© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/09 13. November 2009

Es kommt immer dicker
Richtungs-Parteitag: Sigmar Gabriel und Andrea Nahles meinen die SPD aus der Krise führen zu können
Michael Paulwitz

Im Personaltableau offenbart sich das ganze Elend der dahinsiechenden SPD. Die Ära des respektabel gescheiterten Gerhard Schröder, der mit Agenda und Neuer Mitte immerhin eine Idee für die Zukunft seiner Partei hatte, geht mit dem Abgang des Poltergeists Franz Müntefering und seines Fachbeamten Frank-Walter Steinmeier unwiderruflich zu Ende. Was folgt, ist ein Interregnum der Apparatschiks, Selbstdarsteller und Schlagwort-Platzhalter.

„Der Wähler hat einfach kein klares Bild mehr davon, wofür wir stehen“, haben Sigmar Gabriel und Andrea Nahles, vom nächsten Wochenende an wohl Parteichef und Generalsekretärin, jüngst im gemeinsamen Interview bekundet. Daran wird sich voraussichtlich auch unter dem neuen Hund-und-Katz-Führungsduo nichts ändern. Was sich die SPD als künftiges Spitzenpersonal zusammengesucht hat, steht nicht für kühne Entwürfe, sondern für inkompatible Politikertypen und Denkschablonen. Der einstige Schröder-Adlatus Gabriel als Hansdampf in allen Gassen, der gestern Pop-Kompetenz und heute Anti-Atom-Kampagnen aus dem Ärmel schüttelt, die Meisterstrippenzieherin Nahles, die ihr ganzes Leben in Parteigremien und ideologischen Theoriekonstrukten verbracht hat, Partymeister Klaus Wowereit als Inkarnation der rot-roten Option, und als Führungsreserve im Juso-Vorsitz das Phrasendreschmaschinchen Franziska Drohsel, das immer einen Happen Antifa für geistig ganz Arme dabeihat – eine Volkspartei im Aufbruch sieht anders aus.

Scheinbar ausweglos steckt die SPD zwischen Skylla und Charybdis fest. Auf der einen Seite nimmt ihr Angela Merkel als Chefin einer sozialliberalen Koalition weiter höchst erfolgreich die sozialdemokratische Butter vom Brot. Die ersten Pflichttiraden gegen die vermeintliche neoliberale Kälte haben sich die SPD-Stimmungsmacher vermutlich nicht mal selbst geglaubt – „Mutti“ strahlt einfach zuviel soziale Wärme ab, und beim Schuldenmachen fürs Wohltatenverteilen läßt sich auch ein Guido Westerwelle nicht lumpen.

Vor dem Ungeheuer zur Linken sitzt die Sirene Oskar Lafontaine und will die sozialdemokratischen Mannschaften auf die Klippen locken. Nach seiner Lesart wäre die Linkspartei die wahre Hüterin des sozialdemokratischen Erbes, die SPD müsse nur dorthin zurückfinden, um wieder regierungsfähig zu werden. Selbst eine Vereinigung von SPD und Linkspartei sei eines Tages möglich, wenn sich die Programme nur weit genug annäherten, hatte der Rachegeist aus dem Saarland die SPD noch kurz vor der Wahl umgarnt. Die Naiveren im SPD-Spitzenpersonal wie die seinerzeitige Bundespräsidentenkandidatin Gesine Schwan haben davon schon vor Jahr und Tag geträumt.

Linksfraktionschef Gregor Gysi, immerhin, hält von solchen Gedankenspielen überhaupt nichts. Und in der Tat: Nichts von den Hauptanliegen seiner „Linken“ ist genuin sozialdemokratisch. Der ideologische „Antifaschismus“ ist es nicht – unter diesem stalinistischen Kampfbegriff hat Thälmanns KPD einst die Weimarer Sozialdemokraten als „Sozialfaschisten“ verunglimpft. Der Radikalpazifismus ist es auch nicht; an ihm schieden sich einst USPD-Sektierer von der staatsloyalen Mehrheits-Sozialdemokratie. Und der Einwanderungs-Internationalismus, der einheimische Arbeiter durch importierte Lohndrücker bedrängt, ist genausowenig ur-sozialdemokratisch wie der forcierte Fürsorge-Fokus auf die Antriebslosen und Aufstiegsunwilligen – das „Lumpenproletariat“, dem die sozialdemokratischen Gründungsväter einst stolz den Rücken kehrten.

Seit Apo, Achtundsechzig und Willy Brandt haben Lehrer, Pfarrer und Toskana-Modelinke freilich viel von diesem ideologischen Ballast in die einstige Arbeiterpartei hineingetragen. Nach ihrer Vertreibung aus der Fläche durch die Bundestags-Wahlniederlage, die deutschlandweit große weiße Flächen von Wahlkreisen ohne jeden SPD-Abgeordneten zurückgelassen hat, steckt die Partei noch tiefer im Teufelskreis nach unten: Je stärker sie einbricht und die Basiserdung in den Wahlkreisen verliert, desto dominanter werden die linken Dogmatiker in den zentralen Apparaten, die sie weiter ins Abseits manövrieren.

Ein naheliegender Ausweg aus der babylonischen Gefangenschaft der Sozialdemokratie könnte darin bestehen, es der CDU gleichzutun: völlige inhaltliche Konturlosigkeit, das Programm so lange rundschleifen, bis die Koalitionsfähigkeit mit jeder anderen Partei gegeben ist, sogar mit der Linken, die für die Union derzeit noch tabu ist. Das mag den Lemmingszug in rot-rote Koalitionen in einigen Ländern erklären; es fehlt nicht an Kommentatoren, die der SPD wegen kommender strukturellen Mehrheiten eine „rosige Zukunft“ prophezeien.

Der mühseligere Weg wäre, die SPD durch klare Abgrenzung von CDU und Linkspartei zu erneuern. Vielleicht ist es ja ein Wink des Schicksals, daß Thilo Sarrazin und Heinz Buschkowsky Sozialdemokraten sind. Gerade die SPD wäre berufen, die Debatte über die Einwanderung in Sozialsysteme und Arbeiterviertel, über den ausplündernden Steuerstaat und über die Entmündigung von Sozialstaat und nationalem Arbeitsmarkt durch die EU-Binnenglobalisierung aus einem neuen Blickwinkel zu führen: vom Standpunkt des ausgebeuteten, leistungswilligen Arbeitnehmers, dem durch falsche Politik Aufstiegschancen vorenthalten werden.

Diese Option mag utopisch klingen angesichts des derzeitigen Zustands der SPD. Mit deren erstem Nachkriegsvorsitzenden Kurt Schumacher hätte man darüber aber weit eher reden können als über Koalitionen mit den „rotlackierten Nazis“, für die der gescheiterte Ex-Vorsitzende und brandenburgische Ministerpräsident Matthias Platzeck ausgerechnet ihn schamlos vereinnahmen will. Zum zwanzigsten Jahrestag des Mauerfalls muß der Hinweis gestattet sein, daß keine Ideologie auf Dauer gegen die Realitäten bestehen kann.

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