© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/09 30. Oktober 2009

„Die weiße Weltherrschaft geht zu Ende“
Interview: Peter Scholl-Latours Buch „Die Angst des weißen Mannes“ erscheint kommenden Mittwoch / Machtbalance USA–China–Islam?
Moritz Schwarz

Herr Professor Scholl-Latour, nächste Woche erscheint Ihr neues Buch „Die Angst des weißen Mannes. Ein Abgesang“. Was wollen Sie mit dem Titel zum Ausdruck bringen?

Scholl-Latour: Vor genau fünfhundert Jahren hat die portugiesische und damit die europäische Expansion begonnen. Dazu gehörte die Landung des ersten Portugiesen im heutigen Ost-Timor, wo auch das Buch seinen Anfang nimmt. Heute ist Portugal ein kleiner Staat am Rande Europas, damals aber signalisierte sein koloniales Ausgreifen den Anbruch der Weltherrschaft des weißen Mannes. Diese geht nun zu Ende. Heute gibt es so gut wie keine europäischen Besitzungen mehr in Übersee.

Steht Ihre These nicht im Widerspruch zu der Tatsache, daß USA und Nato heute mächtiger sind als je zuvor?

Scholl-Latour: Nein, denn tatsächlich ist die westliche Militärmacht längst durch weltweite Einsätze überfordert. Allein die zwei Konflikte im Irak und Afghanistan bringen etwa die Amerikaner, die die Europäer als Führungsmacht abgelöst haben, an den Rand ihrer militärischen Kapazität. Und in beiden Fällen ist kein siegreicher Ausgang in Sicht.

Welche Macht ist es, die den Abgesang auf den weißen Mann am lautesten anstimmen wird?

Scholl-Latour: Der Aufstieg Chinas versetzt uns heute bereits in fassungsloses Staunen. Wir haben den Punkt erreicht, wo die westlichen Vorstellungen von parlamentarischer Demokratie, entfesseltem Kapitalismus und technisch perfektionierter Kriegsführung für die übrige Welt nicht mehr zu taugen scheinen. Die Vorstellung des US-Publizisten Francis Fukuyama vom erreichten Ende der Geschichte, das heißt die Bekehrung der ganzen Welt zum amerikanischen Lebensmodell, erweist sich heute als absolut irrig. Es sind ja nicht nur die westlichen Weißen, die aus ihren ehemaligen Kolonialgebieten verdrängt wurden, sondern ebenso die Russen, die nach dem Verlust Zentralasiens und dem Vordringen des Islam das Trauma des Tatarenjochs wiedererleben.

Zum Abgesang auf den weißen Mann zählen Sie auch, daß der Farbige Barack Obama Präsident der USA geworden ist.

Scholl-Latour: Obama ist ein gläubiger und bekennender Christ, aber er ist als Sohn eines aus Kenia stammenden Moslems laut Scharia Mitglied der Umma, der muslimischen Gemeinschaft. Bislang hatte sich jeder US-Präsident immer zuerst Europa zugewandt. Noch im Zweiten Weltkrieg galt für Präsident Roosevelt: „Europe first“, „Europa zuerst“. Doch nicht nur im Weißen Haus ist eine ethnische Veränderung vor sich gegangen, sondern die USA insgesamt sehen sich einer zunehmenden Rassenvermischung ausgesetzt, wobei die Latinos, meist Mestizen von Spaniern und Indianern, den Ausschlag geben dürften. 

Der weiße Mann ist nicht mehr der Herr der Welt, bleibt er Herr Europas?

Scholl-Latour: Dies ist nicht das zentrale Thema meines Buches.

Mit dem Aufstieg des weißen Mannes gingen zahllose Kolonialkriege einher. Folgen dem Abstieg ebenso kriegerische Auseinandersetzungen?

Scholl-Latour: Den Europäern, Amerikanern und Russen droht ja bis auf weiteres keine kriegerische Eroberung, sondern eine demographische Unterwanderung. Im Jahre 1951 zählte der Irak, um nur dieses Beispiel zu erwähnen, fünf Millionen Menschen, heute sind es über 25 Millionen. In diesem Buch wende ich mich übrigens Weltregionen zu, denen ich mich bisher in meinen Büchern noch nicht gewidmet habe. Unter anderem findet der pazifische Ozean eine angemessene Beachtung –Weltregionen, denen sonst nicht unsere Aufmerksamkeit gilt, wo aber auch Entwicklungen stattfinden, die unsere Zukunft prägen können.   

Mit welchem persönlichen Gefühl haben Sie diesen Titel „Abgesang“ gewählt?

Scholl-Latour: Ich empfinde das als ein Schicksal. Ein Blick auf die Landkarte genügt, um die globalen Veränderungen festzustellen, die seit 1945, als der weiße Mann noch omnipräsent war, eingetreten sind. 

Ein Schicksal, das Sie bedauern?

Scholl-Latour: Sicher ist die Tonlage des Buches auch etwas melancholisch.  Das Verschwindens des britischen Weltreichs ist durch keine neue Ordnung ersetzt worden, und auch der schwindende Einfluß Frankreichs vor allem in Afrika wirkt sich teilweise negativ aus. In Nordamerika hingegen findet eine Art spanische Reconquista statt, eine Rückgewinnung der Gebiete der USA, die Mexiko im 19. Jahrhundert entrissen wurden. Von einem Amerika, das durch den Terminus „White Anglo-Saxon Protestants“ beschrieben wurde, kann nicht mehr die Rede sein. Hingegen zeichnet sich im Süden des Kontinents eine neue Großmacht ab, eine absolute Mischkultur von Weißen, Schwarzen und Indianern, die die Portugiesen in Brasilien hinterlassen haben.

Wird die Welt nach dem „Ende des weißen Mannes“ besser oder schlechter sein?

Scholl-Latour: Vermutlich war die bislang vorherrschende amerikanische Hegemonie relativ leicht zu ertragen, angesichts der Machtansprüche, die in Zukunft auf die Europäer zukommen. Über China sollen sich Russen und Amerikaner Sorgen machen, wir Europäer sind durch den Aufstieg der Volksrepublik nicht unmittelbar betroffen – es sei denn, was den Welthandel und den schrumpfenden Export betrifft. Die große Frage der Zukunft wird sein, wie die drei großen Kräfte sich untereinander austarieren: die Vereinigten Staaten von Amerika, die Volksrepublik China und die verzettelte, aber extrem dynamische islamische Revolution.

 

Prof. Dr. Peter Scholl-Latour, Jahrgang 1924. Der A Publizist und Auslandskorrespondent veröffentlicht am 4. November sein neues Buch „Die Angst des weißen Mannes. Ein Abgesang“ im Verlag Propyläen, 368 Seiten., Scholl-Latour: „Die westliche Militärmacht ist bereits überfordert“

 

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