spielfeld. Die Sache beginnt Spaß zu machen und weckt Ehrgeiz. Großes Hallo und viel Gelächter, als alle zurück sind: „Wie hast du mich bloß gesehen?“

Seitenwechsel, nächste Runde. Diesmal soll ich es durch die Mitte versuchen. Es hagelt Bälle. Der Baum, der mir Deckung gibt, wird regelrecht umlackiert. Ich kann die Quelle ausmachen und dem Verteidiger näherkommen, ohne markiert zu werden. Doch plötzlich taucht die Spitze des anderen Teams in meinem Rücken auf und ruft: „Gotcha!“ – denn bei Distanzen unter fünf Metern wird nicht mehr geschossen.

Als es regnet, wird die Spielfreude gebremst. Und ich dachte, Paintballer wären harte Jungs. Doch die empfindliche Elektronik in einigen Hightech-Markierern verträgt keine Feuchtigkeit. Spielleiter Stefan bedauert das: „Ich fände es besser, wenn alle auf dem gleichen technischen Niveau lägen und manuelle Standardgeräte hätten. Aber wenn einer aufrüstet, ziehen alle nach, dagegen kann man nichts machen.“

Nach gut acht Stunden ist der Spieltag vorbei. Statt verbissener Krieger habe ich freundliche Kumpeltypen kennengelernt; statt Schützengrabengefühl erlebte ich ein tempo- und teilweise witzreiches Bewegungsspiel, das an das frühere Räuber-und-Gendarm-Spiel erinnert. Oder an die Brennball-Runde im Schulsport.

Foto: „Gotcha“-Dramatik: Im Visier der gegnerischen Mannschaft und des allmächtigen „Marshall“

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