© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/09 13. November 2009

Steuern für die Krankenkassen
Sozialpolitik: Minister Rösler plant eine Totalreform / Mehr Solidarität durch ein neues Gesundheitssystem?
Jens Jessen

Der neue Gesundheitsminister Philipp Rösler ist noch keinen Monat im Amt, da weht ihm aus den Reihen der Union ein eisiger Wind entgegen. Anlaß sind die Pläne des FDP-Politikers zur Totalreform der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV): Der Arbeitgeberbeitrag soll bei sieben Prozent des Gehalts eingefroren werden. Der Arbeitnehmerbeitrag, der bislang bei 7,9 Prozent lag, soll ab 2011 in einen für alle Versicherten gleich hohen Festbetrag umgewandelt werden.

Diese „Kopfpauschale“ würde Bezieher niedriger Einkommen auf den ersten Blick zusätzlich belasten. Die mit mittlerem und höherem Einkommen würden hingegen beim Beitrag entlastet. Soziale Härten sollen aus Steuermitteln ausgeglichen werden. Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer warnte vor einem „Systemwechsel“, der Arbeitnehmer einseitig belaste. Dies sei sozial derart ungerecht, „daß wir zur nächsten Wahl gar nicht mehr erst antreten brauchen“, kritisierte auch NRW-Arbeitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) die vorgesehene Gesundheitsreform.

Das Solidarsystem der Krankenversicherung wird allerdings häufig nicht verstanden. Selbst erfahrenen Ministern geht das so. Für sie ist das GKV-System nur dann solidarisch, wenn alle Mitglieder einen bestimmten Prozentsatz ihres Einkommens in den gemeinsamen Topf zahlen. Doch das ist nicht der Fall: Ein freiwilliges GKV-Mitglied mit einem Monatsverdienst von 7.000 Euro zahlt genausoviel an die Kasse wie ein Mitglied, das 3.675 Euro verdient – nämlich 551,25 Euro. Das liegt an der vom Staat vorgegebenen Beitragsbemessungsgrenze. 2009 beträgt sie in der Kranken- und Pflegeversicherung pro Monat 3.675 Euro.

Alles was über 3.675 Euro liegt, unterliegt nicht der Beitragspflicht. So kommt es, daß die Belastung bei 7.000 Euro Monatseinkommen nur knapp 7,9 Prozent beträgt, bei 3.675 Euro jedoch knapp 15 Prozent. Ein ähnliches Mißverhältnis zwischen Leistung und Beitrag besteht bei einem jungen allein lebenden Arbeiter, der mit seinen GKV-Beiträgen auch die beitragsfrei mitversicherten Familienangehörigen eines gutverdienenden freiwillig GKV-Versicherten mitfinanziert. Die Diskrepanz zwischen tatsächlichem Beitrag und solidarischer Leistung resultiert aus den früheren Gegebenheiten des Bismarckschen Krankenversicherungssystems.

Ursprünglich war die GKV vor allem für den Lohnersatz bei Krankheit gedacht. So gaben die Kassen im 19. Jahrhundert rund 90 Prozent der Auszahlungen für Lohnersatz und nur zehn Prozent für die Behandlung von Krankheiten aus. Da der Polier am Bau mehr verdiente als der Hilfsarbeiter, bekam der Polier mehr Krankengeld als der Hilfsarbeiter. Dafür mußte er – seinem höheren Lohn entsprechend – einen höheren Beitrag bezahlen, der Hilfsarbeiter einen geringeren. Die Krankenversicherung war in des Wortes Bedeutung eine Versicherung – Leistung und Gegenleistung entsprachen sich weitgehend.

Im 20. Jahrhundert spielten die Lohn­ersatzzahlungen eine immer geringere Rolle für die Kassen. Heute schwanken sie um zehn Prozent. Der überwältigende Anteil fließt in die Krankheitsbehandlung. Die GKV könnte den Namen „Versicherung“ nur dann zu Recht tragen, wenn sie eine Änderung der Finanzierung entsprechend dem individuellen Risiko der Krankenversicherten durchgeführt hätte. Tatsächlich ist die GKV zu einer milliardenschweren Umverteilungseinrichtung geworden. Berechnungen haben ergeben, daß schon heute ab einem Durchschnittsgehalt von 1.700 Euro je GKV-Versicherten eine Umverteilung von Reich zu Arm erfolgt.

Diese Umverteilung wäre nur dann solidarisch, wenn es keine Beitragsbemessungsgrenze gäbe und die Finanzierung der Krankenversicherung über Steuern – wie beispielsweise in Großbritannien oder Skandinavien – vorgenommen würde. Das will zur Zeit in Deutschland keiner.

Gesundheitsminister Rösler will ab 2011 die bisherigen Beiträge durch eine Pauschale ablösen. Die GKV-Versicherten zahlen einen einkommensunabhängigen Beitrag. Die Kassen können ihre Tarife dann im Wettbewerb selbst festlegen. Die Auswirkung einer Pauschale auf die Versicherten wird dabei überwiegend negativ gesehen. Das gilt insbesondere für bisher mitversicherte Ehepartner, wenn der angedachte Ehepartner-Beitrag tatsächlich kommt.

Pauschale anfangs zwischen 100 Euro bis 144 Euro?

Nach Berechnungen wird die Pauschale anfangs zwischen 100 Euro bis 144 Euro kosten. In dem seit Jahren funktionierenden Pauschalsystem der Schweiz (wo es allerdings keinen Arbeitgeberbeitrag gibt) beträgt die Durchschnittsprämie in diesem Jahr etwa 323 Franken (214 Euro) pro Monat. Ab 2010 sind es dann im Schnitt 351 Franken (232 Euro).

Wenn die „Gesundheitsprämie“ mit einem sozialen Ausgleich abgesichert wird (in der Schweiz betrifft das etwa 38 Prozent der Bevölkerung), dürfte es weniger Argumente gegen die Umstellung der GKV-Finanzierung geben. Bisher ist aber ungeklärt, wie der Ausgleich realisiert wird. Ein Modell spricht von Steuerzuschüssen über den Gesundheitsfonds oder über das staatliche Steuer- und Transfersystem. Ein Ausgleich über – in der Regel einkommensabhängige – Steuern bietet eine breitere Finanzierungsbasis und ist damit weniger belastend als der Ausgleich innerhalb des GKV-Systems. Woher die Steuermittel angesichts der Haushaltslage kommen sollen, ist bislang ungeklärt.

Der gegenwärtige Ausgleich innerhalb der GKV ist nach Ansicht des früheren Vorsitzenden des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Bert Rürup, alles andere als zielgenau und „gerecht“. Es sei damit zu rechnen, daß die Pauschale den Wettbewerb zwischen den Kassen anstachelt. Die Folge könnten Zusammenschlüsse von Kassen sein, die mit ihrer größeren Marktmacht Wirtschaftlichkeitsreserven umsetzen und damit Kostendämpfung erzielen könnten.

Ein wichtiges Argument für die Pauschale ist auch die damit einhergehende Entkoppelung der Gesundheitskosten von den Arbeitskosten. Höhere Gesundheitskosten bringen dann für die Unternehmen nicht mehr automatisch höhere Lohnkosten. Und ein weiteres sollte dabei nicht vergessen werden: die intergenerative Umverteilung von Jung nach Alt, welche die Generation der Jungen heute noch stark belastet, würde gedämpft. Die Finanzierung des Krankenversicherungssystems würde nachhaltiger.

Foto: Behandlung von Kassenpatienten: Kommt bald der Einheitsbeitrag für die Mitglieder von AOK & Co.?

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