© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/09 16. Oktober 2009

Gegen eine DDR 2.0
Juli Zeh und Ilija Trojanow klagen die Kontrollwut des Staates an und warnen vor drohender Überwachungsgesellschaft
von Ronald Gläser

 Bevor ein Passagier ins Flugzeug darf, muß er lauter Kontrollen bis hin zur Leibesvisitation über sich ergehen lassen. Er nimmt seinen Laptop aus der Tasche, legt ihn in eine Plastikwanne, zieht seinen Mantel aus, entfernt seinen Gürtel, nimmt Münzen, Mobiltelefon und selbst Kaugummipapier aus den Hosentaschen. Manchmal zieht er auch seine Schuhe aus. Wenn er lange nicht geflogen ist und die neuesten Bestimmungen nicht kennt, dann muß er auch noch sein Rasierwasser wegwerfen, das er im Handgepäck mitnehmen wollte.

Millionen Passagiere lassen diese schwachsinnigen Kontrollen jeden Tag über sich ergehen. Komisch: Wenn der gleiche Passagier nicht das Flugzeug, sondern die Bahn nimmt, dann wird er gar nicht kontrolliert. Die Eisenbahngesellschaft erfährt noch nicht einmal seinen Namen, geschweige denn, daß sein Gepäck kontrolliert wird. Und trotzdem kann der Passagier gefahrlos reisen.

Und das, obwohl theoretisch ein Terroranschlag auf einen Zug genauso viele Menschenleben kosten kann wie einer auf ein Passagierflugzeug. Das hat die Welt im März 2004 von den al-Qaida-Attentätern in Madrid demonstriert bekommen. Trotzdem ist noch niemand – noch nicht einmal Wolfgang Schäuble – auf die Idee gekommen, Bahngäste am Eingang von Bahnhöfen zu kontrollieren.

Dieses kleine Beispiel zeigt den Wahnsinn der Überwachungsgesellschaft und die Sinnlosigkeit der permanenten Kontrollen, denen der Bürger im 21. Jahrhundert ausgesetzt ist. Die große Masse hat sich schnell daran gewöhnt, so schnell, daß einem angst und bange werden kann. Wieso wehrt sich eigentlich niemand gegen diese ganzen staatlichen Kontrollen? Was werden die Leute noch alles über sich ergehen lassen, bis sie endlich protestieren?

Auch Juli Zeh wundert sich über diese Dinge. Zum Beispiel darüber, daß heute die Bürger die Abschaffung aller möglichen Freiheitsrechte hinnehmen, obwohl die Bedrohung durch Feinde abgenommen hat. Was ist schon al-Qaida verglichen mit dem drohenden Atomtod vor dreißig Jahren. Damals hätten sich die Deutschen nicht einfach so ihre Freiheiten wegnehmen lassen, auch nicht wenn dies im Kampf gegen den „kommunistischen Erzfeind“ notwendig gewesen wäre.

Die Angst vor dem Terror wird von den Schilys und Schäubles – Zeh nennt sie und die Verlautbarungsjournalisten in ihrem Gefolge „die Angstprofiteure“ – geschürt, um uns weich zu machen für immer mehr staatliche Befugnisse. 76 Prozent der Deutschen fürchten einer Umfrage zufolge, Opfer eines Terroranschlages zu werden. Statistisch gesehen ist die Chance höher, als Kind zu ertrinken. Verbieten wir jetzt Schwimmbäder oder Swimmingpools?

Badeseen bleiben, aber Grundrechte werden mir nichts, dir nichts abgeschafft wegen der angeblichen terroristischen Gefahr. Bankgeheimnis? Weg. Telefongeheimnis? Totalabschreibung. Zwei bis vier Millionen Deutsche waren von Lauschangriffen des Staates im vergangenen Jahr betroffen.

Oder nehmen wir das Recht auf Privatheit, das von Politikern und anderen Prominenten so gerne in Anspruch genommen wird, wenn es darum geht, lästige Journalisten loszuwerden. Für die Bürger gilt die Privatheit nicht mehr: Ihre PCs stehen den Spitzeln des Staates zur Online-Durchsuchung zur Verfügung. Dabei ist es, so Zeh, „völlig unklar, wozu ein solcher Grundrechtseingriff überhaupt gut sein soll“.

Juli Zeh und ihr Co-Autor, der Wiener Schriftsteller Ilija Trojanow, schildern diese Absurditäten des Überwachungsstaates mit kleinen Anekdoten wie dem Mann, der sich das Badezimmer neu fliesen läßt. Er kommt überraschend früher nach Hause und trifft den Handwerker mit einer Tasse Kaffee vor seinem Laptop sitzend. Er durchstöbert gerade die persönlichen Dateien des Auftraggebers. „Sie schreien ihn natürlich an, Sie stellen ihn zur Rede. Er wollte nur mal gucken, sagt der Fliesenleger ganz entspannt, ob Sie Steuern hinterziehen, Schwarzarbeiter beschäftigen oder illegal Musik kopieren.“ Den Fliesenleger schmeißen wir im Handumdrehen raus. Aber der Staat darf so weitermachen wie bisher – was ist das für eine Logik?

Der Widerstand Juli Zehs gegen den Abbau von Freiheitsrechten durch den Leviathan ist nicht neu. Eingriffe des Staates sind ein wiederkehrendes Motiv ihrer Arbeit. Schon vor zwei Jahren wurde ihr Science-Fiction-Theaterstück „Corpus Delicti“ uraufgeführt, das im Jahr 2057 spielt. Der Staat zwingt seine Bürger zur Gesundheitsprävention und verbietet sogar das Rauchen.

Im vergangenen Jahr legte Juli Zeh Verfassungsbeschwerde gegen den biometrischen Reisepaß ein. Sie kann als eine der härtesten Kritikerinnen des  Schäubleschen Überwachungsstaates gelten. Ihr Buch ist ein Muß für Freiheitsfreunde und eine belletristische Anklage gegen die DDR 2.0.

 Juli Zeh, Ilija Trojanow: Angriff auf die Freiheit. Der Weg in die überwachte Gesellschaft und die Bedrohung der Demokratie. Carl Hanser Verlag, München 2009, broschiert, 176 Seiten, 14,90 Euro

 Foto: Deutschland im Blick der Überwachungskameras: Darf der Staat das?

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