© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/09 06. November 2009

„Ich habe es mir nicht so schlimm vorgestellt“
Geschichtspolitik: Der ehemalige Stasi-Häftling Carl-Wolfgang Holzapfel läßt sich für eine Kunstaktion wieder einsperren – doch der psychische Druck ist zu stark
Christian Dorn

Zum Jubiläum des Mauerfalls von 1989 gilt weiter das umstrittene Diktum Bärbel Bohleys: „Wir wollten Gerechtigkeit und bekamen den Rechtsstaat.“ Deutlich wird dies nicht nur an den zum Großteil ausgebliebenen Verurteilungen und Freiheitsstrafen für die Täter des SED-Regimes, sondern beispielsweise auch an dem fehlenden Bundesverdienstkreuz für Carl-Wolfgang Holzapfel, den Vorsitzenden der Vereinigung 17. Juni 1953 e.V.

Als 17jähriger hatte er in West-Berlin den Bau der Mauer miterlebt und sich die „Sebstverpflichtung“ auferlegt, gegen diese anzukämpfen. Sein mutigster Schritt ist die Protestaktion im Jahre 1965, als er die Demarkationslinie am Checkpoint Charlie überschreitet. Es folgten nach der Festnahme neun Monate in der Untersuchungshaftanstalt des Ministeriums für Staatssicherheit in Hohenschönhausen. Verurteilt zu acht Jahren Zuchthaus, wurde Holzapfel nach 13 Monaten von der Bundesregierung freigekauft. Am 13. August 1989 machte er weltweit Schlagzeilen, als er sich abermals am Checkpoint Charlie demonstrativ auf die weiße Grenzlinie legte.

Nun wollte er mit der Fotokünstlerin Franziska Vu an das Schicksal der etwa 250.000 Menschen erinnern, die in der DDR aus politischen Gründen hinter Gittern saßen. Gerade jene, die nicht erst 1989 auf die Straße gegangen sind, seien die „wirklichen Helden“, findet Holzapfel. Bis heute kämpfen die meisten von ihnen mit den Spätfolgen von Haft und Folter. Mit der am vergangenen Donnerstag gestarteten Internet-Kunstaktion unter dem Titel „24/7 Stasi-Live-Haft“ wollte Holzapfel nun als Häftling für die Dauer einer Woche eine Zelle beziehen, in der er unter ständiger Beobachtung einer Webcam stehen sollte. Das Gefängnis-Regime von damals war insofern abgemildert, als es kein Türenschlagen und keine Wärter gab – ansonsten blieben die Bedingungen der Haft soweit wie möglich erhalten. Dazu gehörte, daß nachts das Licht permanent brannte und die vorgeschriebene „Liegehaltung“ eingehalten werden mußte: gerade auf dem Rücken, die Hände über der Decke.

Daß Teile der Gesellschaft hiervon wachgerüttelt werden könnten – ist ein großer Gedanke, mehr jedoch nicht. Dies zeigte sich in erschreckender Weise während der Pressekonferenz vor dem Beginn der Aktion. Keine einzige Frage der zahlreichen Journalisten zeugte von Mitgefühl. Statt dessen begann der RBB mit dem perfiden Vorwurf, ob Holzapfel durch seine einstige Mitgliedschaft bei den Republikanern (1989/1990) das Anliegen seiner Aktion nicht diskreditiere. Holzapfel antwortete, indem er auf den Urheber dieser Denunziation verwies: den SPD-Abgeordneten des Berliner Landesparlaments Tom Schreiber. Schließlich koaliere der mit Politikern, die oft jahre- oder jahrzehntelang Mitglieder einer verbrecherischen Partei gewesen seien. Keiner von denen sei je seitens der SPD zur Rede gestellt worden.

Holzapfel hingegen wollte sich den Fragen der Internetbesucher stellen –doch aufgrund der hohen Zugriffszahlen war die Technik zusammengebrochen. So beantwortete er die ersten Fragen, ohne zu wissen, daß niemand ihn sah oder hörte. Am Folgetag, als die Übertragung wieder stand, verglich er diese Situation mit der Erfahrung ehemaliger Häftlinge, von denen sich manche bis heute noch beobachtet fühlen.

Wer es auf sich nahm, und Holzapfel zusah, wie er stundenlang stumm im Raum auf und ab lief, fühlte unweigerlich die Monströsität dieses Zustands. So verwunderte es nicht, als Holzapfel nach zweieinhalb Tagen aufgab. Der psychische Druck war zu groß geworden. Einen Tag zuvor hatte es Holzapfel bereits in Richtung Kamera gebeichtet: „Ich hab es mir nicht so schlimm vorgestellt, wie ich es jetzt empfinde.“

Foto: Holzapfel in seiner Zelle: Übertragung im Internet

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