© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/09 06. November 2009

Keine Umkehr bei der Staatsverschuldung
Finanzpolitik: Die neue Bundesregierung setzt wie das Vorgängerkabinett auf Ausweitung der Kreditaufnahme / Täuschung der Wähler
Bernd-Thomas Ramb

Neun Stimmen fehlten bei der Wiederwahl von CDU-Chefin Angela Merkel zur Bundeskanzlerin. Zeichen der Enttäuschung über eine sich abzeichnende Absage an eine Wende in der Finanzpolitik? Das am Ende der schwarz-roten Koalition geplante Schuldenausweitungsprojekt der nächsten Jahre wird jedenfalls unbeirrt weiterverfolgt. Die Staatsausgaben werden nicht gesenkt, sondern über staatliche Geschenkaktionen – natürlich mit dem Etikett „sozial gerecht“ versehen – sogar noch verstärkt.

Gleichzeitig wird, um wirklich keinen zu verprellen, die Erhöhung der Staatseinnahmen über einen Anstieg der Steuersätze vermieden, wenn auch die Beiträge zum staatlichen Gesundheitssystem angehoben. Den Fehlbetrag aber sollen wie immer die späteren Generationen finanzieren, die angeblich soviel davon haben, wenn die jetzige über ihre Verhältnisse lebt – die vor allem aber keinen Widerspruch einlegen, wenn weitere Schulden zu ihren Lasten aufgenommen werden.

Enttäuschung breitet sich vor allem bei den Wählern aus, die auf eine energische Inangriffnahme des Schuldenabbaus gehofft hatten. War die schwarz-rote Koalition noch als Hemmschuh zu entschuldigen, deren Partner sich in dieser Frage gegenseitig neutralisierten, ist die Verweigerung der neuen Regierung in Sachen Haushaltswende schwer begreiflich. Der Vorwurf des Wahlbetrugs wird laut und verständlich. Zornige Erinnerungen werden wach.

War da nicht schon einmal das gebrochene Versprechen einer „geistigen und moralischen Wende“? Immerhin hatte der damalige CDU-Vorsitzende Helmut Kohl 1982 mit diesem Blendwerk die Ablösung der sozial-liberalen Regierung eingeleitet. Auch von ihm wurde die Staatsverschuldung angeprangert, die unter der Ära Brandt/Schmidt für damalige Zeiten unfaßbare Höhen erklommen hatte. Nur, daran geändert hat er absolut nichts.

Ein Blick auf die historische Entwicklung der deutschen Staatsverschuldung lohnt – gerade weil er anscheinend nichts Spektakuläres offenbart. Seitdem die Sozialdemokratie 1971 die Büchse der Pandora namens Staatsverschuldung geöffnet hat, ist nur eine Bewegung erkennbar: ständig weiter nach oben. Der Leitspruch des damaligen SPD-Kanzlers Willy Brandt „Mehr Demokratie wagen“ hat die Tore der Umverteilungsdemokratie weit aufgerissen, und seine Devise „Die Belastbarkeit der Wirtschaft testen“ ihr Experimentierstadium bis heute nicht beendet – ungeachtet der Couleur nachfolgender Regierungen. Der verschärfte Anstieg der Staatsverschuldung nach der Integration der planwirtschaftlichen Konkursmasse der DDR ab 1990 wurde vorübergehend durch die kosmetische Zurückhaltung vor der Einführung des Euro abgemildert, um nach der Abschaffung der D-Mark ab dem Jahr 2000 die alte Geschwindigkeit wieder aufzunehmen.

60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) als Obergrenze, lautet die papierne Forderung des Europäischen Stabilitätspakts. Daran hält sich nun bald keiner mehr. Auch Deutschland liegt seit 2002 darüber. Die im Sommer dieses Jahres verabschiedete mittelfristige Finanzplanung – von der neuen Regierung nicht in Frage gestellt – sieht einen Anstieg der Staatsverschuldung bis zum Ende der neu angelaufenen Legislaturperiode auf mehr als zwei Billionen Euro vor. Mit weit mehr als 80 Prozent Staatsverschuldung im bezug auf die jährliche Wirtschaftsleistung nähert sich Deutschland griechischen Verhältnissen. Die Verärgerung über den Unwillen der neuen Regierung, das Problem der Staatsschulden mit überzeugender Entschlossenheit anzugehen, wandelt sich in Entsetzen, weil eine konsequente Bekämpfung der Staatsverschuldung damit in den Bereich des scheinbar Unmöglichen rückt. Die probate Regel, am Anfang der Regierungszeit die Peitschenhiebe auszuteilen, um gegen Ende (und vor der nächsten Wahl) das Füllhorn der Wohltaten ausschütten zu können, wird nicht angewandt. Dieser Handlungsspielraum ist offensichtlich nicht mehr vorhanden, die Regierung zeigt sich von Anfang an gelähmt.

