© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/09 06. November 2009

Was nicht paßt, wird passend gemacht
Die Ursprünge des Nationalismus im Roman der Gründerzeit bleiben Bernhard Viel mit der Analyse von Werken Fontanes und Dahns verschlossen
Heinz Fröhlich

Man nehme den Historiker und Schriftsteller Felix Dahn (1834–1912), der wegen sozialdarwinistischer Momente in seinem Werk als inkorrekt gilt, und verknüpfe ihn trickreich mit Theodor Fontane. Der so entstandene Kurzschluß hat dieses Buch geprägt.

Bernhard Viel, Historiker und Literaturwissenschaftler, untersucht zwei „gründerzeitliche Musterromane“, Dahns „Ein Kampf um Rom“ (1876) und Fontanes „Vor dem Sturm“ (1878). Fontane schildert das Preußen der napoleonischen Ära, Dahn widmet sich den Ostgoten des 6. Jahrhunderts. Beide Autoren hätten den deutschen Nationalismus forciert, behauptet Viel, der aber daran scheitert, daß er Romane gleichsetzt, die völlig unterschiedliche Themen behandeln. Abgesehen davon gehört Dahns Buch nicht unbedingt zu den Klassikern der Literatur. Die Oberflächlichkeit, der Viel erliegt, ist beinahe komisch. Über Lewin von Vitzewitz, eine Figur aus dem „Sturm“, bemerkt Viel, daß er „im gleichen Alter wie Teja und Totila“ gewesen sei. Hätte Fontane besser einen Greis zum Helden erwählt? Wenn Fontane den „freudigen Stolz“ betont, „auf der Scholle seiner Väter zu stehen“, konstruiert unser Autor willkürlich eine „mythobiologische“ Brücke zum „Dritten Reich“.

Preußen wollte die Fremdherrschaft abschütteln; es opferte „Gut und Blut“. Sogleich tadelt Viel die niederträchtige „Verknüpfung des Bodens mit der völkischen Substanz“. Der märkische Dichter kannte solche Begriffe nicht; trotzdem entdeckt Viel in der kleinsten patriotischen Regung nur „Blut und Mythos“. Leider gehe im „Sturm“, klagt Viel, die Nation „aus dem Kampf“ hervor. Doch ist Wilhelm Tell ohne Armbrust zu denken? Die meisten Völker besiegten Unrecht und Tyrannei dank harten Streites.

Das Phänomen der „Dekadenz“ am Hofe Friedrich Wilhelms III. sei laut Fontane genetisch bedingt. Allerdings hat der Märker französischer Abstammung Preußens Wiederaufstieg als geistige Erneuerung analysiert. Dahns romantisches Werk habe ebenso die „Utopie der Nation“ geformt. Der ostgotische (Teil)-Volksstamm war jedoch keine Nation, der geschichtliche Identität innewohnte. Die Ostgoten scheiterten, weil es ihnen nicht gelang, eine Nation zu bilden, das heißt mit den Italienern zu verschmelzen. Beiden Volksgruppen fehlte Zeit, die sie benötigten, um den Weg des Frankenreiches zu gehen, das jene Nationen gebar, die noch heute existieren. Irrtümer, geschichtslos und realitätsfern, die manche Deutsche der Kaiserzeit begingen, wiederholt Viel, der Kampf und Sturm in einen Topf wirft.

Eigentlich hat Fontane Preußen oft kritisch beurteilt. In „Schach von Wuthenow“ ähnelt der Hohenzollernstaat dem China der Ming-Dynastie. Fontane erklärte im „Stechlin“ Preußen und jegliches Militär für anachronistisch. Speit ein Vulkan Feuer, kommt aus dem Stechlinsee ein roter Hahn empor, der alles Erdenleben symbolisiert.

Letztlich interessieren Viel weder Fontane noch Dahn. Auf sie schlägt er zwar ein, meint jedoch unsere Gegenwart. An einer Stelle wirft er Fontane vor, „monoethnische“ Absichten zu hegen. Im „Sturm“ heißt es: „Gott will keinen Babelturm“ der Nationen. Hierzu schreibt Viel, daß Fontane „also (!) keine Zivilisation“ begehrte. Säten erst Gastarbeiter und Islamisten die höhere Moral? Zwei falsch interpretierte Romane veredeln das multikulturelle Utopia. Etliche westdeutsche Ideologen ärgert die Wiedervereinigung; der Schaden muß begrenzt werden. Sonst fällt Babylon nieder, das der Autor zu retten hofft, indem er die Vergangenheit als Waffenkammer mißbraucht.

Bernhard Viel: Utopie der Nation. Ursprünge des Nationalismus im Roman der Gründerzeit, Matthes und Seitz, Berlin 2009, gebunden, 381 Seiten, 29,90 Euro.

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