© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/09 23. Oktober 2009

Aufregung um die grüne Gentechnik
Agarindustrie: Ein „Feldbefreier“ geht in die Revision / Brisante Broschüre über Filz zwischen Politik, Wissenschaft und Wirtschaft
Volker Kempf

Der Umweltaktivist Jörg Bergstedt wurde am 9. Oktober wegen seiner „Feldbefreiungen“ vom Landgericht Gießen zu einem halben Jahr Gefängnisstrafe verurteilt – ohne Bewährung, da der Angeklagte gegen die bürgerliche Ordnung eingestellt sei. Das 45jährige frühere Vorstandsmitglied der Naturschutzjugend (Naju) hatte mehrfach Versuchsfelder mit genetisch veränderten Pflanzen zerstört. Bergstedt kündigte an, in Revision zu gehen.

Immerhin folgte das Gericht Bergstedts Argumentation hinsichtlich der hohen Risiken, die von Freilandversuchen mit transgenen Pflanzen ausgingen. Auch mit „einem universitären Netz mit Professoren, Universitäten, Fördergeldbetrügern und Bewilligungsbehörden“ beschäftigte sich das Gericht, es leitet daraus aber keinen Notstand für Leib und Leben ab, was für Bergstedt den Freispruch bedeutet hätte.

Bergstedt hatte im Juni eine mittlerweile in 80.000 Exemplaren verteilte Broschüre über „Organisierte Unverantwortlichkeit“ veröffentlicht. Der Titel geht auf den Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) zurück, der zur Agro-Gentechnik gesagt haben soll: „Was wir heute betreiben, ist organisierte Unverant­wortlichkeit.“ Wer weiterliest, erfährt, daß sich hier niemand vom designierten SPD-Vorsitzenden Gabriel viel erhofft. Zwar habe Gabriel gesagt, er könne „den gesellschaftlichen Mehrwert der Genprodukte von Monsanto nicht erkennen“.

Auch habe Gabriel kritisch bemerkt, daß sich in den USA niemand so sehr für einen einzelnen euro­päischen Konzern stark mache wie die EU-Kommission bei der Verfolgung der Wirtschaftsinteressen eines einzelnen US-Unternehmens. Gabriel, so heißt es weiter, bediene die Monsanto-Kritik, ohne aber zu berücksichtigen, daß deutsche Konzerne wie BASF, Bayer und KWS ihrerseits das Feld der Gentechnik beackern.

Die rhetorische Frage laute, ob deutsche Gentechnik besser sei als ameri­kanische. Nach Gabriel schon, denn der habe nur 30 Tage nach seiner Monsanto-Kritik die deutsche Gentechnikfirma KSW Saat AG besucht und erklärt: „Wir (die Bundesregierung) wollen gentechnisch veränderte Pflanzenzucht auf jeden Fall zulassen.“ Und als die Universität Gießen 2006 transgene Gerste aussäte, hätten auch SPD, Grüne und Linke im Stadtrat für das umstrittene Experiment votiert. Die „Narren­freiheit“ für deutsche Gentechnik-Firmen sei durch Aushöhlung der Trennung zwischen Politik, Behörden und Wirtschaft entstanden. Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebens­mittelsicherheit (BVL) etwa habe alle Anträge auf gentechnische Nutzungen geneh­migt, ver­weigere Akteneinsicht nach dem Umweltinformationsgesetz. Etliche Beamte stellten sich in internen Schreiben uneingeschränkt hinter die antragstellenden Konzerne und For­schungseinrichtungen.

Lobbyisten, Kon­zerne und Genehmigungsbehörden

Einige seien sogar in Werbefilmen genau jener Firmen gesichtet worden, deren Anträge sie an anderen Arbeitstagen „ohne die notwendigen umfangreichen Prüfungen“ durch­gewinkt hätten. „Die wichtigsten Entscheidungsträger der Gen­tech­nikabteilungen sind eingebunden in ein enges Geflecht von Lobbyorganisationen und Kon­zernen. Kontroll- und Genehmigungsbehörden, Geldgeber, Forschung und Firmen sind über die Jahre zu einem Filz zusammen verwoben, der sie als Einheit erscheinen läßt.“

Dieser nicht nur von Umweltaktivisten beklagte Filz wird in vielen Facetten dem Leser ausgebreitet: „Eveline Nettlau päppelte als Geschäftsführerin der regionalen Wirtschafts­för­derungsagentur die Gentechnikschmiede in Gatersleben hoch. Dabei verschaffte sie sich auch selbst einen guten Posten – als Geschäftsführerin des Grün­dungszen­trums für Biotech­nologie“, heißt es in der Broschüre. Nettlau sei „auch Schatzmeisterin des Lobbyverbandes InnoPlanta e.V. und bekundet so ihre eindeutige Orientierung“.

Auch Politiker seien mit der Agro-Gentechnik verfilzt – sie werden in der Broschüre behandelt. Dagegen gehen die zwei wichtigsten Vertreter gerichtlich vor – bislang vergeblich. Die Broschüre wird daher noch immer angeboten.

Daß Politiker nur ungern im Zusammenhang mit Agro-Gentechnik genannt werden, diese Erfahrung machte die Ökologisch-Demokratische Partei (ÖDP) schon 1994, als sie anläßlich der damals bevorstehenden Europawahl eine Kampagne gegen Gentechnik startete, in deren Zuge sie auf Plakaten das Abstimmungsverhalten sämtlicher deutscher Europaabgeordneter bezüglich der Kennzeichnungspflicht gentechnisch veränderter Lebensmittel abdruckte.

Als auf diese äußerst informative Kampagne eine Geldstrafe von 500.000 Mark angedroht wurde, erwies sich die ÖDP als zahnlos: Die Plakate wurden abgehängt. Um so beachtlicher ist die Broschüre, die vor allem in Bioläden verteilt wird. Aber nicht überall, wie dem Internetportal biotech-seilschaften.de.vu zu entnehmen ist: „Großhändler Weiling lehnte Verteilung an Natur­kost­läden in Nordrhein-Westfalen ab. In der Broschüre geht es ja nicht um Gentechnik, sondern auch um Gesellschaftliches. So etwas verteilen wir nicht.“

„Organisierte Unverantwortlichkeit. Reader zum Filz zwischen Konzernen, staatlicher Kontrolle, Wirtschaftsförderung und Lobbying deutscher Gentechnik“, 32 Seiten. Im Internet unter: www.projektwerkstatt.de/gen/filz/brosch.pdf

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