© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/09 23. Oktober 2009

Die Todesspirale
Mit der Normalisierung der Abtreibung hat unsere Gesellschaft einen tödlichen Mechanismus in Gang gesetzt
Mechthild Löhr

Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ So schlicht und prägnant steht es am Anfang unseres Grundgesetzes. Aber was ist daraus geworden? „Zum menschlichen Leben gehört auch das ungeborene. Auch ihm gehört der Schutz des Staates“, bestätigte das Bundesverfassungsgericht 1993. Und: „Der Schutzauftrag verpflichtet den Staat (…) den rechtlichen Schutzanspruch des ungeborenen Lebens im allgemeinen Bewußtsein zu erhalten und zu beleben.“ Schöne Worte.

Die Realität sieht anders aus. Bereits bei der staatlich durchgeführten Sexualaufklärung in den Grundschulen wird den noch staunenden Kindern klargemacht, daß das wichtigste eine erfolgreiche Verhütung sei. Und dann kann das Geschäft mit der Abtreibung auch schon bald beginnen: Zunächst müssen möglichst viele junge Frauen den Nutzen einer permanenten jahrzehntelangen Verhütungspraxis kennenlernen. Denn, so die Werbebotschaft für die neuen Lifestyle-Verhütungspillen, sie verhindern nicht nur Schwangerschaften, sondern machen auch schlank und lindern Akne. Wer wollte da nicht mitmachen?

Daß gerade auf das Konto dieser neuen Minipillen bereits mehrere Dutzend Todesfälle gehen, wie neueste Forschungen zeigen, entgeht den „Aufklärern“ leider. Daß schon die Verhütungspillen, nicht etwa nur die sogenannte „Pille danach“, für die intensiv geworben wird, frühabtreibende Wirkung entfalten, indem sie die Einnistung des Embryos in die Gebärmutter verhindern, gehört ebenfalls nicht in das Informationsprogramm der angeblich neutralen Aufklärer, die tatsächlich eher als Vertriebsmitarbeiter der Pharmazie- und Abtreibungsanbieter fungieren.

Da aber kein Verhütungsmittel immer sicher jede Schwangerschaft verhindert oder beendet, wird bereits in den Schulen eifrig auf Staatskosten für die „Nachverhütung“ (O-Ton Pro Familia) und unkomplizierte Abtreibungsmethoden geworben. Dabei wird die biologische Tatsache vehement bestritten, daß der Embryo ab dem frühesten Stadium seiner individuellen Existenz bereits ein bestimmter Mensch ist und nicht etwa nur ein wertloser Zellhaufen, der irgendwann erst einmal Mensch wird. Das hört sich dann so an: Die „befruchtete Eizelle“ (also der Embryo) kann sich nur nicht einnisten, oder das „Schwangerschaftsgewebe“ (der Fötus) wird einfach abgesaugt.

Das „Recht auf Abtreibung“ ist inzwischen in den Köpfen einer jungen Generation fest verankert. Die Zusammenarbeit zwischen Familienberatungsstellen und medizinischen Abtreibungszentren funktioniert nicht nur in Deutschland reibungslos. Schon längst ist Abtreibung international „aufgewertet“ als selbstverständliches Instrument der „sexuellen und reproduktiven Gesundheit“, zu der das öffentliche Angebot jederzeit erreichbarer „sicherer“ und „schonender“ Abtreibungsmethoden gehört. Viele Millionen Steuermittel fließen hierzulande wie international in diese neuen Formen aktiver Bevölkerungspolitik. Nicht nur das Recht auf Leben jedes Ungeborenen bleibt dabei unerwähnt und unbeachtet, obwohl der Gesetzgeber dazu eigentlich verpflichtet wäre. Es gibt auch keinerlei Aufklärung über die möglichen negativen psychischen und physischen Folgen einer Abtreibung für die Frauen. Mit dieser erfolgreichen „Aufklärungs“-Strategie konnte Abtreibung zur häufigsten nicht-natürlichen Todesursache weltweit werden: Über vierzig Millionen Kinder fallen ihr laut WHO jährlich zum Opfer.

Erst werden mit beachtlichen Gewinnspannen Produkte verkauft, die – mit erheblichen Belastungen für die einzelne Frau – Schwangerschaften über Jahre und Jahrzehnte systematisch verhindern. Dann werden – vom Steuerzahler hierzulande jährlich durch über vierzig Millionen Euro mitfinanziert – „sichere medizinische“ Abtreibungsmethoden angeboten und durchgeführt. Über die negativen gesundheitlichen Folgen werden die Frauen indes nicht aufgeklärt. Wenn seit 1972 nach seriösen Erhebungen bundesweit über acht Millionen Menschen durch Abtreibung legal beseitigt wurden, offenbart dies jedoch das völlige Scheitern des Staates in seiner elementarsten Aufgabe: den Menschen und die Familien wirksam zu schützen. Allein diese Zahl belegt, wie sehr das Abtreibungsgeschehen in der Mitte unserer Gesellschaft zum „Alltag“ und millionenfach tragischerweise zum anerkannten Element der Familienplanung geworden ist.

Welches Signal sendet eine Gesellschaft ihren jungen Bürgern und Familien, wenn sie seit Jahrzehnten das Recht auf Tötung der Ungeborenen bewirbt und mitfinanziert? „Wir wollen eure Kinder nicht!“ So könnte das programmatische Credo der internationalen Abtreibungslobby lauten, die sich wie ein tödliches Netz überall ausgebreitet hat. Daß unser Land seit etlichen Jahren zu denen mit der niedrigsten Geburtenquote der Welt gehört, scheint wenige zu alarmieren. Die Geburtenzahlen sinken weiter. In Städten wie Berlin kommt mindestens eine Abtreibung auf zwei Geburten. Abtreibung hat längst unsere ganze Gesellschaft nachhaltig verändert.

Andere Staaten erkennen dies und steuern um: Australien schenkt seit kurzem jedem Kind ein Begrüßungsgeld. Dies zeigt signifikante Wirkung in der Geburtenquote, denn schon dieses kleine Signal sagt den jungen Menschen: Ihr seid mit eurem Kind willkommen! Unsere Politiker haben sich dagegen im allgemein gefeierten Konsens entschieden, flächendeckend Abtreibung anzubieten und zu finanzieren.

Jetzt steht sogar die Forderung auf ein internationales „Menschenrecht auf Abtreibung“ als neues Frauenrecht auf der politischen Agenda. Ein fatales Signal: nicht nur für die Ungeborenen. Wer will den Charakter der Abtreibung als tödliche (Straf-)Tat noch erkennen, wenn dieses Tötungsverfahren durch Beratung und Finanzierung weiterhin staatlich gesichert bleibt?

 

Mechthild Löhr ist Bundesvorsitzende der CDU-nahen Lebensschutzorganisation „Christdemokraten für das Leben“ (www.cdl-online.de) im Bundesverband Lebensrecht.

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