© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/09 16. Oktober 2009

Geheime Leitung der Befreiten
Lorenz Jäger über die Freimaurerei und ihren Einfluß auf die Politik
von Karlheinz Weissmann

Der eigentliche Text beginnt mit dem Satz „Der Deutsche, der von den Freimaurern hört, wird ‘Verschwörungstheorie!’ sagen und abwinken.“ Recht hat Lorenz Jäger. Manche dürften schon vor dem Titel zurückschrecken, alle vor dem Untertitel seines neuen Buches: „Freimaurerei und Revolutionsbewegungen“. Tatsächlich gibt es außer den Themen „Atlantis“, „Rasse“ und „Judentum“ keines, das so leicht diskreditiert wie die Freimaurerei. Wer nicht willens ist, deren Harmlosigkeit als humanitäre Vereinigung achtbarer Männer nachzuweisen, sollte das Ganze besser meiden.

Jäger weiß natürlich um das Heikle seiner Wahl und kennt auch die Menge absurder „antimaurerischer“ Literatur mit ihren phantasievollen Annahmen über eine mehr oder weniger umfassende Konspiration, die letztlich dem Ziel dient, die Weltherrschaft an sich zu reißen. Nur, und das ist wohl die Hauptursache, weshalb er sich dem Zusammenhang trotz allem zugewandt hat, es spricht viel, allzuviel dafür, daß die Behauptung freimaurerischer Subversion einen rationalen Kern hat, daß noch in der großen Angst vor der großen Verschwörung ein Gran Wahrheit steckt. Das will gefunden sein.

Zu den ersten Indizien für die Verbindung von Freimaurerei und Umsturzbewegungen gehören die Aussagen von Freimaurern selbst, die zu gegebenem Anlaß und nicht ohne Stolz darauf hingewiesen haben, welchen Anteil die Logen an den europäischen und amerikanischen Revolutionen und deren intellektueller Vorbereitung seit dem 18. Jahrhundert nahmen. So wandte sich die bretonische Loge des Grand Orient 1790 an die französische Nationalversammlung mit den Worten: „Was seit Jahrhunderten nur die Devise der freimaurerischen Gesellschaft war, das wird nun, Herr Präsident, die Nationalversammlung zur rechtmäßigen Devise Frankreichs, vielleicht ganz Europas machen. Freiheit und Gleichheit, Worte, die bislang nur unserem Munde heilig waren und nur von ihm mit vollem Rechte ausgesprochen werden konnten, werden nun von 26 Millionen Menschen wiederholt, im Rausch der Begeisterung und des Glücks.“

Wahrscheinlich sehen die meisten heute nichts Ehrenrühriges darin, daß die Französische Revolution wesentlich von Freimaurern vorbereitet und geleitet wurde, daß sie parlamentarische Versammlung und Exekutive beherrschten und sich ihr Einfluß bis auf die Emblematik des neuen Staates erstreckte. Für eine gewisse Irritation sorgt aber vielleicht, was Jäger ausbreitet über die verborgene Seite freimaurerischer Riten und Lehren, den Ursprung der vielen Hebraismen in Vorstellungswelt und Sprache, den Einfluß häretischer messianischer Strömungen des Judentums, die Mischung aus Hochstapelei, Mummenschanz und „esoterisierter Aufklärung“.

Das für den Außenstehenden Befremdende darf keinesfalls zur Unterschätzung führen. Denn die politische Wirksamkeit der Freimaurerei war mit der Atlantischen Revolution nicht zu Ende. Eigentlich nahm sie erst ihren Anfang, jetzt unter neuen und günstigeren Bedingungen. Der Haupträdelsführer des Anarchismus im 19. Jahrhundert, der Russe Michail Bakunin, auch er ein Freimaurer, wird von Jäger mit den Worten zitiert: „Bekanntlich waren alle bedeutendsten Männer der ersten Revolution Freimaurer, und als diese Revolution ausbrach, fand sie dank der Freimaurerei in allen anderen Ländern ergebene und mächtige Freunde und Mitarbeiter, was sicherlich viel zu ihrem Siege beitrug.“ Das Erfolgsmodell gedachte Bakunin für eine zweite, radikalere Revolution zu übernehmen, und damit stand er nicht allein.