Zwingend notwendig für den Schuldenabbau ist die Erzielung von Haushaltüberschüssen; entweder durch Senkung der Ausgaben oder Erhöhung der Einnahmen. Einer Ausgabenkürzung, ja schon der Fixierung ihrer Höhe, steht heutzutage die politische Angst vor der Kritik an der fehlenden „sozialen Gerechtigkeit“ gegenüber. Daß letztere nicht überwiegt, ist eine Sache des Muts und der Überzeugungskraft. Beides hat die neue Regierung klar erkennbar nicht zu bieten. Die Angsthasenmentalität bestätigt die gleichzeitige Furcht vor Steuer­erhöhungen. Also hält man sich an den wehrlosesten Gegner, die ungeborenen Nachfolgegenerationen, denen weitere Schulden aufgehalst werden.

Einmal aber müssen die Schulden abgebaut werden. Spätestens wenn die Zinslast des Schuldenbergs in nicht mehr finanzierbare Größenordnungen ansteigt. Noch kosten die gesamten Staatsschulden „nur“ 64 Milliarden Euro jährlich; etwa 15 Prozent der Steuereinnahmen. Nach Plan wird diese Belastung bis 2013 auf schätzungsweise 85 Milliarden steigen; also mindestens 20 Prozent der Steuereinnahmen. Derzeit ist der Finanzierungszinssatz der Staatsschulden mit zirka drei Prozent äußerst günstig. Es gab schon Jahre, in denen bis zu neun Prozent Zinsen zu zahlen waren. Ein angesichts des immer engeren Kreditmarkts zu erwartender Anstieg des Zinssatzes auf sechs Prozent würde die Zinsbelastung auf 40 Prozent der Steuereinnahmen heraufschrauben.

Ein weiteres Damoklesschwert ist die Gläubigerstruktur der Staatsschulden. Mittlerweile wird mehr als die Hälfte der deutschen Schulden vom Ausland finanziert. Insbesondere die deutschen Banken haben sich seit der Einführung des Euro klammheimlich, aber massiv aus diesem unsicheren Kreditgeschäft verabschiedet. Noch leben die deutschen Regierungen von dem guten Ruf Deutschlands als Kreditnehmer – zumindest im Vergleich mit anderen Staaten. Solange dieser Vertrauensvorsprung anhält, funktioniert das Fremdfinanzierungssystem – allerdings zu Lasten der Staatsschulden ausländischer Staaten. Wenn Deutschland aber auch für diese eintreten muß, etwa im Rahmen von EU-Verpflichtungen, dann schmilzt das ausländische Vertrauen in die Sicherheit deutscher Staatsschuldentitel. Höheres Risiko bedeutet jedoch höhere Zinsen und damit eine weitere Belastung des Staatshaushalts.

Es bleibt der Weg in die Inflation: das traditionelle und erprobte Mittel des Schuldenabbaus. Selbst die stabile D-Mark hat in den fünfzig Jahren ihres Bestehens Dreiviertel ihres Anfangswerts verloren. Um Staatsschulden in relativ kurzer Zeit über Inflation abzubauen, bedarf es jedoch hoher Geldentwertungsraten. Selbst bei einer Preissteigerungsrate von jährlich zehn Prozent dauert es 30 Jahre, bis die Schulden abgetragen sind. Angesichts der staatlich initiierten Geldschwemme zur Wirtschaftsbelebung ist diese hohe Inflation tatsächlich in den nächsten Jahren zu erwarten – insbesondere wenn die staatlichen Schuldentitel auf dem Kreditmarkt keine Abnehmer mehr finden und der Europäischen Zentralbank direkt zum Kauf aufgezwungen werden. Auf Dauer zerbricht aber jede Währung an einer anhaltend hohen Inflation.

Eine anschließende Währungsreform – mit Abschaffung des ungeliebten Euro – wäre nicht nur eine theoretische Lösung des Schuldenproblems, sondern nach Stand der Dinge die praktisch wahrscheinlichste. Die neue Regierung ist jedenfalls nicht in der Lage, diese wachsende Vorahnung zu beseitigen.

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