© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/09 23. Oktober 2009

Aus einer fremden Welt
Artenschutz: Der in seinem Bestand gefährdete Frauenschuh wurde zur Orchidee des Jahres 2010 bestimmt
Richard Stoltz

Die Naturschützer der Arbeitskreise Heimische Orchideen (AHD) haben den Frauenschuh (Cypripedium calceolus) zur Orchidee des Jahres 2010 erklärt. Verbunden mit der Bekanntgabe der Entscheidung war die schon längst üblich gewordene Klage darüber, daß auch diese schöne Pflanze in unseren Wäldern immer seltener werde und mittlerweile zu den gefährdeten Arten gehöre. Alle Pflanzenfreunde vernehmen’s mit Kummer.

Gleichzeitig fragen sich aber viele, wieso denn jetzt ausgerechnet auch der Frauenschuh auf der Aussterbeliste steht. Er ist doch streng geschützt und findet in seinen Hauptverbreitungsgebieten, Thüringen und Nordhessen, auch genügend lichte Mischwälder, wo er ungestört gedeihen kann. Doch er ist eben – alle Gärtner und Hobby-Züchter wissen es – ein Zimperlieschen, eine große Dame, die dauernd übelnimmt und bei jeder Gelegenheit Migräne kriegt. Man soll sich ständig intensiv um sie kümmern, doch recht machen kann man es ihr nicht.

Der Frauenschuh braucht viel Sonne, aber diese darf um Himmels willen nicht zu „prall“ sein, sonst läßt er gleich sein Köpfchen, den reizenden „Schuh“, hängen und geht ein. Er braucht an sich nicht viel Wasser, aber wenn man am Abend seine Blättchen nicht vorsichtig mit Wasser besprüht, geht er ein. Auch darf man nicht aus Versehen die Blüten mitbesprühen, sonst geht er auch ein.

Es ist ihm ständig entweder zu heiß oder zu kalt. „seine“ Temperatur schwankt zwischen vierzehn und achtzehn Grad, und alles, was darüber oder darunter liegt, läßt ihn welk und braun werden. Er braucht unbedingt frische Luft. Wenn es ihm zu stickig wird, geht er sofort ein. Aber wo beginnt die Stickigkeit? Niemand weiß es, sowenig wie jemand weiß, was es mit der berühmten „Septemberfrische“ auf sich hat, die der Frauenschuh unbedingt braucht, um nicht einzugehen. Allzu oft verwechselt er leider lebenspendende Septemberfrische mit vorzeitigem Wintereinbruch.

Gestreßte Frauenschuh-Enthusiasten wundern sich permanent darüber, wieso ein so empfindliches Geschöpf in der freien Wildbahn unserer Mischwälder überhaupt überleben kann. Und wie es einstmals in sie hineingekommen ist und woher es kam. Der Frauenschuh ist ein Gast aus einer anderen Welt, und er weiß über seine Fremdheit offenbar genau Bescheid.

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