© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/09 23. Oktober 2009

Frisch gepresst

Stasi-Häscher. „Was wollen Sie denn? Sie leben ja noch!“ meinte Generalleutnant a. D. Wolfgang Schwanitz, bis 1989 Vizeminister für Staatssicherheit, als Willy Hieronymus Schreiber ihn einige Jahre nach der Wiedervereinigung aufsuchte und fragte, warum die Stasi den „Republikflüchtling“ auch im Westen weiter drangsalierte und ihm sogar nach dem Leben trachtete. Daß der 1937 in Halle/Saale geborene Autor nicht wie der Fußballspieler Lutz Eigendorf endete (dieser hatte 1979 den Stasi-Verein BFC Dynamo „illegal“ verlassen und verstarb 1983 nach einem mysteriösen Autounfall in Braunschweig), hat er seinem DDR-typischen Mißtrauen und glücklichen Umständen zu verdanken. Schreiber war kein Dissident, er gehörte als privater Schausteller und Eisdielenbetreiber zu den Besserverdienenden – inklusive Westauto und Einfamilienhaus am Rande Berlins. Doch seine wesentlich jüngere Frau denunzierte ihn nach der Scheidung 1981 bei der Stasi. Schreiber floh mit seiner Tochter nach West-Berlin – allerdings im Kofferraum eines Italieners, der für die Partito Comunista Italiano (PCI) und die DDR im brisanten Embargohandel aktiv war. Der absurd-alltägliche Stasi-Vorgang „OV Eisladen“ war damit zur Staatsaffäre im Kalten Krieg geworden, selbst auf Tahiti erschien es Schreiber nicht sicher. Ein wahrer Agententhriller, spannend bis zur letzten Seite – auch wenn wichtige Details weiter in römischen PCI-Akten schlummern (Willy Hieronymus Schreiber: Im Visier – Chronik einer Flucht. TvR Medienverlag, Jena 2009, broschiert, 335 Seiten, 19,90 Euro).

Mauerfall. Als Kameramann für einen Deutschland-Korrespondenten des französischen Fernsehens hat Kai von Westerman den Untergang des SED-Staates hautnah erlebt: Auf dem Bahnsteig im fränkischen Hof beim Eintreffen des ersten Zugs der Prager Botschaftsflüchtlinge, auf den Schultern hilfsbereiter Demonstranten beim Protest gegen die offiziellen Jubiläumsfeierlichkeiten am 7. Oktober auf dem Ost-Berliner Alexanderplatz und natürlich beim Mauerfall selbst. Zwanzig Jahre später hat er jetzt auf der Basis von Notizen und Erinnerungen das Erlebte in ein packendes und kenntnisreiches Buch verwandelt (Letzte Bilder von der Mauer. Reportage 1989/Berichte aus zwei verschwundenen Ländern. Zeitgut Verlag Berlin 2009, broschiert, 358 Seiten, 12,90 Euro). Westermans Augenzeugenbericht setzt weit vor den dramatischen Ereignissen des Revolutionsherbstes ein. Seine autobiographischen Schilderungen der Zeit als Reserveoffizier der Bundeswehr, als Berufsanfänger am alten Regierungssitz in Bonn sowie seine Arbeit als Kameramann in der ehemaligen DDR sind spannend geschrieben, meist erhellend und nie banal. Entgegen dem irreführenden Titel ist das Werk allerdings nicht illustriert.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen