© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/09 20. November 2009

Geschickte Inszenierung
Bildungspolitik: Die Proteste an den deutschen Hochschulen richten sich längst nicht nur gegen die Bachelor- und Master-Abschlüsse
Lion Edler

Nur etwa zehn Minuten dauerte am Dienstag vergangener Woche der Streik an der Universität Potsdam: eine kurze Ansprache der Streikenden mit Diskussion, dann begann die Mathematik-Vorlesung. Mehr war nicht nötig, denn die Medien hatten, was sie wollten – und wer anwesend war, dürfte in Fernsehen und Presse als Streik-Unterstützer erschienen sein. Immerhin informiert ein Streikender die Studenten: Wer nicht gefilmt oder fotografiert werden wolle, möge darauf achten, nicht im Bild zu sein.

Nachdem der von Österreich ausgehende Streik Anfang November auf Deutschland übergegriffen hatte, sind nunmehr Hörsäle an über 50 Standorten besetzt, wochenlange Aktionen an 100 Orten geplant. Ausgangspunkt ist die Unzufriedenheit vieler Studenten mit den Zuständen an den Universitäten. Die Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), Margret Wintermantel, zeigte sich erfreut darüber, daß die Studenten „sich zu Wort melden“. Allerdings kritisierte sie Frontalangriffe auf die Professorenschaft und ,,ideologisch gefärbte Thesen“ wie den Vorwurf der Ökonomisierung der Hochschulen. Der Schweriner Bildungsminister Henry Tesch (CDU) versteht die Kritik „an vielen Stellen“. Jetzt gehe es an „die zügige Umsetzung“ der Verbesserung des Bachelor-Systems. Die SPD-Bildungspolitikerin Ulla Burchardt unterstützte Forderungen „für ein demokratisches und soziales Bildungssystem“. In Potsdam wie an anderen Hochschulorten wurde jeweils bewußt der größte Hörsaal, das Audimax besetzt, um für genügend öffentliche Aufmerksamkeit zu sorgen. Bei der Diskussion wird ausdrücklich betont, daß auch Kritik am Streik artikuliert werden dürfe – doch daran hat niemand Interesse. Der Forderungskatalog des Streiks ist lang und drastisch – und trifft offenbar auf häufige Zustimmung der Studenten: Abschaffung aller Studien- und Immatrikulationsgebühren („kostenfreie Bildung und gleiche Chancen für alle“), Abschaffung von Anwesenheitspflichten, Bachelor- und Master-Studiengänge ohne Zulassungsbeschränkungen.

Geschickt werden dazwischen auch andere Botschaften eingestreut: Neben der nebulösen Forderung nach „kritischer Wissenschaft“ und mehr Kampf gegen „Diskriminierung“ erklärt ein großes Transparent: „Alles Zweifelhafte muß angezweifelt werden.“ Was wohl gemeint sein könnte? „Hinter der Krise steht das Kapital“, meint eine Broschüre vor dem Eingang. Eine Streikende sagt, es sei „total wichtig“, alle „einzubinden“, kein abgeschotteter Zirkel zu sein. Auf einer Wandzeitung steht, wer bislang über den Streik an der Uni berichtete. Zwischen RBB, taz oder dem linksextremen Internetportal Indymedia findet sich dort die Bemerkung: „bild.de, oder sollte man das lieber nicht erwähnen?“  

Kritik an den deutschlandweiten Aktionen kommt unterdessen vom Ring Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS). Während das Land versuche, aus der Wirtschaftskrise zu kommen, Tausende Angst vor der Arbeitslosigkeit hätten, besetzten einige wenige Studenten die Hörsäle, ohne auch nur einen konkreten Verbesserungsansatz zu haben, kritisiert der RCDS-Vorsitzende Gottfried Ludewig: „Jetzt zu streiken, ist purer Aktionismus.“

Foto: Transparente vor der Berliner Humboldt-Universität: An mehr als 50 Hochschulen wird protestiert

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