Von dem Frühkommunisten Gracchus Babœuf und dem deutschen Jakobiner Georg Forster über den jüdischen Sozialisten Moses Hess und den italienischen Carbonaro Filippo Buonarroti bis zu Garibaldi und den Vorkämpfern der Commune von 1871 gab es eine ununterbrochene Kette von Männern, die einerseits im Großen Orient und seinen Filiationen aktiv waren, teilweise hohe Ränge der Hierarchie bekleideten, und andererseits Pläne verfolgten, die weit über die nach außen deklarierten bürgerlich-liberalen und aufklärerischen Ziele der Logen hinausgingen. In manchen Fällen, etwa bei Buonarroti, ging es sogar um eine Art „Maurerei in der Maurerei“, eine Subversion der Subversion, in jedem Fall darum, das maurerische Konzept der „Gegenelite“ neu umzusetzen und das mit erstaunlicher Durchschlagskraft. Für Frankreich, Italien und die übrigen romanischen beziehungsweise lateinamerikanischen Länder kommt Jäger zu dem Schluß: „Die Freimaurerei diente den Revolutionsbewegungen teils als Rekrutierungsraum, teils als Kommunikationsnetzwerk; manchmal als Rückzugsbasis und manchmal als Versteck, als Stützpunkt legaler Deckung.“

Es kann nicht überraschen, daß es zahlreiche Versuche gegeben hat, dieses Zusammenspiel auch im 20. Jahrhundert fortzusetzen. Jäger führt vier Beispiele an: die Revolution der Jungtürken im Osmanischen Reich und die Kerenskis in Rußland, die Funktion von Kurt Tucholsky und Carl von Ossietzky als „Einflußagenten“ Frankreichs beziehungsweise des Großen Orient in der Weimarer Zeit, und die Biopolitik der Vierten und Fünften Republik. Der letzte Fall erscheint am unspektakulärsten, enthält aber Sprengstoff, denn in diesem Zusammenhang wird besonders klar erkennbar, wie erfolgreich man eine verdeckte Zielsetzung unter der Tarnung allgemeiner gesellschaftspolitischer Stellungnahmen gerade heute verfolgen kann. Von der Freigabe der Verhütungsmittel über die Legalisierung der Abtreibung bis zur Befürwortung der Sterbehilfe ist in Frankreich eine Tendenz auszumachen, die nach eigenem Bekenntnis auf freimaurerische Initiativen zurückgeht.

Die Stoßrichtung geht dabei immer gegen die christliche Lehre, aber die Propaganda für den Laizismus kann kaum verbergen, daß eigentlich die alte durch eine neue Dogmatik, die alte durch eine neue Moral, die alte durch die „Kirche der Republik“, wie ein früherer Berater Sarkozys die Freimaurerei nannte, ersetzt werden soll.

In seinem Schlußwort formuliert Jäger die Konsequenzen seines Befundes: „Alle Tendenzen, die wir beobachtet haben, kommen in der Vorstellung der Emanzipation, der ‘Befreiung’ überein. Zieht man die Linien des freimaurerischen Gedankens aus, dann steht am Ende die völlig autonom gewordene Menschheit. Aber zugleich wäre sie dann unausweichlich einer geheimen Leitung unterworfen, einem verschwiegenen Kreis, zu dessen innersten Lehren kein Uneingeweihter Zugang haben darf.“ Und: „Der kirchliche Einfluß, der noch über den sowjetisch bestimmten Kommunismus siegte, wäre vollends ausgeschaltet; die Gemeinschaften in Individuen atomisiert. Damit wären die Möglichkeiten der Resistenz zunichte gemacht. Gebildet gesagt: Die Dialektik der Aufklärung hätte ihre höchstes Stadium erreicht.“

Lorenz Jäger: Hinter dem Großen Orient. Freimaurerei und Revolutionsbewegungen. Karolinger Verlag, Wien 2009, broschiert, 144 Seiten, 19,90 Euro

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