© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/09 23. Oktober 2009

In der EU tickt die Schuldenbombe
Finanzpolitik: Der Euro ist gefährdet, denn die EZB kontrolliert nur die Preise, nicht die Schulden
Wilhelm Hankel

Bei Einführung des Euro orakelte der inzwischen zur Unperson gewordene frühere Chef der US-Notenbank Fed, Alan Greenspan, die europäische Gemeinschaftswährung werde möglicherweise not sustainable (nicht nachhaltig) sein. In Europa hielt man das damals für Wunschdenken der amerikanischen Konkurrenz. Inzwischen bestätigt der „Nachhaltigkeitsbericht 2009“ der Brüsseler EU-Kommission Greenspans Befürchtung.

Laut Wirtschaftskommissar Joaquín Almunia müßten von den 27 EU-Staaten inzwischen 20 – darunter auch Deutschland, die Niederlande und Österreich – mit einem Defizitverfahren wegen Überschreitens der im Maastricht-Vertrag vereinbarten zulässigen Staatsschulden-Obergrenzen rechnen. Vor allem infolge der Finanzkrise überschreitet die überwiegende Mehrheit der EU-Länder bei der staatlichen Neuverschuldung die Marke von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukt (BIP). Die gesamten Staatschulden innerhalb der EU würden laut dem Nachhaltigkeitsbericht bis 2014 auf 84 Prozent des Bruttoinlandsprodukt steigen – statt der erlaubten 60 Prozent, die der damalige Bundesfinanzminister Theo Waigel 1996 den Euro-skeptischen Deutschen felsenfest versprochen hatte.

Schon 13 der 16 Euro-Länder erfüllen Kriterien nicht mehr

Bei besonders straffälligen Sündern wie Irland (Neuverschuldung stieg von 7,1 auf 12 Prozent) oder Großbritannien (dessen nicht an den Euro gekoppeltes Pfund in zehn Jahren etwa ein Drittel an Wert verloren hat) könnten es bis 2020 sogar 200 Prozent werden. Und dann kommt der Hammer: Von den 16 Euro-Ländern befänden sich nur noch Finnland, Zypern und Luxemburg im grünen Bereich. Mit anderen Worten: 13 der 16 Euro-Länder, und zwar die größten, stärksten und bislang verläßlichsten, darunter Deutschland, die Niederlande und Österreich, die mit ihren Überschüssen in der Leistungsbilanz den Euro stützten, gelten mit Werten von 3,4 bis 4,2 Prozent Neuverschuldung bereits als Risikoländer.

Die Auswirkungen auf den Euro sind längst spürbar. Griechenland (aus Athen gibt es nicht mal zuverlässige Zahlenwerte), Portugal, Irland und Italien, in geringerem Umfang sogar Frankreich, müssen im Zins enthaltene Risikoaufschläge auf ihre Euro-Staatsanleihen zahlen. Die Pointe dabei ist: Damit kehren die Zeiten von vor der Euro-Einführung zurück. Damals mußten diese Länder wegen der latenten Abwertungsgefahr ihrer Schwachwährungen ebenfalls deutlich höhere Zinsen zahlen, teilweise bis zum Doppelten und Dreifachen der deutschen. Mit dem Übergang zum Euro wurden die Währungsrisiken europäisiert, man könnte auch sagen sozialisiert. Sie sanken für alle herab – auf deutsches Niveau. Deutschland hatte mit dem Verzicht auf die D-Mark und seiner Kreditwürdigkeit Europa (und seinen Konkurrenten) ein großzügiges Zinsgeschenk gemacht.

Damit ist es nun vorbei – auch für den deutschen Schenker. Nicht erst jetzt in der Krise, sondern bereits mit der Beseitigung der Abwertungsdrohung durch den Euro sind in den EU- und Euro-Ländern sowohl die öffentlichen wie die privaten Finanzen aus dem Ruder gelaufen; letztere sogar noch weit mehr als erstere. Die mit deutscher Hilfe kreditwürdig gewordenen Schwachwährungsländer von gestern blieben den altgewohnten Sünden treu. Sie lebten weiterhin (vereinzelt sogar stärker als bisher) über ihre Verhältnisse und verschuldeten sich weit über ihre Halskrause – vor allem privat. Sie ließen für ihr gutes Leben (Überkonsum) und den Nachholboom ihre Gläubiger zahlen, die wenigen Überschußländer der Euro-Zone, allen voran Deutschland als Großbankier!

Die Europäische Zentralbank (EZB) muß sich vorhalten lassen, daß sie als Währungshüter und -wächter der Euro-Zone schmählich versagt hat. Sie hätte statt nur die Preise, auch die Verschuldung ihrer Mitgliedsländer kontrollieren müssen. Denn Inflation, Superboom und die Riesenlöcher in den Leistungsbilanzen der Euro-Sünder – das alles wurde aus Schulden finanziert, die die EZB nicht nur toleriert, sondern sogar mitfinanziert hat: aus ihren Krediten an die Banken der jetzt überschuldeten Euro-Länder!

Alte Inflation im Euro-Raum mit einer neuen finanzieren?

An dieser Stelle greift der Almunia-Bericht aus verständlichen Gründen zu kurz. Es sind nämlich weit weniger die schleichenden Staatsbankrotte, die den Euro gefährden. Noch akutere Gefahren drohen den Banken der überschuldeten Euro-Länder. Sie müssen jetzt Kredite zurückzahlen, für die ihnen das Geld fehlt. Wie auch ihre Staaten müssen sie es teurer denn je aufnehmen. Der EZB bleibt in dieser Lage nur der Ausweg, die alte Inflation mit der neuen zu finanzieren und immer neue Euro zur Auslösung der Banken zu drucken.

Und der Ausweg aus dem Teufelskreis von Neu-Verschuldung und Neu-Inflation? Man wird über das bislang Undenkbare nachdenken müssen, ob in der EU nicht wieder die verläßlichste aller Schuldenbremsen reaktiviert werden muß: die Bestrafung unverbesserlicher – staatlicher wie privater – Stabilitätssünder durch die vom Markt diktierte Abwertung der Währung. Nur sie beseitigt die falsche Bewertung der (im Euro-System festgeschriebenen) Wechselkurse. Ein real (in innerer Kaufkraft) abgewerteter irischer, portugiesischer, spanischer oder griechischer Euro kann auf Dauer nicht 1:1 in einen deutschen, niederländischen oder finnischen umgetauscht werden.

Die reale Aufwertung der „weichen“ Euro verführt die monetären Trittbrettfahrer der EU-Währungsunion zu immer neuen Defiziten und Schulden und damit zur inneren Zerrüttung des Euro. Noch überhören die globalen Finanzmärkte das Ticken der Euro-Schuldenbombe. Sonst würden sie den Euro nicht so hoch bewerten. Die EU-Kommission sieht es nüchterner. Sichere EU-Länder, stellt ihr Bericht lapidar fest, sind derzeit nur zwei: Finnland und Schweden.

Denn auch die Gläubigerstaaten und ihre Banken sind gefährdet: durch die Insolvenz ihrer Schuldner. Rutschen diese in den Staats- und Bankenbankrott, reißen sie auch deren Banken und Staaten mit in den Abgrund. Der ansonsten vielkritisierte Alan Greenspan könnte am Ende doch recht behalten.

 

Prof. Dr. Wilhelm Hankel leitete unter Karl Schiller die Währungsabteilung des Wirtschaftsministeriums und war Chef der Bank- und Versicherungsaufsicht. Er veröffentlichte 2008 das Buch „Die Euro-Lüge und andere volkswirtschaftliche Märchen“.

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